in der menge untertauchen

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»Ich kann nicht glauben, dass ich mich darauf einlasse.« Während Basilio seine Niederlage innerlich bereits akzeptiert hatte und sich überlegte, wie wohl die Recorena reagieren würde, wenn sie davon erfährt, dass ihre Agenten beim Tanzen festgenommen wurden, konnte Lucía ihre Aufregung kaum verbergen.

»Vertraue Recorena Lucía und ihrem gut durchdachten Plan, und sie wird dich ins Licht führen … oder so ähnlich.« Sie marschierte bereits zur Tür und hielt vor einem Spiegel inne. Ihr Gesicht wurde ernst, und für einen Moment blickte sie dort keine Recovaina, keine Agentin ihres Glaubens, an – es blickte sie eine junge Frau an, die sich dem wilden Puls von La Perdante anschloss. Ein leises Lächeln umspielte ihre Lippen, und mit einer fließenden Bewegung löste sie die strenge Frisur, wie sie alle Recovains trugen.

Basilio sah sie an; für einen Moment huschte eine winzige Traurigkeit durch ihre Augen, die jedoch ebenso schnell verschwand. Sie blickte zurück und hob die Augenbrauen. »Brauchst du eine Extraeinladung?«

Mit der Tasche auf dem Rücken schritt Basilio zur Tür und versuchte, seine Zweifel zu beseitigen. Lucía würde schon wissen, was sie tat.

Das hoffte er jedenfalls.

Doch bevor er sich weitere Gedanken machen konnte, öffnete Lucía die Tür – und trat ins Neonlicht.

Sofort überwältigten die Eindrücke des Sub Rosa die beiden: Die Musik bestand aus pulsierenden elektronischen Bässen, perfekt abgestimmt auf die Lichtshow, die sich in Lasern und Stroboskopen verlor. Der einladende Geruch von Schweiß, Weihrauch und Alkohol waberte ihnen entgegen und ließ nur einen Bruchteil des Lebens im Club erahnen. Kaum hatten sich ihre Sinne daran gewöhnt, offenbarte sich ihnen das Sub Rosa in seiner Gänze: Der Club befand sich in der ehemaligen Krypta der Kathedrale – eine riesige, mehrstöckige, runde Halle, die vor langer Zeit die Gräber und Monumente einer längst vergessenen Familie enthielt. Heute reihten sich allerdings statt Gräbern Bars und Spielautomaten aneinander, nur unterbrochen von verrauchten Lounges und Säulen, auf denen sich verführerisch Tänzer räkelten. In der Mitte der Krypta lag der Floor, auf dem sich Hunderte Menschen in Ekstase tanzten und im Neonlicht ertranken, nur um dann an anderer Stelle wieder aufzutauchen.

Ein beeindruckendes Bild – und ein Sinnbild der Sünde. Anders als Lucía hatte Basilio nur Verachtung für das Leben und die Menschen von La Perdante übrig.

Er spürte das Gewicht der Tasche und den Riemen, der sich in seine Schulter bohrte. Auch seine militärisch anmutende Kleidung unterschied sich deutlich von den bunten Kleidern und mit abstrakten Mustern versehenen Anzügen der anderen Gäste. Doch auch inmitten all des Neons und der Dekadenz entdeckte Basilio Charaktere wie ihn selbst, die nicht ganz in das Sub Rosa passten: ein Mann, der vollständig in Leder gehüllt war und aus dessen Rücken kunstvoll verzierte Rosen aus Kristallen wuchsen; eine über und über tätowierte Nonne, deren Augen in einem durchdringenden Violett schimmerten. Und auch er ordnete sich trotz seines Aussehens dem Chaos von La Perdante unter.

Lucía hatte recht behalten: In diesem Meer aus Menschen und Lichtblitzen würde ihnen niemand einen zweiten Blick schenken.

Dann packte ihn jemand am Arm und zog ihn beiseite. Lucía. Auch sie war von dem Anblick, der sich ihnen bot, überwältigt, allerdings obsiegte die Neugier vor der Abscheu. Er seufzte innerlich. Auch sie würde sich schon mit der Zeit von ihrer Faszination für La Perdante abwenden.

Er sah, wie sie ihm etwas zurief, verstand allerdings kein Wort und schüttelte nur den Kopf. Sie lächelte für einen Moment und zerrte ihn schließlich in Richtung Tanzfläche, als wäre es das Natürlichste der Welt. Sofort verschlang die Menge die beiden und stieß sie hin und her, machte sie zu einem Teil des Organismus aus Leibern und Kleidern. Er fühlte sich unwohl, wenn er nicht die Kontrolle über die Situation hatte, und presste die Tasche fester an sich. Bloß nicht verlieren, fluchte er. Es würde den beiden noch fehlen, wenn plötzlich Sprengstoff und Recolt auf die Tanzfläche fielen.

Obgleich er sich sicher war, dass das Sanctum Sins solche Dinge gewohnt war.

Ein ruckartiges Ziehen nach vorn riss ihn aus seinen Gedanken, und er schaute zu Lucía, die stehen geblieben war – der Grund dafür baute sich mit einem leeren Grinsen und glasigen Augen vor ihnen auf.

»Schöne Augen«, lallte der Mann ihr ins Gesicht und entließ dabei seinen hochprozentigen Atem. Er musste etwa doppelt so alt wie Lucía sein. »Kommst du mit …« Er ließ den Rest in der Luft liegen, als sei der Satz zu schwer geworden, und während seine Hand schon am Bündchen ihres Gürtels zog, sah Basilio, wie Lucía blitzschnell abwog – zwischen dem Wunsch, nicht aufzufallen, und dem Impuls, das Hindernis schlagartig aus dem Weg zu räumen. Basilio, der in solchen Momenten schneller agierte als dachte, trat zwischen sie und den Mann, nicht hart, sondern wie einer, der um Platz bittet. »Lass das«, sagte er mit dieser Stimme, die in Altarégia schon Türen geöffnet hatte, die für andere verschlossen blieben.

»Was willst du?« Der Mann grinste; ein Schimmer von Mut, der nichts mit ihm zu tun hatte, sondern mit dem, was ihn trug. »Deine-«

Der Schlag war kurz, sauber, fast höflich; Basilios Faust fand das Kinn, und der Mann kippte rückwärts in einen anderen hinein, der sein Glas noch hielt, bis das Glas, überrascht von der Schwerkraft, beschloss, nicht mehr mitzuspielen. Ein paar Hände in der Nähe gingen nach oben, als hätte jemand eine Tanzeinlage gebucht. »Uuuh!«, rief eine Stimme, und irgendein Mädchen klatschte, weil alles, was mit Schwung geschah, Applaus bekam. Lucía lachte in diesen Lärm hinein, als wäre es das Normalste auf der Welt. »Schon gut«, sagte sie, fast schon zu überzeugend. »Er hat’s verdient.« Und die Menge, die immer bereit war, sich auf eine Geschichte zu einigen, nickte. »Noch mal!«, rief jemand. »Lass gut sein!«, ein anderer. Und schon hatte der Tumult sie wieder verschlungen und den Schlagabtausch vergessen.

Die beiden Recovains schoben sich durch die in Ekstase versunkene Menge und quetschten sich schließlich aus der brodelnden Mitte vor eine Bar, an der der Großteil der Getränke in Flammen stand. Basilios Blick wanderte jedoch vorbei zu der knapp dahinter versteckten Tür, die sie in den Personalbereich führen würde. Auch Lucía hatte sie bereits entdeckt. Er deutete unauffällig auf eine verwaiste Flasche »Perdante Veneno«, auf der stolz »56 %« prangte. Sie nickte.

Zeit für ein wenig Ablenkung, wie es die Ardientia mochten.

Mit einer fließenden und dabei unauffälligen Bewegung stieß Lucía die Flasche um, deren Inhalt sich sofort auf dem Tisch ergoss und gierig den Weg zu den offenen Flammen suchte. Sie hatten Glück, dass das Wort »Sicherheitsvorschriften« im Sanctum Sins nur bei amtlichen Untersuchungen durch die Clerarchie eine Rolle spielte.

 

Die beiden Recovains nahmen sich nicht mehr die Zeit, die Folgen ihres Werks zu beobachten – die zischenden Stichflammen und die erschrockenen Aufschreie hinter ihnen waren Hinweis genug, auf direktem Weg zur Tür zu laufen.

Basilio stieß sie auf und ließ zunächst Lucía eintreten, die mit gezogener Waffe den dahinterliegenden Flur prüfte. Er sicherte nach hinten ab und legte routiniert eine Hand auf ihre Schulter, ohne den Blick von der Tür zu wenden. Gemeinsam schlichen sie durch den Personalbereich, der in Weiß gestrichen war und von dem einige Türen abgingen, auf denen Basilio die Wörter »Lager«, »Küche« und schließlich auch »Lounge« erblickte. Durch eben diese letzte Tür führte Lucía ihn und stieß sie vorsichtig mit dem Fuß auf. Auch Basilio drehte sich um, und die beiden Recovains blickten in den Raum.

Ihnen bot sich der Anblick eines dunklen, holzgetäfelten Raums, der mit seinen violetten, verschnörkelten Tapeten und goldenen Kronleuchtern einen besonders edlen Eindruck machte. Im Raum standen mehrere Ledersessel und Spieltische; sie waren verlassen und verwiesen nur durch den kaum wahrnehmbaren Geruch von teurem Tabak auf frühere Besucher. Am Ende des Raums befand sich ein in die Wand eingelassener goldener Safe, der schnellen Zugriff auf Escodinar und Jetons bot, wenn die Einsätze erhöht werden sollten – und vor genau diesem Safe standen drei in Schwarz gekleidete Männer.

Zwei machten sich am Safe zu schaffen, während der dritte, ein älterer Mann, die beiden Recovains bereits erblickt hatte.

Ein edler Anzug, ruhig, eine Brosche in Form einer Hand an seinem Revers. Er sah nicht erstaunt aus, er sah wach aus, und das machte ihn nur umso gefährlicher. Sein Blick wanderte in klarer Reihenfolge an den beiden entlang – Lucías Hände, Basilios Hüfte, die Tür hinter ihnen –, und als er sie wieder ansah, lag in seiner Miene diese höfliche Form von Interesse, die man nur aufsetzt, wenn man die Lage bereits bewertet hat.

»Guten Abend«, sagte er, leise genug für diesen Raum und dennoch mit einer gewissen Autorität in der Stimme. Seine beiden Begleiter hörten es, doch machten sich weiterhin unbeeindruckt am Safe zu schaffen. Sie taten nichts – genau deshalb waren sie bedrohlich. Der alte Mann lächelte knapp, nicht freundlich, nicht spöttisch, eher wie einer, der versteht, dass sich gleich etwas entscheiden würde.

 

Basilio sah an ihm vorbei zum gegenüberliegenden Türrahmen, hinter dem der Gang zum Fahrstuhlbereich liegen musste. Es nützte nichts: Sie mussten an den drei Fremden vorbei. Mühelos folgte der alte Mann seinem Blick und lächelte knapp. In seiner Haltung lag nichts Überflüssiges: Er ließ die offene Hand sichtbar, und doch war in der Distanz zu erkennen, wie wenig Weg sie bis zu der Waffe an seinem Gürtel hätte. Niemand sagte: »Wir haben uns verlaufen.« Niemand fragte: »Was machen Sie hier?« Es war klar, dass hier alle genau dort standen, wo sie beabsichtigten zu stehen, nur eben nicht gleichzeitig. Lucía schaute zu ihm herüber, die Waffe weiterhin in der Luft. Was sollten sie nur tun?

Es war dieser kurze Moment, den der alte Mann nutzte.

Sein leises Pfeifen galt seinen Begleitern, die sich mit einer fließenden und beinahe unmenschlichen Bewegung zu Lucía und Basilio umdrehten – die Waffen gezogen und auf beide gerichtet. Es war viel zu schnell gegangen.

»Aber, aber, Freunde …« Der Mann hob beschwichtigend die Hände und lächelte die beiden Recovains an. »Keinen Grund, unnötig Blut zu vergießen, nicht wahr? Ich bin mir sicher …« Er trat langsam einen Schritt nach vorn, die Hände weiterhin oben. »… dass wir zu einer Einigung kommen, non-ba?«


»Ich kann nicht glauben, dass ich mich darauf einlasse.« Während Basilio seine Niederlage innerlich bereits akzeptiert hatte und sich überlegte, wie wohl die Recorena reagieren würde, wenn sie davon erfährt, dass ihre Agenten beim Tanzen festgenommen wurden, konnte Lucía ihre Aufregung kaum verbergen.

»Vertraue Recorena Lucía und ihrem gut durchdachten Plan, und sie wird dich ins Licht führen … oder so ähnlich.« Sie marschierte bereits zur Tür und hielt vor einem Spiegel inne. Ihr Gesicht wurde ernst, und für einen Moment blickte sie dort keine Recovaina, keine Agentin ihres Glaubens, an – es blickte sie eine junge Frau an, die sich dem wilden Puls von La Perdante anschloss. Ein leises Lächeln umspielte ihre Lippen, und mit einer fließenden Bewegung löste sie die strenge Frisur, wie sie alle Recovains trugen.

Basilio sah sie an; für einen Moment huschte eine winzige Traurigkeit durch ihre Augen, die jedoch ebenso schnell verschwand. Sie blickte zurück und hob die Augenbrauen. »Brauchst du eine Extraeinladung?«

Mit der Tasche auf dem Rücken schritt Basilio zur Tür und versuchte, seine Zweifel zu beseitigen. Lucía würde schon wissen, was sie tat.

Das hoffte er jedenfalls.

Doch bevor er sich weitere Gedanken machen konnte, öffnete Lucía die Tür – und trat ins Neonlicht.

Sofort überwältigten die Eindrücke des Sub Rosa die beiden: Die Musik bestand aus pulsierenden elektronischen Bässen, perfekt abgestimmt auf die Lichtshow, die sich in Lasern und Stroboskopen verlor. Der einladende Geruch von Schweiß, Weihrauch und Alkohol waberte ihnen entgegen und ließ nur einen Bruchteil des Lebens im Club erahnen. Kaum hatten sich ihre Sinne daran gewöhnt, offenbarte sich ihnen das Sub Rosa in seiner Gänze: Der Club befand sich in der ehemaligen Krypta der Kathedrale – eine riesige, mehrstöckige, runde Halle, die vor langer Zeit die Gräber und Monumente einer längst vergessenen Familie enthielt. Heute reihten sich allerdings statt Gräbern Bars und Spielautomaten aneinander, nur unterbrochen von verrauchten Lounges und Säulen, auf denen sich verführerisch Tänzer räkelten. In der Mitte der Krypta lag der Floor, auf dem sich Hunderte Menschen in Ekstase tanzten und im Neonlicht ertranken, nur um dann an anderer Stelle wieder aufzutauchen.

Ein beeindruckendes Bild – und ein Sinnbild der Sünde. Anders als Lucía hatte Basilio nur Verachtung für das Leben und die Menschen von La Perdante übrig.

Er spürte das Gewicht der Tasche und den Riemen, der sich in seine Schulter bohrte. Auch seine militärisch anmutende Kleidung unterschied sich deutlich von den bunten Kleidern und mit abstrakten Mustern versehenen Anzügen der anderen Gäste. Doch auch inmitten all des Neons und der Dekadenz entdeckte Basilio Charaktere wie ihn selbst, die nicht ganz in das Sub Rosa passten: ein Mann, der vollständig in Leder gehüllt war und aus dessen Rücken kunstvoll verzierte Rosen aus Kristallen wuchsen; eine über und über tätowierte Nonne, deren Augen in einem durchdringenden Violett schimmerten. Und auch er ordnete sich trotz seines Aussehens dem Chaos von La Perdante unter.

Lucía hatte recht behalten: In diesem Meer aus Menschen und Lichtblitzen würde ihnen niemand einen zweiten Blick schenken.

Dann packte ihn jemand am Arm und zog ihn beiseite. Lucía. Auch sie war von dem Anblick, der sich ihnen bot, überwältigt, allerdings obsiegte die Neugier vor der Abscheu. Er seufzte innerlich. Auch sie würde sich schon mit der Zeit von ihrer Faszination für La Perdante abwenden.

Er sah, wie sie ihm etwas zurief, verstand allerdings kein Wort und schüttelte nur den Kopf. Sie lächelte für einen Moment und zerrte ihn schließlich in Richtung Tanzfläche, als wäre es das Natürlichste der Welt. Sofort verschlang die Menge die beiden und stieß sie hin und her, machte sie zu einem Teil des Organismus aus Leibern und Kleidern. Er fühlte sich unwohl, wenn er nicht die Kontrolle über die Situation hatte, und presste die Tasche fester an sich. Bloß nicht verlieren, fluchte er. Es würde den beiden noch fehlen, wenn plötzlich Sprengstoff und Recolt auf die Tanzfläche fielen.

Obgleich er sich sicher war, dass das Sanctum Sins solche Dinge gewohnt war.

Ein ruckartiges Ziehen nach vorn riss ihn aus seinen Gedanken, und er schaute zu Lucía, die stehen geblieben war – der Grund dafür baute sich mit einem leeren Grinsen und glasigen Augen vor ihnen auf.

»Schöne Augen«, lallte der Mann ihr ins Gesicht und entließ dabei seinen hochprozentigen Atem. Er musste etwa doppelt so alt wie Lucía sein. »Kommst du mit …« Er ließ den Rest in der Luft liegen, als sei der Satz zu schwer geworden, und während seine Hand schon am Bündchen ihres Gürtels zog, sah Basilio, wie Lucía blitzschnell abwog – zwischen dem Wunsch, nicht aufzufallen, und dem Impuls, das Hindernis schlagartig aus dem Weg zu räumen. Basilio, der in solchen Momenten schneller agierte als dachte, trat zwischen sie und den Mann, nicht hart, sondern wie einer, der um Platz bittet. »Lass das«, sagte er mit dieser Stimme, die in Altarégia schon Türen geöffnet hatte, die für andere verschlossen blieben.

»Was willst du?« Der Mann grinste; ein Schimmer von Mut, der nichts mit ihm zu tun hatte, sondern mit dem, was ihn trug. »Deine-«

Der Schlag war kurz, sauber, fast höflich; Basilios Faust fand das Kinn, und der Mann kippte rückwärts in einen anderen hinein, der sein Glas noch hielt, bis das Glas, überrascht von der Schwerkraft, beschloss, nicht mehr mitzuspielen. Ein paar Hände in der Nähe gingen nach oben, als hätte jemand eine Tanzeinlage gebucht. »Uuuh!«, rief eine Stimme, und irgendein Mädchen klatschte, weil alles, was mit Schwung geschah, Applaus bekam. Lucía lachte in diesen Lärm hinein, als wäre es das Normalste auf der Welt. »Schon gut«, sagte sie, fast schon zu überzeugend. »Er hat’s verdient.« Und die Menge, die immer bereit war, sich auf eine Geschichte zu einigen, nickte. »Noch mal!«, rief jemand. »Lass gut sein!«, ein anderer. Und schon hatte der Tumult sie wieder verschlungen und den Schlagabtausch vergessen.

Die beiden Recovains schoben sich durch die in Ekstase versunkene Menge und quetschten sich schließlich aus der brodelnden Mitte vor eine Bar, an der der Großteil der Getränke in Flammen stand. Basilios Blick wanderte jedoch vorbei zu der knapp dahinter versteckten Tür, die sie in den Personalbereich führen würde. Auch Lucía hatte sie bereits entdeckt. Er deutete unauffällig auf eine verwaiste Flasche »Perdante Veneno«, auf der stolz »56 %« prangte. Sie nickte.

Zeit für ein wenig Ablenkung, wie es die Ardientia mochten.

Mit einer fließenden und dabei unauffälligen Bewegung stieß Lucía die Flasche um, deren Inhalt sich sofort auf dem Tisch ergoss und gierig den Weg zu den offenen Flammen suchte. Sie hatten Glück, dass das Wort »Sicherheitsvorschriften« im Sanctum Sins nur bei amtlichen Untersuchungen durch die Clerarchie eine Rolle spielte.

 

Die beiden Recovains nahmen sich nicht mehr die Zeit, die Folgen ihres Werks zu beobachten – die zischenden Stichflammen und die erschrockenen Aufschreie hinter ihnen waren Hinweis genug, auf direktem Weg zur Tür zu laufen.

Basilio stieß sie auf und ließ zunächst Lucía eintreten, die mit gezogener Waffe den dahinterliegenden Flur prüfte. Er sicherte nach hinten ab und legte routiniert eine Hand auf ihre Schulter, ohne den Blick von der Tür zu wenden. Gemeinsam schlichen sie durch den Personalbereich, der in Weiß gestrichen war und von dem einige Türen abgingen, auf denen Basilio die Wörter »Lager«, »Küche« und schließlich auch »Lounge« erblickte. Durch eben diese letzte Tür führte Lucía ihn und stieß sie vorsichtig mit dem Fuß auf. Auch Basilio drehte sich um, und die beiden Recovains blickten in den Raum.

Ihnen bot sich der Anblick eines dunklen, holzgetäfelten Raums, der mit seinen violetten, verschnörkelten Tapeten und goldenen Kronleuchtern einen besonders edlen Eindruck machte. Im Raum standen mehrere Ledersessel und Spieltische; sie waren verlassen und verwiesen nur durch den kaum wahrnehmbaren Geruch von teurem Tabak auf frühere Besucher. Am Ende des Raums befand sich ein in die Wand eingelassener goldener Safe, der schnellen Zugriff auf Escodinar und Jetons bot, wenn die Einsätze erhöht werden sollten – und vor genau diesem Safe standen drei in Schwarz gekleidete Männer.

Zwei machten sich am Safe zu schaffen, während der dritte, ein älterer Mann, die beiden Recovains bereits erblickt hatte.

Ein edler Anzug, ruhig, eine Brosche in Form einer Hand an seinem Revers. Er sah nicht erstaunt aus, er sah wach aus, und das machte ihn nur umso gefährlicher. Sein Blick wanderte in klarer Reihenfolge an den beiden entlang – Lucías Hände, Basilios Hüfte, die Tür hinter ihnen –, und als er sie wieder ansah, lag in seiner Miene diese höfliche Form von Interesse, die man nur aufsetzt, wenn man die Lage bereits bewertet hat.

»Guten Abend«, sagte er, leise genug für diesen Raum und dennoch mit einer gewissen Autorität in der Stimme. Seine beiden Begleiter hörten es, doch machten sich weiterhin unbeeindruckt am Safe zu schaffen. Sie taten nichts – genau deshalb waren sie bedrohlich. Der alte Mann lächelte knapp, nicht freundlich, nicht spöttisch, eher wie einer, der versteht, dass sich gleich etwas entscheiden würde.

 

Basilio sah an ihm vorbei zum gegenüberliegenden Türrahmen, hinter dem der Gang zum Fahrstuhlbereich liegen musste. Es nützte nichts: Sie mussten an den drei Fremden vorbei. Mühelos folgte der alte Mann seinem Blick und lächelte knapp. In seiner Haltung lag nichts Überflüssiges: Er ließ die offene Hand sichtbar, und doch war in der Distanz zu erkennen, wie wenig Weg sie bis zu der Waffe an seinem Gürtel hätte. Niemand sagte: »Wir haben uns verlaufen.« Niemand fragte: »Was machen Sie hier?« Es war klar, dass hier alle genau dort standen, wo sie beabsichtigten zu stehen, nur eben nicht gleichzeitig. Lucía schaute zu ihm herüber, die Waffe weiterhin in der Luft. Was sollten sie nur tun?

Es war dieser kurze Moment, den der alte Mann nutzte.

Sein leises Pfeifen galt seinen Begleitern, die sich mit einer fließenden und beinahe unmenschlichen Bewegung zu Lucía und Basilio umdrehten – die Waffen gezogen und auf beide gerichtet. Es war viel zu schnell gegangen.

»Aber, aber, Freunde …« Der Mann hob beschwichtigend die Hände und lächelte die beiden Recovains an. »Keinen Grund, unnötig Blut zu vergießen, nicht wahr? Ich bin mir sicher …« Er trat langsam einen Schritt nach vorn, die Hände weiterhin oben. »… dass wir zu einer Einigung kommen, non-ba?«


»Ich kann nicht glauben, dass ich mich darauf einlasse.« Während Basilio seine Niederlage innerlich bereits akzeptiert hatte und sich überlegte, wie wohl die Recorena reagieren würde, wenn sie davon erfährt, dass ihre Agenten beim Tanzen festgenommen wurden, konnte Lucía ihre Aufregung kaum verbergen.

»Vertraue Recorena Lucía und ihrem gut durchdachten Plan, und sie wird dich ins Licht führen … oder so ähnlich.« Sie marschierte bereits zur Tür und hielt vor einem Spiegel inne. Ihr Gesicht wurde ernst, und für einen Moment blickte sie dort keine Recovaina, keine Agentin ihres Glaubens, an – es blickte sie eine junge Frau an, die sich dem wilden Puls von La Perdante anschloss. Ein leises Lächeln umspielte ihre Lippen, und mit einer fließenden Bewegung löste sie die strenge Frisur, wie sie alle Recovains trugen.

Basilio sah sie an; für einen Moment huschte eine winzige Traurigkeit durch ihre Augen, die jedoch ebenso schnell verschwand. Sie blickte zurück und hob die Augenbrauen. »Brauchst du eine Extraeinladung?«

Mit der Tasche auf dem Rücken schritt Basilio zur Tür und versuchte, seine Zweifel zu beseitigen. Lucía würde schon wissen, was sie tat.

Das hoffte er jedenfalls.

Doch bevor er sich weitere Gedanken machen konnte, öffnete Lucía die Tür – und trat ins Neonlicht.

Sofort überwältigten die Eindrücke des Sub Rosa die beiden: Die Musik bestand aus pulsierenden elektronischen Bässen, perfekt abgestimmt auf die Lichtshow, die sich in Lasern und Stroboskopen verlor. Der einladende Geruch von Schweiß, Weihrauch und Alkohol waberte ihnen entgegen und ließ nur einen Bruchteil des Lebens im Club erahnen. Kaum hatten sich ihre Sinne daran gewöhnt, offenbarte sich ihnen das Sub Rosa in seiner Gänze: Der Club befand sich in der ehemaligen Krypta der Kathedrale – eine riesige, mehrstöckige, runde Halle, die vor langer Zeit die Gräber und Monumente einer längst vergessenen Familie enthielt. Heute reihten sich allerdings statt Gräbern Bars und Spielautomaten aneinander, nur unterbrochen von verrauchten Lounges und Säulen, auf denen sich verführerisch Tänzer räkelten. In der Mitte der Krypta lag der Floor, auf dem sich Hunderte Menschen in Ekstase tanzten und im Neonlicht ertranken, nur um dann an anderer Stelle wieder aufzutauchen.

Ein beeindruckendes Bild – und ein Sinnbild der Sünde. Anders als Lucía hatte Basilio nur Verachtung für das Leben und die Menschen von La Perdante übrig.

Er spürte das Gewicht der Tasche und den Riemen, der sich in seine Schulter bohrte. Auch seine militärisch anmutende Kleidung unterschied sich deutlich von den bunten Kleidern und mit abstrakten Mustern versehenen Anzügen der anderen Gäste. Doch auch inmitten all des Neons und der Dekadenz entdeckte Basilio Charaktere wie ihn selbst, die nicht ganz in das Sub Rosa passten: ein Mann, der vollständig in Leder gehüllt war und aus dessen Rücken kunstvoll verzierte Rosen aus Kristallen wuchsen; eine über und über tätowierte Nonne, deren Augen in einem durchdringenden Violett schimmerten. Und auch er ordnete sich trotz seines Aussehens dem Chaos von La Perdante unter.

Lucía hatte recht behalten: In diesem Meer aus Menschen und Lichtblitzen würde ihnen niemand einen zweiten Blick schenken.

Dann packte ihn jemand am Arm und zog ihn beiseite. Lucía. Auch sie war von dem Anblick, der sich ihnen bot, überwältigt, allerdings obsiegte die Neugier vor der Abscheu. Er seufzte innerlich. Auch sie würde sich schon mit der Zeit von ihrer Faszination für La Perdante abwenden.

Er sah, wie sie ihm etwas zurief, verstand allerdings kein Wort und schüttelte nur den Kopf. Sie lächelte für einen Moment und zerrte ihn schließlich in Richtung Tanzfläche, als wäre es das Natürlichste der Welt. Sofort verschlang die Menge die beiden und stieß sie hin und her, machte sie zu einem Teil des Organismus aus Leibern und Kleidern. Er fühlte sich unwohl, wenn er nicht die Kontrolle über die Situation hatte, und presste die Tasche fester an sich. Bloß nicht verlieren, fluchte er. Es würde den beiden noch fehlen, wenn plötzlich Sprengstoff und Recolt auf die Tanzfläche fielen.

Obgleich er sich sicher war, dass das Sanctum Sins solche Dinge gewohnt war.

Ein ruckartiges Ziehen nach vorn riss ihn aus seinen Gedanken, und er schaute zu Lucía, die stehen geblieben war – der Grund dafür baute sich mit einem leeren Grinsen und glasigen Augen vor ihnen auf.

»Schöne Augen«, lallte der Mann ihr ins Gesicht und entließ dabei seinen hochprozentigen Atem. Er musste etwa doppelt so alt wie Lucía sein. »Kommst du mit …« Er ließ den Rest in der Luft liegen, als sei der Satz zu schwer geworden, und während seine Hand schon am Bündchen ihres Gürtels zog, sah Basilio, wie Lucía blitzschnell abwog – zwischen dem Wunsch, nicht aufzufallen, und dem Impuls, das Hindernis schlagartig aus dem Weg zu räumen. Basilio, der in solchen Momenten schneller agierte als dachte, trat zwischen sie und den Mann, nicht hart, sondern wie einer, der um Platz bittet. »Lass das«, sagte er mit dieser Stimme, die in Altarégia schon Türen geöffnet hatte, die für andere verschlossen blieben.

»Was willst du?« Der Mann grinste; ein Schimmer von Mut, der nichts mit ihm zu tun hatte, sondern mit dem, was ihn trug. »Deine-«

Der Schlag war kurz, sauber, fast höflich; Basilios Faust fand das Kinn, und der Mann kippte rückwärts in einen anderen hinein, der sein Glas noch hielt, bis das Glas, überrascht von der Schwerkraft, beschloss, nicht mehr mitzuspielen. Ein paar Hände in der Nähe gingen nach oben, als hätte jemand eine Tanzeinlage gebucht. »Uuuh!«, rief eine Stimme, und irgendein Mädchen klatschte, weil alles, was mit Schwung geschah, Applaus bekam. Lucía lachte in diesen Lärm hinein, als wäre es das Normalste auf der Welt. »Schon gut«, sagte sie, fast schon zu überzeugend. »Er hat’s verdient.« Und die Menge, die immer bereit war, sich auf eine Geschichte zu einigen, nickte. »Noch mal!«, rief jemand. »Lass gut sein!«, ein anderer. Und schon hatte der Tumult sie wieder verschlungen und den Schlagabtausch vergessen.

Die beiden Recovains schoben sich durch die in Ekstase versunkene Menge und quetschten sich schließlich aus der brodelnden Mitte vor eine Bar, an der der Großteil der Getränke in Flammen stand. Basilios Blick wanderte jedoch vorbei zu der knapp dahinter versteckten Tür, die sie in den Personalbereich führen würde. Auch Lucía hatte sie bereits entdeckt. Er deutete unauffällig auf eine verwaiste Flasche »Perdante Veneno«, auf der stolz »56 %« prangte. Sie nickte.

Zeit für ein wenig Ablenkung, wie es die Ardientia mochten.

Mit einer fließenden und dabei unauffälligen Bewegung stieß Lucía die Flasche um, deren Inhalt sich sofort auf dem Tisch ergoss und gierig den Weg zu den offenen Flammen suchte. Sie hatten Glück, dass das Wort »Sicherheitsvorschriften« im Sanctum Sins nur bei amtlichen Untersuchungen durch die Clerarchie eine Rolle spielte.

 

Die beiden Recovains nahmen sich nicht mehr die Zeit, die Folgen ihres Werks zu beobachten – die zischenden Stichflammen und die erschrockenen Aufschreie hinter ihnen waren Hinweis genug, auf direktem Weg zur Tür zu laufen.

Basilio stieß sie auf und ließ zunächst Lucía eintreten, die mit gezogener Waffe den dahinterliegenden Flur prüfte. Er sicherte nach hinten ab und legte routiniert eine Hand auf ihre Schulter, ohne den Blick von der Tür zu wenden. Gemeinsam schlichen sie durch den Personalbereich, der in Weiß gestrichen war und von dem einige Türen abgingen, auf denen Basilio die Wörter »Lager«, »Küche« und schließlich auch »Lounge« erblickte. Durch eben diese letzte Tür führte Lucía ihn und stieß sie vorsichtig mit dem Fuß auf. Auch Basilio drehte sich um, und die beiden Recovains blickten in den Raum.

Ihnen bot sich der Anblick eines dunklen, holzgetäfelten Raums, der mit seinen violetten, verschnörkelten Tapeten und goldenen Kronleuchtern einen besonders edlen Eindruck machte. Im Raum standen mehrere Ledersessel und Spieltische; sie waren verlassen und verwiesen nur durch den kaum wahrnehmbaren Geruch von teurem Tabak auf frühere Besucher. Am Ende des Raums befand sich ein in die Wand eingelassener goldener Safe, der schnellen Zugriff auf Escodinar und Jetons bot, wenn die Einsätze erhöht werden sollten – und vor genau diesem Safe standen drei in Schwarz gekleidete Männer.

Zwei machten sich am Safe zu schaffen, während der dritte, ein älterer Mann, die beiden Recovains bereits erblickt hatte.

Ein edler Anzug, ruhig, eine Brosche in Form einer Hand an seinem Revers. Er sah nicht erstaunt aus, er sah wach aus, und das machte ihn nur umso gefährlicher. Sein Blick wanderte in klarer Reihenfolge an den beiden entlang – Lucías Hände, Basilios Hüfte, die Tür hinter ihnen –, und als er sie wieder ansah, lag in seiner Miene diese höfliche Form von Interesse, die man nur aufsetzt, wenn man die Lage bereits bewertet hat.

»Guten Abend«, sagte er, leise genug für diesen Raum und dennoch mit einer gewissen Autorität in der Stimme. Seine beiden Begleiter hörten es, doch machten sich weiterhin unbeeindruckt am Safe zu schaffen. Sie taten nichts – genau deshalb waren sie bedrohlich. Der alte Mann lächelte knapp, nicht freundlich, nicht spöttisch, eher wie einer, der versteht, dass sich gleich etwas entscheiden würde.

 

Basilio sah an ihm vorbei zum gegenüberliegenden Türrahmen, hinter dem der Gang zum Fahrstuhlbereich liegen musste. Es nützte nichts: Sie mussten an den drei Fremden vorbei. Mühelos folgte der alte Mann seinem Blick und lächelte knapp. In seiner Haltung lag nichts Überflüssiges: Er ließ die offene Hand sichtbar, und doch war in der Distanz zu erkennen, wie wenig Weg sie bis zu der Waffe an seinem Gürtel hätte. Niemand sagte: »Wir haben uns verlaufen.« Niemand fragte: »Was machen Sie hier?« Es war klar, dass hier alle genau dort standen, wo sie beabsichtigten zu stehen, nur eben nicht gleichzeitig. Lucía schaute zu ihm herüber, die Waffe weiterhin in der Luft. Was sollten sie nur tun?

Es war dieser kurze Moment, den der alte Mann nutzte.

Sein leises Pfeifen galt seinen Begleitern, die sich mit einer fließenden und beinahe unmenschlichen Bewegung zu Lucía und Basilio umdrehten – die Waffen gezogen und auf beide gerichtet. Es war viel zu schnell gegangen.

»Aber, aber, Freunde …« Der Mann hob beschwichtigend die Hände und lächelte die beiden Recovains an. »Keinen Grund, unnötig Blut zu vergießen, nicht wahr? Ich bin mir sicher …« Er trat langsam einen Schritt nach vorn, die Hände weiterhin oben. »… dass wir zu einer Einigung kommen, non-ba?«


»Ich kann nicht glauben, dass ich mich darauf einlasse.« Während Basilio seine Niederlage innerlich bereits akzeptiert hatte und sich überlegte, wie wohl die Recorena reagieren würde, wenn sie davon erfährt, dass ihre Agenten beim Tanzen festgenommen wurden, konnte Lucía ihre Aufregung kaum verbergen.

»Vertraue Recorena Lucía und ihrem gut durchdachten Plan, und sie wird dich ins Licht führen … oder so ähnlich.« Sie marschierte bereits zur Tür und hielt vor einem Spiegel inne. Ihr Gesicht wurde ernst, und für einen Moment blickte sie dort keine Recovaina, keine Agentin ihres Glaubens, an – es blickte sie eine junge Frau an, die sich dem wilden Puls von La Perdante anschloss. Ein leises Lächeln umspielte ihre Lippen, und mit einer fließenden Bewegung löste sie die strenge Frisur, wie sie alle Recovains trugen.

Basilio sah sie an; für einen Moment huschte eine winzige Traurigkeit durch ihre Augen, die jedoch ebenso schnell verschwand. Sie blickte zurück und hob die Augenbrauen. »Brauchst du eine Extraeinladung?«

Mit der Tasche auf dem Rücken schritt Basilio zur Tür und versuchte, seine Zweifel zu beseitigen. Lucía würde schon wissen, was sie tat.

Das hoffte er jedenfalls.

Doch bevor er sich weitere Gedanken machen konnte, öffnete Lucía die Tür – und trat ins Neonlicht.

Sofort überwältigten die Eindrücke des Sub Rosa die beiden: Die Musik bestand aus pulsierenden elektronischen Bässen, perfekt abgestimmt auf die Lichtshow, die sich in Lasern und Stroboskopen verlor. Der einladende Geruch von Schweiß, Weihrauch und Alkohol waberte ihnen entgegen und ließ nur einen Bruchteil des Lebens im Club erahnen. Kaum hatten sich ihre Sinne daran gewöhnt, offenbarte sich ihnen das Sub Rosa in seiner Gänze: Der Club befand sich in der ehemaligen Krypta der Kathedrale – eine riesige, mehrstöckige, runde Halle, die vor langer Zeit die Gräber und Monumente einer längst vergessenen Familie enthielt. Heute reihten sich allerdings statt Gräbern Bars und Spielautomaten aneinander, nur unterbrochen von verrauchten Lounges und Säulen, auf denen sich verführerisch Tänzer räkelten. In der Mitte der Krypta lag der Floor, auf dem sich Hunderte Menschen in Ekstase tanzten und im Neonlicht ertranken, nur um dann an anderer Stelle wieder aufzutauchen.

Ein beeindruckendes Bild – und ein Sinnbild der Sünde. Anders als Lucía hatte Basilio nur Verachtung für das Leben und die Menschen von La Perdante übrig.

Er spürte das Gewicht der Tasche und den Riemen, der sich in seine Schulter bohrte. Auch seine militärisch anmutende Kleidung unterschied sich deutlich von den bunten Kleidern und mit abstrakten Mustern versehenen Anzügen der anderen Gäste. Doch auch inmitten all des Neons und der Dekadenz entdeckte Basilio Charaktere wie ihn selbst, die nicht ganz in das Sub Rosa passten: ein Mann, der vollständig in Leder gehüllt war und aus dessen Rücken kunstvoll verzierte Rosen aus Kristallen wuchsen; eine über und über tätowierte Nonne, deren Augen in einem durchdringenden Violett schimmerten. Und auch er ordnete sich trotz seines Aussehens dem Chaos von La Perdante unter.

Lucía hatte recht behalten: In diesem Meer aus Menschen und Lichtblitzen würde ihnen niemand einen zweiten Blick schenken.

Dann packte ihn jemand am Arm und zog ihn beiseite. Lucía. Auch sie war von dem Anblick, der sich ihnen bot, überwältigt, allerdings obsiegte die Neugier vor der Abscheu. Er seufzte innerlich. Auch sie würde sich schon mit der Zeit von ihrer Faszination für La Perdante abwenden.

Er sah, wie sie ihm etwas zurief, verstand allerdings kein Wort und schüttelte nur den Kopf. Sie lächelte für einen Moment und zerrte ihn schließlich in Richtung Tanzfläche, als wäre es das Natürlichste der Welt. Sofort verschlang die Menge die beiden und stieß sie hin und her, machte sie zu einem Teil des Organismus aus Leibern und Kleidern. Er fühlte sich unwohl, wenn er nicht die Kontrolle über die Situation hatte, und presste die Tasche fester an sich. Bloß nicht verlieren, fluchte er. Es würde den beiden noch fehlen, wenn plötzlich Sprengstoff und Recolt auf die Tanzfläche fielen.

Obgleich er sich sicher war, dass das Sanctum Sins solche Dinge gewohnt war.

Ein ruckartiges Ziehen nach vorn riss ihn aus seinen Gedanken, und er schaute zu Lucía, die stehen geblieben war – der Grund dafür baute sich mit einem leeren Grinsen und glasigen Augen vor ihnen auf.

»Schöne Augen«, lallte der Mann ihr ins Gesicht und entließ dabei seinen hochprozentigen Atem. Er musste etwa doppelt so alt wie Lucía sein. »Kommst du mit …« Er ließ den Rest in der Luft liegen, als sei der Satz zu schwer geworden, und während seine Hand schon am Bündchen ihres Gürtels zog, sah Basilio, wie Lucía blitzschnell abwog – zwischen dem Wunsch, nicht aufzufallen, und dem Impuls, das Hindernis schlagartig aus dem Weg zu räumen. Basilio, der in solchen Momenten schneller agierte als dachte, trat zwischen sie und den Mann, nicht hart, sondern wie einer, der um Platz bittet. »Lass das«, sagte er mit dieser Stimme, die in Altarégia schon Türen geöffnet hatte, die für andere verschlossen blieben.

»Was willst du?« Der Mann grinste; ein Schimmer von Mut, der nichts mit ihm zu tun hatte, sondern mit dem, was ihn trug. »Deine-«

Der Schlag war kurz, sauber, fast höflich; Basilios Faust fand das Kinn, und der Mann kippte rückwärts in einen anderen hinein, der sein Glas noch hielt, bis das Glas, überrascht von der Schwerkraft, beschloss, nicht mehr mitzuspielen. Ein paar Hände in der Nähe gingen nach oben, als hätte jemand eine Tanzeinlage gebucht. »Uuuh!«, rief eine Stimme, und irgendein Mädchen klatschte, weil alles, was mit Schwung geschah, Applaus bekam. Lucía lachte in diesen Lärm hinein, als wäre es das Normalste auf der Welt. »Schon gut«, sagte sie, fast schon zu überzeugend. »Er hat’s verdient.« Und die Menge, die immer bereit war, sich auf eine Geschichte zu einigen, nickte. »Noch mal!«, rief jemand. »Lass gut sein!«, ein anderer. Und schon hatte der Tumult sie wieder verschlungen und den Schlagabtausch vergessen.

Die beiden Recovains schoben sich durch die in Ekstase versunkene Menge und quetschten sich schließlich aus der brodelnden Mitte vor eine Bar, an der der Großteil der Getränke in Flammen stand. Basilios Blick wanderte jedoch vorbei zu der knapp dahinter versteckten Tür, die sie in den Personalbereich führen würde. Auch Lucía hatte sie bereits entdeckt. Er deutete unauffällig auf eine verwaiste Flasche »Perdante Veneno«, auf der stolz »56 %« prangte. Sie nickte.

Zeit für ein wenig Ablenkung, wie es die Ardientia mochten.

Mit einer fließenden und dabei unauffälligen Bewegung stieß Lucía die Flasche um, deren Inhalt sich sofort auf dem Tisch ergoss und gierig den Weg zu den offenen Flammen suchte. Sie hatten Glück, dass das Wort »Sicherheitsvorschriften« im Sanctum Sins nur bei amtlichen Untersuchungen durch die Clerarchie eine Rolle spielte.

 

Die beiden Recovains nahmen sich nicht mehr die Zeit, die Folgen ihres Werks zu beobachten – die zischenden Stichflammen und die erschrockenen Aufschreie hinter ihnen waren Hinweis genug, auf direktem Weg zur Tür zu laufen.

Basilio stieß sie auf und ließ zunächst Lucía eintreten, die mit gezogener Waffe den dahinterliegenden Flur prüfte. Er sicherte nach hinten ab und legte routiniert eine Hand auf ihre Schulter, ohne den Blick von der Tür zu wenden. Gemeinsam schlichen sie durch den Personalbereich, der in Weiß gestrichen war und von dem einige Türen abgingen, auf denen Basilio die Wörter »Lager«, »Küche« und schließlich auch »Lounge« erblickte. Durch eben diese letzte Tür führte Lucía ihn und stieß sie vorsichtig mit dem Fuß auf. Auch Basilio drehte sich um, und die beiden Recovains blickten in den Raum.

Ihnen bot sich der Anblick eines dunklen, holzgetäfelten Raums, der mit seinen violetten, verschnörkelten Tapeten und goldenen Kronleuchtern einen besonders edlen Eindruck machte. Im Raum standen mehrere Ledersessel und Spieltische; sie waren verlassen und verwiesen nur durch den kaum wahrnehmbaren Geruch von teurem Tabak auf frühere Besucher. Am Ende des Raums befand sich ein in die Wand eingelassener goldener Safe, der schnellen Zugriff auf Escodinar und Jetons bot, wenn die Einsätze erhöht werden sollten – und vor genau diesem Safe standen drei in Schwarz gekleidete Männer.

Zwei machten sich am Safe zu schaffen, während der dritte, ein älterer Mann, die beiden Recovains bereits erblickt hatte.

Ein edler Anzug, ruhig, eine Brosche in Form einer Hand an seinem Revers. Er sah nicht erstaunt aus, er sah wach aus, und das machte ihn nur umso gefährlicher. Sein Blick wanderte in klarer Reihenfolge an den beiden entlang – Lucías Hände, Basilios Hüfte, die Tür hinter ihnen –, und als er sie wieder ansah, lag in seiner Miene diese höfliche Form von Interesse, die man nur aufsetzt, wenn man die Lage bereits bewertet hat.

»Guten Abend«, sagte er, leise genug für diesen Raum und dennoch mit einer gewissen Autorität in der Stimme. Seine beiden Begleiter hörten es, doch machten sich weiterhin unbeeindruckt am Safe zu schaffen. Sie taten nichts – genau deshalb waren sie bedrohlich. Der alte Mann lächelte knapp, nicht freundlich, nicht spöttisch, eher wie einer, der versteht, dass sich gleich etwas entscheiden würde.

 

Basilio sah an ihm vorbei zum gegenüberliegenden Türrahmen, hinter dem der Gang zum Fahrstuhlbereich liegen musste. Es nützte nichts: Sie mussten an den drei Fremden vorbei. Mühelos folgte der alte Mann seinem Blick und lächelte knapp. In seiner Haltung lag nichts Überflüssiges: Er ließ die offene Hand sichtbar, und doch war in der Distanz zu erkennen, wie wenig Weg sie bis zu der Waffe an seinem Gürtel hätte. Niemand sagte: »Wir haben uns verlaufen.« Niemand fragte: »Was machen Sie hier?« Es war klar, dass hier alle genau dort standen, wo sie beabsichtigten zu stehen, nur eben nicht gleichzeitig. Lucía schaute zu ihm herüber, die Waffe weiterhin in der Luft. Was sollten sie nur tun?

Es war dieser kurze Moment, den der alte Mann nutzte.

Sein leises Pfeifen galt seinen Begleitern, die sich mit einer fließenden und beinahe unmenschlichen Bewegung zu Lucía und Basilio umdrehten – die Waffen gezogen und auf beide gerichtet. Es war viel zu schnell gegangen.

»Aber, aber, Freunde …« Der Mann hob beschwichtigend die Hände und lächelte die beiden Recovains an. »Keinen Grund, unnötig Blut zu vergießen, nicht wahr? Ich bin mir sicher …« Er trat langsam einen Schritt nach vorn, die Hände weiterhin oben. »… dass wir zu einer Einigung kommen, non-ba?«

»Ich kann nicht glauben, dass ich mich darauf einlasse.« Während Basilio seine Niederlage innerlich bereits akzeptiert hatte und sich überlegte, wie wohl die Recorena reagieren würde, wenn sie davon erfährt, dass ihre Agenten beim Tanzen festgenommen wurden, konnte Lucía ihre Aufregung kaum verbergen.

»Vertraue Recorena Lucía und ihrem gut durchdachten Plan, und sie wird dich ins Licht führen … oder so ähnlich.« Sie marschierte bereits zur Tür und hielt vor einem Spiegel inne. Ihr Gesicht wurde ernst, und für einen Moment blickte sie dort keine Recovaina, keine Agentin ihres Glaubens, an – es blickte sie eine junge Frau an, die sich dem wilden Puls von La Perdante anschloss. Ein leises Lächeln umspielte ihre Lippen, und mit einer fließenden Bewegung löste sie die strenge Frisur, wie sie alle Recovains trugen.

Basilio sah sie an; für einen Moment huschte eine winzige Traurigkeit durch ihre Augen, die jedoch ebenso schnell verschwand. Sie blickte zurück und hob die Augenbrauen. »Brauchst du eine Extraeinladung?«

Mit der Tasche auf dem Rücken schritt Basilio zur Tür und versuchte, seine Zweifel zu beseitigen. Lucía würde schon wissen, was sie tat.

Das hoffte er jedenfalls.

Doch bevor er sich weitere Gedanken machen konnte, öffnete Lucía die Tür – und trat ins Neonlicht.

Sofort überwältigten die Eindrücke des Sub Rosa die beiden: Die Musik bestand aus pulsierenden elektronischen Bässen, perfekt abgestimmt auf die Lichtshow, die sich in Lasern und Stroboskopen verlor. Der einladende Geruch von Schweiß, Weihrauch und Alkohol waberte ihnen entgegen und ließ nur einen Bruchteil des Lebens im Club erahnen. Kaum hatten sich ihre Sinne daran gewöhnt, offenbarte sich ihnen das Sub Rosa in seiner Gänze: Der Club befand sich in der ehemaligen Krypta der Kathedrale – eine riesige, mehrstöckige, runde Halle, die vor langer Zeit die Gräber und Monumente einer längst vergessenen Familie enthielt. Heute reihten sich allerdings statt Gräbern Bars und Spielautomaten aneinander, nur unterbrochen von verrauchten Lounges und Säulen, auf denen sich verführerisch Tänzer räkelten. In der Mitte der Krypta lag der Floor, auf dem sich Hunderte Menschen in Ekstase tanzten und im Neonlicht ertranken, nur um dann an anderer Stelle wieder aufzutauchen.

Ein beeindruckendes Bild – und ein Sinnbild der Sünde. Anders als Lucía hatte Basilio nur Verachtung für das Leben und die Menschen von La Perdante übrig.

Er spürte das Gewicht der Tasche und den Riemen, der sich in seine Schulter bohrte. Auch seine militärisch anmutende Kleidung unterschied sich deutlich von den bunten Kleidern und mit abstrakten Mustern versehenen Anzügen der anderen Gäste. Doch auch inmitten all des Neons und der Dekadenz entdeckte Basilio Charaktere wie ihn selbst, die nicht ganz in das Sub Rosa passten: ein Mann, der vollständig in Leder gehüllt war und aus dessen Rücken kunstvoll verzierte Rosen aus Kristallen wuchsen; eine über und über tätowierte Nonne, deren Augen in einem durchdringenden Violett schimmerten. Und auch er ordnete sich trotz seines Aussehens dem Chaos von La Perdante unter.

Lucía hatte recht behalten: In diesem Meer aus Menschen und Lichtblitzen würde ihnen niemand einen zweiten Blick schenken.

Dann packte ihn jemand am Arm und zog ihn beiseite. Lucía. Auch sie war von dem Anblick, der sich ihnen bot, überwältigt, allerdings obsiegte die Neugier vor der Abscheu. Er seufzte innerlich. Auch sie würde sich schon mit der Zeit von ihrer Faszination für La Perdante abwenden.

Er sah, wie sie ihm etwas zurief, verstand allerdings kein Wort und schüttelte nur den Kopf. Sie lächelte für einen Moment und zerrte ihn schließlich in Richtung Tanzfläche, als wäre es das Natürlichste der Welt. Sofort verschlang die Menge die beiden und stieß sie hin und her, machte sie zu einem Teil des Organismus aus Leibern und Kleidern. Er fühlte sich unwohl, wenn er nicht die Kontrolle über die Situation hatte, und presste die Tasche fester an sich. Bloß nicht verlieren, fluchte er. Es würde den beiden noch fehlen, wenn plötzlich Sprengstoff und Recolt auf die Tanzfläche fielen.

Obgleich er sich sicher war, dass das Sanctum Sins solche Dinge gewohnt war.

Ein ruckartiges Ziehen nach vorn riss ihn aus seinen Gedanken, und er schaute zu Lucía, die stehen geblieben war – der Grund dafür baute sich mit einem leeren Grinsen und glasigen Augen vor ihnen auf.

»Schöne Augen«, lallte der Mann ihr ins Gesicht und entließ dabei seinen hochprozentigen Atem. Er musste etwa doppelt so alt wie Lucía sein. »Kommst du mit …« Er ließ den Rest in der Luft liegen, als sei der Satz zu schwer geworden, und während seine Hand schon am Bündchen ihres Gürtels zog, sah Basilio, wie Lucía blitzschnell abwog – zwischen dem Wunsch, nicht aufzufallen, und dem Impuls, das Hindernis schlagartig aus dem Weg zu räumen. Basilio, der in solchen Momenten schneller agierte als dachte, trat zwischen sie und den Mann, nicht hart, sondern wie einer, der um Platz bittet. »Lass das«, sagte er mit dieser Stimme, die in Altarégia schon Türen geöffnet hatte, die für andere verschlossen blieben.

»Was willst du?« Der Mann grinste; ein Schimmer von Mut, der nichts mit ihm zu tun hatte, sondern mit dem, was ihn trug. »Deine-«

Der Schlag war kurz, sauber, fast höflich; Basilios Faust fand das Kinn, und der Mann kippte rückwärts in einen anderen hinein, der sein Glas noch hielt, bis das Glas, überrascht von der Schwerkraft, beschloss, nicht mehr mitzuspielen. Ein paar Hände in der Nähe gingen nach oben, als hätte jemand eine Tanzeinlage gebucht. »Uuuh!«, rief eine Stimme, und irgendein Mädchen klatschte, weil alles, was mit Schwung geschah, Applaus bekam. Lucía lachte in diesen Lärm hinein, als wäre es das Normalste auf der Welt. »Schon gut«, sagte sie, fast schon zu überzeugend. »Er hat’s verdient.« Und die Menge, die immer bereit war, sich auf eine Geschichte zu einigen, nickte. »Noch mal!«, rief jemand. »Lass gut sein!«, ein anderer. Und schon hatte der Tumult sie wieder verschlungen und den Schlagabtausch vergessen.

Die beiden Recovains schoben sich durch die in Ekstase versunkene Menge und quetschten sich schließlich aus der brodelnden Mitte vor eine Bar, an der der Großteil der Getränke in Flammen stand. Basilios Blick wanderte jedoch vorbei zu der knapp dahinter versteckten Tür, die sie in den Personalbereich führen würde. Auch Lucía hatte sie bereits entdeckt. Er deutete unauffällig auf eine verwaiste Flasche »Perdante Veneno«, auf der stolz »56 %« prangte. Sie nickte.

Zeit für ein wenig Ablenkung, wie es die Ardientia mochten.

Mit einer fließenden und dabei unauffälligen Bewegung stieß Lucía die Flasche um, deren Inhalt sich sofort auf dem Tisch ergoss und gierig den Weg zu den offenen Flammen suchte. Sie hatten Glück, dass das Wort »Sicherheitsvorschriften« im Sanctum Sins nur bei amtlichen Untersuchungen durch die Clerarchie eine Rolle spielte.

 

Die beiden Recovains nahmen sich nicht mehr die Zeit, die Folgen ihres Werks zu beobachten – die zischenden Stichflammen und die erschrockenen Aufschreie hinter ihnen waren Hinweis genug, auf direktem Weg zur Tür zu laufen.

Basilio stieß sie auf und ließ zunächst Lucía eintreten, die mit gezogener Waffe den dahinterliegenden Flur prüfte. Er sicherte nach hinten ab und legte routiniert eine Hand auf ihre Schulter, ohne den Blick von der Tür zu wenden. Gemeinsam schlichen sie durch den Personalbereich, der in Weiß gestrichen war und von dem einige Türen abgingen, auf denen Basilio die Wörter »Lager«, »Küche« und schließlich auch »Lounge« erblickte. Durch eben diese letzte Tür führte Lucía ihn und stieß sie vorsichtig mit dem Fuß auf. Auch Basilio drehte sich um, und die beiden Recovains blickten in den Raum.

Ihnen bot sich der Anblick eines dunklen, holzgetäfelten Raums, der mit seinen violetten, verschnörkelten Tapeten und goldenen Kronleuchtern einen besonders edlen Eindruck machte. Im Raum standen mehrere Ledersessel und Spieltische; sie waren verlassen und verwiesen nur durch den kaum wahrnehmbaren Geruch von teurem Tabak auf frühere Besucher. Am Ende des Raums befand sich ein in die Wand eingelassener goldener Safe, der schnellen Zugriff auf Escodinar und Jetons bot, wenn die Einsätze erhöht werden sollten – und vor genau diesem Safe standen drei in Schwarz gekleidete Männer.

Zwei machten sich am Safe zu schaffen, während der dritte, ein älterer Mann, die beiden Recovains bereits erblickt hatte.

Ein edler Anzug, ruhig, eine Brosche in Form einer Hand an seinem Revers. Er sah nicht erstaunt aus, er sah wach aus, und das machte ihn nur umso gefährlicher. Sein Blick wanderte in klarer Reihenfolge an den beiden entlang – Lucías Hände, Basilios Hüfte, die Tür hinter ihnen –, und als er sie wieder ansah, lag in seiner Miene diese höfliche Form von Interesse, die man nur aufsetzt, wenn man die Lage bereits bewertet hat.

»Guten Abend«, sagte er, leise genug für diesen Raum und dennoch mit einer gewissen Autorität in der Stimme. Seine beiden Begleiter hörten es, doch machten sich weiterhin unbeeindruckt am Safe zu schaffen. Sie taten nichts – genau deshalb waren sie bedrohlich. Der alte Mann lächelte knapp, nicht freundlich, nicht spöttisch, eher wie einer, der versteht, dass sich gleich etwas entscheiden würde.

 

Basilio sah an ihm vorbei zum gegenüberliegenden Türrahmen, hinter dem der Gang zum Fahrstuhlbereich liegen musste. Es nützte nichts: Sie mussten an den drei Fremden vorbei. Mühelos folgte der alte Mann seinem Blick und lächelte knapp. In seiner Haltung lag nichts Überflüssiges: Er ließ die offene Hand sichtbar, und doch war in der Distanz zu erkennen, wie wenig Weg sie bis zu der Waffe an seinem Gürtel hätte. Niemand sagte: »Wir haben uns verlaufen.« Niemand fragte: »Was machen Sie hier?« Es war klar, dass hier alle genau dort standen, wo sie beabsichtigten zu stehen, nur eben nicht gleichzeitig. Lucía schaute zu ihm herüber, die Waffe weiterhin in der Luft. Was sollten sie nur tun?

Es war dieser kurze Moment, den der alte Mann nutzte.

Sein leises Pfeifen galt seinen Begleitern, die sich mit einer fließenden und beinahe unmenschlichen Bewegung zu Lucía und Basilio umdrehten – die Waffen gezogen und auf beide gerichtet. Es war viel zu schnell gegangen.

»Aber, aber, Freunde …« Der Mann hob beschwichtigend die Hände und lächelte die beiden Recovains an. »Keinen Grund, unnötig Blut zu vergießen, nicht wahr? Ich bin mir sicher …« Der Mann trat langsam einen Schritt nach vorn, die Hände weiterhin oben. »… dass wir zu einer Einigung kommen, non-ba?«

»Ich kann nicht glauben, dass ich mich darauf einlasse.« Während Basilio seine Niederlage innerlich bereits akzeptiert hatte und sich überlegte, wie wohl die Recorena reagieren würde, wenn sie davon erfährt, dass ihre Agenten beim Tanzen festgenommen wurden, konnte Lucía ihre Aufregung kaum verbergen.

»Vertraue Recorena Lucía und ihrem gut durchdachten Plan, und sie wird dich ins Licht führen … oder so ähnlich.« Sie marschierte bereits zur Tür und hielt vor einem Spiegel inne. Ihr Gesicht wurde ernst, und für einen Moment blickte sie dort keine Recovaina, keine Agentin ihres Glaubens, an – es blickte sie eine junge Frau an, die sich dem wilden Puls von La Perdante anschloss. Ein leises Lächeln umspielte ihre Lippen, und mit einer fließenden Bewegung löste sie die strenge Frisur, wie sie alle Recovains trugen.

Basilio sah sie an; für einen Moment huschte eine winzige Traurigkeit durch ihre Augen, die jedoch ebenso schnell verschwand. Sie blickte zurück und hob die Augenbrauen. »Brauchst du eine Extraeinladung?«

Mit der Tasche auf dem Rücken schritt Basilio zur Tür und versuchte, seine Zweifel zu beseitigen. Lucía würde schon wissen, was sie tat.

Das hoffte er jedenfalls.

Doch bevor er sich weitere Gedanken machen konnte, öffnete Lucía die Tür – und trat ins Neonlicht.

Sofort überwältigten die Eindrücke des Sub Rosa die beiden: Die Musik bestand aus pulsierenden elektronischen Bässen, perfekt abgestimmt auf die Lichtshow, die sich in Lasern und Stroboskopen verlor. Der einladende Geruch von Schweiß, Weihrauch und Alkohol waberte ihnen entgegen und ließ nur einen Bruchteil des Lebens im Club erahnen. Kaum hatten sich ihre Sinne daran gewöhnt, offenbarte sich ihnen das Sub Rosa in seiner Gänze: Der Club befand sich in der ehemaligen Krypta der Kathedrale – eine riesige, mehrstöckige, runde Halle, die vor langer Zeit die Gräber und Monumente einer längst vergessenen Familie enthielt. Heute reihten sich allerdings statt Gräbern Bars und Spielautomaten aneinander, nur unterbrochen von verrauchten Lounges und Säulen, auf denen sich verführerisch Tänzer räkelten. In der Mitte der Krypta lag der Floor, auf dem sich Hunderte Menschen in Ekstase tanzten und im Neonlicht ertranken, nur um dann an anderer Stelle wieder aufzutauchen.

Ein beeindruckendes Bild – und ein Sinnbild der Sünde. Anders als Lucía hatte Basilio nur Verachtung für das Leben und die Menschen von La Perdante übrig.

Er spürte das Gewicht der Tasche und den Riemen, der sich in seine Schulter bohrte. Auch seine militärisch anmutende Kleidung unterschied sich deutlich von den bunten Kleidern und mit abstrakten Mustern versehenen Anzügen der anderen Gäste. Doch auch inmitten all des Neons und der Dekadenz entdeckte Basilio Charaktere wie ihn selbst, die nicht ganz in das Sub Rosa passten: ein Mann, der vollständig in Leder gehüllt war und aus dessen Rücken kunstvoll verzierte Rosen aus Kristallen wuchsen; eine über und über tätowierte Nonne, deren Augen in einem durchdringenden Violett schimmerten. Und auch er ordnete sich trotz seines Aussehens dem Chaos von La Perdante unter.

Lucía hatte recht behalten: In diesem Meer aus Menschen und Lichtblitzen würde ihnen niemand einen zweiten Blick schenken.

Dann packte ihn jemand am Arm und zog ihn beiseite. Lucía. Auch sie war von dem Anblick, der sich ihnen bot, überwältigt, allerdings obsiegte die Neugier vor der Abscheu. Er seufzte innerlich. Auch sie würde sich schon mit der Zeit von ihrer Faszination für La Perdante abwenden.

Er sah, wie sie ihm etwas zurief, verstand allerdings kein Wort und schüttelte nur den Kopf. Sie lächelte für einen Moment und zerrte ihn schließlich in Richtung Tanzfläche, als wäre es das Natürlichste der Welt. Sofort verschlang die Menge die beiden und stieß sie hin und her, machte sie zu einem Teil des Organismus aus Leibern und Kleidern. Er fühlte sich unwohl, wenn er nicht die Kontrolle über die Situation hatte, und presste die Tasche fester an sich. Bloß nicht verlieren, fluchte er. Es würde den beiden noch fehlen, wenn plötzlich Sprengstoff und Recolt auf die Tanzfläche fielen.

Obgleich er sich sicher war, dass das Sanctum Sins solche Dinge gewohnt war.

Ein ruckartiges Ziehen nach vorn riss ihn aus seinen Gedanken, und er schaute zu Lucía, die stehen geblieben war – der Grund dafür baute sich mit einem leeren Grinsen und glasigen Augen vor ihnen auf.

»Schöne Augen«, lallte der Mann ihr ins Gesicht und entließ dabei seinen hochprozentigen Atem. Er musste etwa doppelt so alt wie Lucía sein. »Kommst du mit …« Er ließ den Rest in der Luft liegen, als sei der Satz zu schwer geworden, und während seine Hand schon am Bündchen ihres Gürtels zog, sah Basilio, wie Lucía blitzschnell abwog – zwischen dem Wunsch, nicht aufzufallen, und dem Impuls, das Hindernis schlagartig aus dem Weg zu räumen. Basilio, der in solchen Momenten schneller agierte als dachte, trat zwischen sie und den Mann, nicht hart, sondern wie einer, der um Platz bittet. »Lass das«, sagte er mit dieser Stimme, die in Altarégia schon Türen geöffnet hatte, die für andere verschlossen blieben.

»Was willst du?« Der Mann grinste; ein Schimmer von Mut, der nichts mit ihm zu tun hatte, sondern mit dem, was ihn trug. »Deine-«

Der Schlag war kurz, sauber, fast höflich; Basilios Faust fand das Kinn, und der Mann kippte rückwärts in einen anderen hinein, der sein Glas noch hielt, bis das Glas, überrascht von der Schwerkraft, beschloss, nicht mehr mitzuspielen. Ein paar Hände in der Nähe gingen nach oben, als hätte jemand eine Tanzeinlage gebucht. »Uuuh!«, rief eine Stimme, und irgendein Mädchen klatschte, weil alles, was mit Schwung geschah, Applaus bekam. Lucía lachte in diesen Lärm hinein, als wäre es das Normalste auf der Welt. »Schon gut«, sagte sie, fast schon zu überzeugend. »Er hat’s verdient.« Und die Menge, die immer bereit war, sich auf eine Geschichte zu einigen, nickte. »Noch mal!«, rief jemand. »Lass gut sein!«, ein anderer. Und schon hatte der Tumult sie wieder verschlungen und den Schlagabtausch vergessen.

Die beiden Recovains schoben sich durch die in Ekstase versunkene Menge und quetschten sich schließlich aus der brodelnden Mitte vor eine Bar, an der der Großteil der Getränke in Flammen stand. Basilios Blick wanderte jedoch vorbei zu der knapp dahinter versteckten Tür, die sie in den Personalbereich führen würde. Auch Lucía hatte sie bereits entdeckt. Er deutete unauffällig auf eine verwaiste Flasche »Perdante Veneno«, auf der stolz »56 %« prangte. Sie nickte.

Zeit für ein wenig Ablenkung, wie es die Ardientia mochten.

Mit einer fließenden und dabei unauffälligen Bewegung stieß Lucía die Flasche um, deren Inhalt sich sofort auf dem Tisch ergoss und gierig den Weg zu den offenen Flammen suchte. Sie hatten Glück, dass das Wort »Sicherheitsvorschriften« im Sanctum Sins nur bei amtlichen Untersuchungen durch die Clerarchie eine Rolle spielte.

 

Die beiden Recovains nahmen sich nicht mehr die Zeit, die Folgen ihres Werks zu beobachten – die zischenden Stichflammen und die erschrockenen Aufschreie hinter ihnen waren Hinweis genug, auf direktem Weg zur Tür zu laufen.

Basilio stieß sie auf und ließ zunächst Lucía eintreten, die mit gezogener Waffe den dahinterliegenden Flur prüfte. Er sicherte nach hinten ab und legte routiniert eine Hand auf ihre Schulter, ohne den Blick von der Tür zu wenden. Gemeinsam schlichen sie durch den Personalbereich, der in Weiß gestrichen war und von dem einige Türen abgingen, auf denen Basilio die Wörter »Lager«, »Küche« und schließlich auch »Lounge« erblickte. Durch eben diese letzte Tür führte Lucía ihn und stieß sie vorsichtig mit dem Fuß auf. Auch Basilio drehte sich um, und die beiden Recovains blickten in den Raum.

Ihnen bot sich der Anblick eines dunklen, holzgetäfelten Raums, der mit seinen violetten, verschnörkelten Tapeten und goldenen Kronleuchtern einen besonders edlen Eindruck machte. Im Raum standen mehrere Ledersessel und Spieltische; sie waren verlassen und verwiesen nur durch den kaum wahrnehmbaren Geruch von teurem Tabak auf frühere Besucher. Am Ende des Raums befand sich ein in die Wand eingelassener goldener Safe, der schnellen Zugriff auf Escodinar und Jetons bot, wenn die Einsätze erhöht werden sollten – und vor genau diesem Safe standen drei in Schwarz gekleidete Männer.

Zwei machten sich am Safe zu schaffen, während der dritte, ein älterer Mann, die beiden Recovains bereits erblickt hatte.

Ein edler Anzug, ruhig, eine Brosche in Form einer Hand an seinem Revers. Er sah nicht erstaunt aus, er sah wach aus, und das machte ihn nur umso gefährlicher. Sein Blick wanderte in klarer Reihenfolge an den beiden entlang – Lucías Hände, Basilios Hüfte, die Tür hinter ihnen –, und als er sie wieder ansah, lag in seiner Miene diese höfliche Form von Interesse, die man nur aufsetzt, wenn man die Lage bereits bewertet hat.

»Guten Abend«, sagte er, leise genug für diesen Raum und dennoch mit einer gewissen Autorität in der Stimme. Seine beiden Begleiter hörten es, doch machten sich weiterhin unbeeindruckt am Safe zu schaffen. Sie taten nichts – genau deshalb waren sie bedrohlich. Der alte Mann lächelte knapp, nicht freundlich, nicht spöttisch, eher wie einer, der versteht, dass sich gleich etwas entscheiden würde.

 

Basilio sah an ihm vorbei zum gegenüberliegenden Türrahmen, hinter dem der Gang zum Fahrstuhlbereich liegen musste. Es nützte nichts: Sie mussten an den drei Fremden vorbei. Mühelos folgte der alte Mann seinem Blick und lächelte knapp. In seiner Haltung lag nichts Überflüssiges: Er ließ die offene Hand sichtbar, und doch war in der Distanz zu erkennen, wie wenig Weg sie bis zu der Waffe an seinem Gürtel hätte. Niemand sagte: »Wir haben uns verlaufen.« Niemand fragte: »Was machen Sie hier?« Es war klar, dass hier alle genau dort standen, wo sie beabsichtigten zu stehen, nur eben nicht gleichzeitig. Lucía schaute zu ihm herüber, die Waffe weiterhin in der Luft. Was sollten sie nur tun?

Es war dieser kurze Moment, den der alte Mann nutzte.

Sein leises Pfeifen galt seinen Begleitern, die sich mit einer fließenden und beinahe unmenschlichen Bewegung zu Lucía und Basilio umdrehten – die Waffen gezogen und auf beide gerichtet. Es war viel zu schnell gegangen.

»Aber, aber, Freunde …« Der Mann hob beschwichtigend die Hände und lächelte die beiden Recovains an. »Keinen Grund, unnötig Blut zu vergießen, nicht wahr? Ich bin mir sicher …« Der Mann trat langsam einen Schritt nach vorn, die Hände weiterhin oben. »… dass wir zu einer Einigung kommen, non-ba?«

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