den lichtrig nutzen

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Basilio beugte sich noch einmal über die Karte und schaute sich den Lichtrig genauer an. Die Metallstreben, welche die gesamten Lichter des Sub Rosa trugen, würden genug Deckung bieten und sie hübsch an allen Kameras und Wachen vorbeiführen – von den Besuchern des Clubs ganz zu schweigen. Er hörte, wie auch Lucía sich mit einem entnervten Seufzen über die Karte beugte.

»Gut, dann machen wir es halt so, wie die gruseligen Sandmönche es sich wünschen …« Basilio lächelte und deutete auf einen kleinen Punkt auf der Karte, der drei kleine Metallstreben zeigte. »Wenn wir uns sofort links halten, sollten wir an der Leiter ankommen und niemandem über den Weg laufen. Und dort hinten …«, sein Finger deutete auf dasselbe Symbol ganz am Ende des Raums, »… kommen wir wieder runter und sind genau vor der Tür«, er kreiste das entsprechende Symbol ein, »die zum Fahrstuhl führt.« Er blickte auf und sah in Lucías mürrisches Gesicht. »Klar soweit?« Sie nickte nur und war bereits auf dem Weg zur Tür.

Sie würde es schon überleben – und ihn seine Entscheidung dann beim nächsten Training bei den Recovains spüren lassen.

Er folgte ihr und hörte bereits, wie die dunklen Bässe näher kamen und lauter wurden. Es war nicht seine Art von Musik, aber er konnte durchaus verstehen, wieso es die Bewohner von La Perdante jede Nacht ins Sub Rosa zog. Die pulsierenden Rhythmen hatten etwas Hypnotisches – und würden gewiss niemanden auf die Idee kommen lassen, nach oben zu schauen, während die beiden Recovains über ihren Köpfen herumkraxelten.

Das hoffte er jedenfalls.

Doch bevor er sich weitere Gedanken machen konnte, öffnete Lucía die Tür – und trat ins Neonlicht.

Sofort überwältigten die Eindrücke des Sub Rosa die beiden: Die Musik bestand aus besagten pulsierenden, elektronischen Bässen und war perfekt auf die Lichtshow abgestimmt, die sich in Lasern und Stroboskopen verlor. Der einladende Geruch von Schweiß, Weihrauch und Alkohol waberte ihnen entgegen und ließ nur einen Bruchteil des Lebens im Club erahnen. Kaum hatten sich ihre Sinne daran gewöhnt, offenbarte sich ihnen das Sub Rosa in seiner Gänze: Der Club befand sich in der ehemaligen Krypta der Kathedrale – eine riesige, mehrstöckige, runde Halle, die vor langer Zeit die Gräber und Monumente einer längst vergessenen Familie enthielt. Heute reihten sich allerdings statt Gräbern Bars und Spielautomaten aneinander, nur unterbrochen von verrauchten Lounges und Säulen, auf denen sich verführerisch Tänzer räkelten. In der Mitte der Krypta lag der Floor, auf dem sich Hunderte Menschen in Ekstase tanzten und im Neonlicht ertranken, nur um dann an anderer Stelle wieder aufzutauchen.

Ein beeindruckendes Bild – und ein Sinnbild der Sünde. Anders als Lucía hatte Basilio nur
Verachtung für das Leben und die Menschen von La Perdante übrig.

Lucía stieß ihn an und deutete nach links. Da – dort war die eiserne Leiter, gut versteckt zwischen zwei Säulen. Ein Schild mitsamt Kette hing pflichtschuldig darüber: »Nur für technisches Personal«.

Das Sanctum Sins würde ihnen den kleinen Regelverstoß sicher verzeihen.

Vorsichtig folgte Basilio Lucía zu der Säule und blickte sich gründlich um – alles, was ihnen gefährlich werden konnte, musste im Voraus bedacht werden. Doch sie hatten Glück: kein übereifriger Wachmann, kein schmachtendes Liebespaar in einer dunklen Ecke und auch kein Betrunkener, der ihnen über den Weg lief.

Achtlos warf Lucía die Kette hinunter und blickte einmal prüfend nach oben, bevor sie den Fuß auf die erste Sprosse setzte und zu klettern begann. Basilio wartete einen Moment und sah sich ein letztes Mal um, bevor auch er mit beiden Händen die Leiter ergriff und nach oben stieg. Die tanzenden Menschen, umschlungen zwischen Neon und Musik, erschienen ihm wie ein Gemälde zwischen den Streben und ließen ihn die Dimensionen des Sub Rosa noch einmal begreifen: Dies war nicht einfach nur ein Nachtclub – es war ein Ort, an dem in La Perdante Schicksale entschieden, Geschäfte gemacht und Probleme für wenigstens einen Moment vergessen wurden.

Schließlich kam das Ende der Leiter in Sicht, und er ergriff Lucías Hand, die ihn rasch hinaufzog. Geschafft. Jetzt galt es nur noch, ans andere Ende des Clubs zu kommen.

Vor ihnen bot sich ein spektakuläres und durchaus einschüchterndes Bild: Der Lichtrig selbst war nicht mehr als ein langer Gang, zusammengeschweißt aus mehreren Stahlstangen, an denen die Gerüste mit den Scheinwerfern und Lasern hingen. Alles um sie herum war ständig in Bewegung und warf Licht und Schatten auf die Krypta unter ihnen, während die Stahlstangen von jeder neuen Lichtstimmung erzitterten. Die beiden Recovains mussten vorsichtig einen Schritt vor den anderen setzen, um nicht vom Lichtrig zu stürzen.

Es mussten mindestens zehn bis fünfzehn Meter sein, die sie von den tanzenden Menschen unter ihnen trennten.

Auch Lucía hatte die Höhe bemerkt und deutete auf das Ende des Rigs – je schneller sie von hier oben weg waren, desto besser. Dennoch bemerkte er in ihren Augen Bewunderung für dieses Schauspiel aus Licht und Musik, das die Masse unter ihnen in Ekstase brachte. Unter ihnen war das Leben und die Sünde, während hoch oben der Tod und der Glaube ihren Einzug in das Sanctum Sins hielten.

»Hey! Was macht ihr hier ob …«

Basilio blickte ruckartig nach vorn. Ein verärgert wirkender Mann im Overall, dessen Stoff von Öl und Dreck eine eigenartige Färbung angenommen hatte, baute sich vor ihnen auf. Er hatte sich wohl an einem der Scheinwerfer zu schaffen gemacht und war für das bloße Auge unsichtbar geblieben.

»Ich habe die Schnauze voll von euch – …«

Seine Miene, die sich eben noch in pulsierenden Adern und roter Farbe entlud, wich schnell, als er die beiden schwerbewaffneten Recovains sah, die sich deutlich vom Stahl und Neon abzeichneten.

»Ihr … ihr seid nicht …«

Mit einer einzigen Bewegung ließ Lucía ihren Recolt auf ihn niederfahren und traf ihn seitlich am Kopf, sodass der Mann sofort geräuschlos zu Boden ging und sie ihn fast liebevoll auf dem Rig niederlegte. Sie schüttelte nur den Kopf und warf Basilio einen wütenden Blick zu.

»Ich hab doch gesagt, dass das ein Scheißplan war!« brüllte sie gegen die Musik. Sie hockte sich hin und wühlte im Werkzeuggürtel des Mannes, aus dem sie eine Rolle Kabelbinder und einen schmutzigen Lappen beförderte. »Hier«, sie warf Basilio beides zu, »kümmer dich um ihn. Ich checke derweil die Leiter weiter vorn.« Mit diesen Worten schlich sie den Lichtrig weiter entlang und wurde bald von den Lichtern verschluckt.

Basilio seufzte. Das würde sie ihm noch eine ganze Weile vorhalten.

Mit einigen geübten Bewegungen fesselte er den Mann und stopfte ihm den Lappen in den Mund. Blut tropfte leise von dessen Kopf, aber er würde es wohl überleben. Basilio zögerte. Obwohl bewusstlos, war er dennoch ein Zeuge … er könnte hier und jetzt das Risiko für ihre Mission minimieren. Wie von selbst fuhr seine Hand zum Recolt, bevor er noch einmal innehielt und den Kopf schüttelte. Nein. Die Recovains waren nicht unbedingt für ihr Mitleid bekannt, aber unnötiges Blutvergießen hatte Basilio schon immer verabscheut. Lucía teilte seine Ansicht. Auch deshalb wurden sie häufig gemeinsam auf Missionen geschickt.

Oder weil die Recorena sonst nichts mit den beiden sanften Seelen anfangen konnte.

Basilio zwängte den Mann in einen kleinen Spalt neben einem Scheinwerfer und legte eine herumliegende Jacke über ihn. Bis er gefunden werden würde, wären sie längst verschwunden. Vorsichtig trat er wieder auf die Stahlstangen und schlich weiter zu Lucía, die bereits ungeduldig auf ihn wartete. Sie deutete nach unten und reckte den Daumen. Die Luft war rein.

Dieses Mal kletterte er als Erster nach unten und sprang die letzten Meter, bevor er sich umdrehte und sich umsah. Keine Anzeichen dafür, dass jemand sie entdeckt hatte oder ein Alarm ausgelöst wurde. Das Sub Rosa blieb unbeeindruckt von ihrem kleinen Kunststück, und auch die Menschen waren weiter der Musik und den Lichtern verfallen. Mit einem metallenen Klingen landete Lucía neben ihm und schaute ihn durchdringend an.

»Nie wieder hören wir auf die Sandmönche. Nächstes Mal machen wir es nach meiner Art, alles klar?«

Er starrte sie an, doch sie hielt seinem Blick stand. Dann nickte er. Ihre Miene entspannte sich.

»Gut. Was stehen wir dann noch hier rum?« Sie deutete auf die Tür, die rechts neben ihnen hinter einer Ecke lag, an der eine Bar Getränke servierte, die alle in Flammen standen. Sie mussten nur schnell sein und einen günstigen Moment abpassen, in dem die Bediensteten abgelenkt waren.

Wie als hätte der Herr ihre Gedanken gehört, wurde es mit einem Mal dunkel im Raum, und einzelne Drohnen begannen in einer minutiös abgestimmten Choreografie auf dem Floor das Bild eines goldenen Schädels zu zeichnen, dessen Mund sich öffnete und aus dem Münzen sprudelten. Es war ein beeindruckender Anblick, und die Menschen im Sub Rosa jubelten begeistert auf.

Mehr als das brauchten sie nicht.

Die beiden Recovains huschten unbemerkt an der Bar vorbei, und Basilio positionierte sich rechts neben der Tür, bevor er einen Blick zu Lucía warf. Sie nickte.

Er stieß die Tür auf und ließ zunächst Lucía eintreten, die mit gezogener Waffe den dahinterliegenden Flur prüfte. Er sicherte nach hinten ab und legte routiniert eine Hand auf ihre Schulter, ohne den Blick von der Tür zu wenden. Gemeinsam schlichen sie durch den Personalbereich, der in Weiß gestrichen war und von dem einige Türen abgingen, auf denen Basilio die Wörter »Lager«, »Küche« und schließlich auch »Lounge« erblickte. Durch eben diese letzte Tür führte Lucía ihn und stieß sie vorsichtig mit dem Fuß auf. Auch Basilio drehte sich um, und die beiden Recovains blickten in den Raum.

Ihnen bot sich der Anblick eines dunklen, holzgetäfelten Raums, der mit seinen violetten, verschnörkelten Tapeten und goldenen Kronleuchtern einen besonders edlen Eindruck machte. Im Raum standen mehrere Ledersessel und Spieltische; sie waren verwaist und verwiesen nur durch den kaum wahrnehmbaren Geruch von teurem Tabak auf frühere Besucher. Am Ende des Raums befand sich ein in die Wand eingelassener goldener Safe, der schnellen Zugriff auf Escodinar und Jetons bot, wenn die Einsätze erhöht werden sollten – und vor genau diesem Safe standen drei in Schwarz gekleidete Männer.

Zwei machten sich am Safe zu schaffen, während der dritte, ein älterer Mann, die beiden Recovains bereits erblickt hatte. Ein edler Anzug, ruhig, eine Brosche in Form einer Hand an seinem Revers. Er sah nicht erstaunt aus, er sah wach aus – und das machte ihn nur umso gefährlicher. Sein Blick wanderte in klarer Reihenfolge an den beiden entlang – Lucías Hände, Basilios Hüfte, die Tür hinter ihnen –, und als er sie wieder ansah, lag in seiner Miene diese höfliche Form von Interesse, die man nur aufsetzt, wenn man die Lage bereits bewertet hat.

 

»Guten Abend«, sagte er, leise genug für diesen Raum und dennoch mit einer gewissen Autorität in der Stimme. Seine beiden Begleiter hörten es, doch machten sich weiterhin unbeeindruckt am Safe zu schaffen. Sie taten nichts – genau deshalb waren sie bedrohlich. Der alte Mann lächelte knapp, nicht freundlich, nicht spöttisch, eher wie einer, der versteht, dass sich gleich etwas entscheiden würde.

Basilio sah an ihm vorbei zum gegenüberliegenden Türrahmen, hinter dem der Gang zum Fahrstuhlbereich liegen musste. Es nützte nichts: Sie mussten an den drei Fremden vorbei. Mühelos folgte der alte Mann seinem Blick und lächelte knapp. In seiner Haltung lag nichts Überflüssiges: Er ließ die offene Hand sichtbar, und doch war in der Distanz zu erkennen, wie wenig Weg sie bis zu der Waffe an seinem Gürtel hätte. Niemand sagte: »Wir haben uns verlaufen.« Niemand fragte: »Was machen Sie hier?« Es war klar, dass hier alle genau dort standen, wo sie beabsichtigten zu stehen, nur eben nicht gleichzeitig. Lucía schaute zu ihm herüber, die Waffe weiterhin in der Luft. Was sollten sie nur tun?

Es war dieser kurze Moment, den der alte Mann nutzte.

Sein leises Pfeifen galt seinen Begleitern, die sich mit einer fließenden und beinahe unmenschlichen Bewegung zu Lucía und Basilio umdrehten – die Waffen gezogen und auf beide gerichtet. Es war viel zu schnell gegangen.

»Aber, aber, Freunde …« Der Mann hob beschwichtigend die Hände und lächelte die beiden Recovains an. »Keinen Grund, unnötig Blut zu vergießen, nicht wahr? Ich bin mir sicher …« Er trat langsam einen Schritt nach vorn, die Hände weiterhin oben. »… dass wir zu einer Einigung kommen, non-ba?«

 

 


Basilio beugte sich noch einmal über die Karte und schaute sich den Lichtrig genauer an. Die Metallstreben, welche die gesamten Lichter des Sub Rosa trugen, würden genug Deckung bieten und sie hübsch an allen Kameras und Wachen vorbeiführen – von den Besuchern des Clubs ganz zu schweigen. Er hörte, wie auch Lucía sich mit einem entnervten Seufzen über die Karte beugte.

»Gut, dann machen wir es halt so, wie die gruseligen Sandmönche es sich wünschen …« Basilio lächelte und deutete auf einen kleinen Punkt auf der Karte, der drei kleine Metallstreben zeigte. »Wenn wir uns sofort links halten, sollten wir an der Leiter ankommen und niemandem über den Weg laufen. Und dort hinten …«, sein Finger deutete auf dasselbe Symbol ganz am Ende des Raums, »… kommen wir wieder runter und sind genau vor der Tür«, er kreiste das entsprechende Symbol ein, »die zum Fahrstuhl führt.« Er blickte auf und sah in Lucías mürrisches Gesicht. »Klar soweit?« Sie nickte nur und war bereits auf dem Weg zur Tür.

Sie würde es schon überleben – und ihn seine Entscheidung dann beim nächsten Training bei den Recovains spüren lassen.

Er folgte ihr und hörte bereits, wie die dunklen Bässe näher kamen und lauter wurden. Es war nicht seine Art von Musik, aber er konnte durchaus verstehen, wieso es die Bewohner von La Perdante jede Nacht ins Sub Rosa zog. Die pulsierenden Rhythmen hatten etwas Hypnotisches – und würden gewiss niemanden auf die Idee kommen lassen, nach oben zu schauen, während die beiden Recovains über ihren Köpfen herumkraxelten.

Das hoffte er jedenfalls.

Doch bevor er sich weitere Gedanken machen konnte, öffnete Lucía die Tür – und trat ins Neonlicht.

Sofort überwältigten die Eindrücke des Sub Rosa die beiden: Die Musik bestand aus besagten pulsierenden, elektronischen Bässen und war perfekt auf die Lichtshow abgestimmt, die sich in Lasern und Stroboskopen verlor. Der einladende Geruch von Schweiß, Weihrauch und Alkohol waberte ihnen entgegen und ließ nur einen Bruchteil des Lebens im Club erahnen. Kaum hatten sich ihre Sinne daran gewöhnt, offenbarte sich ihnen das Sub Rosa in seiner Gänze: Der Club befand sich in der ehemaligen Krypta der Kathedrale – eine riesige, mehrstöckige, runde Halle, die vor langer Zeit die Gräber und Monumente einer längst vergessenen Familie enthielt. Heute reihten sich allerdings statt Gräbern Bars und Spielautomaten aneinander, nur unterbrochen von verrauchten Lounges und Säulen, auf denen sich verführerisch Tänzer räkelten. In der Mitte der Krypta lag der Floor, auf dem sich Hunderte Menschen in Ekstase tanzten und im Neonlicht ertranken, nur um dann an anderer Stelle wieder aufzutauchen.

Ein beeindruckendes Bild – und ein Sinnbild der Sünde. Anders als Lucía hatte Basilio nur
Verachtung für das Leben und die Menschen von La Perdante übrig.

Lucía stieß ihn an und deutete nach links. Da – dort war die eiserne Leiter, gut versteckt zwischen zwei Säulen. Ein Schild mitsamt Kette hing pflichtschuldig darüber: »Nur für technisches Personal«.

Das Sanctum Sins würde ihnen den kleinen Regelverstoß sicher verzeihen.

Vorsichtig folgte Basilio Lucía zu der Säule und blickte sich gründlich um – alles, was ihnen gefährlich werden konnte, musste im Voraus bedacht werden. Doch sie hatten Glück: kein übereifriger Wachmann, kein schmachtendes Liebespaar in einer dunklen Ecke und auch kein Betrunkener, der ihnen über den Weg lief.

Achtlos warf Lucía die Kette hinunter und blickte einmal prüfend nach oben, bevor sie den Fuß auf die erste Sprosse setzte und zu klettern begann. Basilio wartete einen Moment und sah sich ein letztes Mal um, bevor auch er mit beiden Händen die Leiter ergriff und nach oben stieg. Die tanzenden Menschen, umschlungen zwischen Neon und Musik, erschienen ihm wie ein Gemälde zwischen den Streben und ließen ihn die Dimensionen des Sub Rosa noch einmal begreifen: Dies war nicht einfach nur ein Nachtclub – es war ein Ort, an dem in La Perdante Schicksale entschieden, Geschäfte gemacht und Probleme für wenigstens einen Moment vergessen wurden.

Schließlich kam das Ende der Leiter in Sicht, und er ergriff Lucías Hand, die ihn rasch hinaufzog. Geschafft. Jetzt galt es nur noch, ans andere Ende des Clubs zu kommen.

Vor ihnen bot sich ein spektakuläres und durchaus einschüchterndes Bild: Der Lichtrig selbst war nicht mehr als ein langer Gang, zusammengeschweißt aus mehreren Stahlstangen, an denen die Gerüste mit den Scheinwerfern und Lasern hingen. Alles um sie herum war ständig in Bewegung und warf Licht und Schatten auf die Krypta unter ihnen, während die Stahlstangen von jeder neuen Lichtstimmung erzitterten. Die beiden Recovains mussten vorsichtig einen Schritt vor den anderen setzen, um nicht vom Lichtrig zu stürzen.

Es mussten mindestens zehn bis fünfzehn Meter sein, die sie von den tanzenden Menschen unter ihnen trennten.

Auch Lucía hatte die Höhe bemerkt und deutete auf das Ende des Rigs – je schneller sie von hier oben weg waren, desto besser. Dennoch bemerkte er in ihren Augen Bewunderung für dieses Schauspiel aus Licht und Musik, das die Masse unter ihnen in Ekstase brachte. Unter ihnen war das Leben und die Sünde, während hoch oben der Tod und der Glaube ihren Einzug in das Sanctum Sins hielten.

»Hey! Was macht ihr hier ob …«

Basilio blickte ruckartig nach vorn. Ein verärgert wirkender Mann im Overall, dessen Stoff von Öl und Dreck eine eigenartige Färbung angenommen hatte, baute sich vor ihnen auf. Er hatte sich wohl an einem der Scheinwerfer zu schaffen gemacht und war für das bloße Auge unsichtbar geblieben.

»Ich habe die Schnauze voll von euch – …«

Seine Miene, die sich eben noch in pulsierenden Adern und roter Farbe entlud, wich schnell, als er die beiden schwerbewaffneten Recovains sah, die sich deutlich vom Stahl und Neon abzeichneten.

»Ihr … ihr seid nicht …«

Mit einer einzigen Bewegung ließ Lucía ihren Recolt auf ihn niederfahren und traf ihn seitlich am Kopf, sodass der Mann sofort geräuschlos zu Boden ging und sie ihn fast liebevoll auf dem Rig niederlegte. Sie schüttelte nur den Kopf und warf Basilio einen wütenden Blick zu.

»Ich hab doch gesagt, dass das ein Scheißplan war!« brüllte sie gegen die Musik. Sie hockte sich hin und wühlte im Werkzeuggürtel des Mannes, aus dem sie eine Rolle Kabelbinder und einen schmutzigen Lappen beförderte. »Hier«, sie warf Basilio beides zu, »kümmer dich um ihn. Ich checke derweil die Leiter weiter vorn.« Mit diesen Worten schlich sie den Lichtrig weiter entlang und wurde bald von den Lichtern verschluckt.

Basilio seufzte. Das würde sie ihm noch eine ganze Weile vorhalten.

Mit einigen geübten Bewegungen fesselte er den Mann und stopfte ihm den Lappen in den Mund. Blut tropfte leise von dessen Kopf, aber er würde es wohl überleben. Basilio zögerte. Obwohl bewusstlos, war er dennoch ein Zeuge … er könnte hier und jetzt das Risiko für ihre Mission minimieren. Wie von selbst fuhr seine Hand zum Recolt, bevor er noch einmal innehielt und den Kopf schüttelte. Nein. Die Recovains waren nicht unbedingt für ihr Mitleid bekannt, aber unnötiges Blutvergießen hatte Basilio schon immer verabscheut. Lucía teilte seine Ansicht. Auch deshalb wurden sie häufig gemeinsam auf Missionen geschickt.

Oder weil die Recorena sonst nichts mit den beiden sanften Seelen anfangen konnte.

Basilio zwängte den Mann in einen kleinen Spalt neben einem Scheinwerfer und legte eine herumliegende Jacke über ihn. Bis er gefunden werden würde, wären sie längst verschwunden. Vorsichtig trat er wieder auf die Stahlstangen und schlich weiter zu Lucía, die bereits ungeduldig auf ihn wartete. Sie deutete nach unten und reckte den Daumen. Die Luft war rein.

Dieses Mal kletterte er als Erster nach unten und sprang die letzten Meter, bevor er sich umdrehte und sich umsah. Keine Anzeichen dafür, dass jemand sie entdeckt hatte oder ein Alarm ausgelöst wurde. Das Sub Rosa blieb unbeeindruckt von ihrem kleinen Kunststück, und auch die Menschen waren weiter der Musik und den Lichtern verfallen. Mit einem metallenen Klingen landete Lucía neben ihm und schaute ihn durchdringend an.

»Nie wieder hören wir auf die Sandmönche. Nächstes Mal machen wir es nach meiner Art, alles klar?«

Er starrte sie an, doch sie hielt seinem Blick stand. Dann nickte er. Ihre Miene entspannte sich.

»Gut. Was stehen wir dann noch hier rum?« Sie deutete auf die Tür, die rechts neben ihnen hinter einer Ecke lag, an der eine Bar Getränke servierte, die alle in Flammen standen. Sie mussten nur schnell sein und einen günstigen Moment abpassen, in dem die Bediensteten abgelenkt waren.

Wie als hätte der Herr ihre Gedanken gehört, wurde es mit einem Mal dunkel im Raum, und einzelne Drohnen begannen in einer minutiös abgestimmten Choreografie auf dem Floor das Bild eines goldenen Schädels zu zeichnen, dessen Mund sich öffnete und aus dem Münzen sprudelten. Es war ein beeindruckender Anblick, und die Menschen im Sub Rosa jubelten begeistert auf.

Mehr als das brauchten sie nicht.

Die beiden Recovains huschten unbemerkt an der Bar vorbei, und Basilio positionierte sich rechts neben der Tür, bevor er einen Blick zu Lucía warf. Sie nickte.

Er stieß die Tür auf und ließ zunächst Lucía eintreten, die mit gezogener Waffe den dahinterliegenden Flur prüfte. Er sicherte nach hinten ab und legte routiniert eine Hand auf ihre Schulter, ohne den Blick von der Tür zu wenden. Gemeinsam schlichen sie durch den Personalbereich, der in Weiß gestrichen war und von dem einige Türen abgingen, auf denen Basilio die Wörter »Lager«, »Küche« und schließlich auch »Lounge« erblickte. Durch eben diese letzte Tür führte Lucía ihn und stieß sie vorsichtig mit dem Fuß auf. Auch Basilio drehte sich um, und die beiden Recovains blickten in den Raum.

Ihnen bot sich der Anblick eines dunklen, holzgetäfelten Raums, der mit seinen violetten, verschnörkelten Tapeten und goldenen Kronleuchtern einen besonders edlen Eindruck machte. Im Raum standen mehrere Ledersessel und Spieltische; sie waren verwaist und verwiesen nur durch den kaum wahrnehmbaren Geruch von teurem Tabak auf frühere Besucher. Am Ende des Raums befand sich ein in die Wand eingelassener goldener Safe, der schnellen Zugriff auf Escodinar und Jetons bot, wenn die Einsätze erhöht werden sollten – und vor genau diesem Safe standen drei in Schwarz gekleidete Männer.

Zwei machten sich am Safe zu schaffen, während der dritte, ein älterer Mann, die beiden Recovains bereits erblickt hatte. Ein edler Anzug, ruhig, eine Brosche in Form einer Hand an seinem Revers. Er sah nicht erstaunt aus, er sah wach aus – und das machte ihn nur umso gefährlicher. Sein Blick wanderte in klarer Reihenfolge an den beiden entlang – Lucías Hände, Basilios Hüfte, die Tür hinter ihnen –, und als er sie wieder ansah, lag in seiner Miene diese höfliche Form von Interesse, die man nur aufsetzt, wenn man die Lage bereits bewertet hat.

 

»Guten Abend«, sagte er, leise genug für diesen Raum und dennoch mit einer gewissen Autorität in der Stimme. Seine beiden Begleiter hörten es, doch machten sich weiterhin unbeeindruckt am Safe zu schaffen. Sie taten nichts – genau deshalb waren sie bedrohlich. Der alte Mann lächelte knapp, nicht freundlich, nicht spöttisch, eher wie einer, der versteht, dass sich gleich etwas entscheiden würde.

Basilio sah an ihm vorbei zum gegenüberliegenden Türrahmen, hinter dem der Gang zum Fahrstuhlbereich liegen musste. Es nützte nichts: Sie mussten an den drei Fremden vorbei. Mühelos folgte der alte Mann seinem Blick und lächelte knapp. In seiner Haltung lag nichts Überflüssiges: Er ließ die offene Hand sichtbar, und doch war in der Distanz zu erkennen, wie wenig Weg sie bis zu der Waffe an seinem Gürtel hätte. Niemand sagte: »Wir haben uns verlaufen.« Niemand fragte: »Was machen Sie hier?« Es war klar, dass hier alle genau dort standen, wo sie beabsichtigten zu stehen, nur eben nicht gleichzeitig. Lucía schaute zu ihm herüber, die Waffe weiterhin in der Luft. Was sollten sie nur tun?

Es war dieser kurze Moment, den der alte Mann nutzte.

Sein leises Pfeifen galt seinen Begleitern, die sich mit einer fließenden und beinahe unmenschlichen Bewegung zu Lucía und Basilio umdrehten – die Waffen gezogen und auf beide gerichtet. Es war viel zu schnell gegangen.

»Aber, aber, Freunde …« Der Mann hob beschwichtigend die Hände und lächelte die beiden Recovains an. »Keinen Grund, unnötig Blut zu vergießen, nicht wahr? Ich bin mir sicher …« Er trat langsam einen Schritt nach vorn, die Hände weiterhin oben. »… dass wir zu einer Einigung kommen, non-ba?«

 

 


Basilio beugte sich noch einmal über die Karte und schaute sich den Lichtrig genauer an. Die Metallstreben, welche die gesamten Lichter des Sub Rosa trugen, würden genug Deckung bieten und sie hübsch an allen Kameras und Wachen vorbeiführen – von den Besuchern des Clubs ganz zu schweigen. Er hörte, wie auch Lucía sich mit einem entnervten Seufzen über die Karte beugte.

»Gut, dann machen wir es halt so, wie die gruseligen Sandmönche es sich wünschen …« Basilio lächelte und deutete auf einen kleinen Punkt auf der Karte, der drei kleine Metallstreben zeigte. »Wenn wir uns sofort links halten, sollten wir an der Leiter ankommen und niemandem über den Weg laufen. Und dort hinten …«, sein Finger deutete auf dasselbe Symbol ganz am Ende des Raums, »… kommen wir wieder runter und sind genau vor der Tür«, er kreiste das entsprechende Symbol ein, »die zum Fahrstuhl führt.« Er blickte auf und sah in Lucías mürrisches Gesicht. »Klar soweit?« Sie nickte nur und war bereits auf dem Weg zur Tür.

Sie würde es schon überleben – und ihn seine Entscheidung dann beim nächsten Training bei den Recovains spüren lassen.

Er folgte ihr und hörte bereits, wie die dunklen Bässe näher kamen und lauter wurden. Es war nicht seine Art von Musik, aber er konnte durchaus verstehen, wieso es die Bewohner von La Perdante jede Nacht ins Sub Rosa zog. Die pulsierenden Rhythmen hatten etwas Hypnotisches – und würden gewiss niemanden auf die Idee kommen lassen, nach oben zu schauen, während die beiden Recovains über ihren Köpfen herumkraxelten.

Das hoffte er jedenfalls.

Doch bevor er sich weitere Gedanken machen konnte, öffnete Lucía die Tür – und trat ins Neonlicht.

Sofort überwältigten die Eindrücke des Sub Rosa die beiden: Die Musik bestand aus besagten pulsierenden, elektronischen Bässen und war perfekt auf die Lichtshow abgestimmt, die sich in Lasern und Stroboskopen verlor. Der einladende Geruch von Schweiß, Weihrauch und Alkohol waberte ihnen entgegen und ließ nur einen Bruchteil des Lebens im Club erahnen. Kaum hatten sich ihre Sinne daran gewöhnt, offenbarte sich ihnen das Sub Rosa in seiner Gänze: Der Club befand sich in der ehemaligen Krypta der Kathedrale – eine riesige, mehrstöckige, runde Halle, die vor langer Zeit die Gräber und Monumente einer längst vergessenen Familie enthielt. Heute reihten sich allerdings statt Gräbern Bars und Spielautomaten aneinander, nur unterbrochen von verrauchten Lounges und Säulen, auf denen sich verführerisch Tänzer räkelten. In der Mitte der Krypta lag der Floor, auf dem sich Hunderte Menschen in Ekstase tanzten und im Neonlicht ertranken, nur um dann an anderer Stelle wieder aufzutauchen.

Ein beeindruckendes Bild – und ein Sinnbild der Sünde. Anders als Lucía hatte Basilio nur
Verachtung für das Leben und die Menschen von La Perdante übrig.

Lucía stieß ihn an und deutete nach links. Da – dort war die eiserne Leiter, gut versteckt zwischen zwei Säulen. Ein Schild mitsamt Kette hing pflichtschuldig darüber: »Nur für technisches Personal«.

Das Sanctum Sins würde ihnen den kleinen Regelverstoß sicher verzeihen.

Vorsichtig folgte Basilio Lucía zu der Säule und blickte sich gründlich um – alles, was ihnen gefährlich werden konnte, musste im Voraus bedacht werden. Doch sie hatten Glück: kein übereifriger Wachmann, kein schmachtendes Liebespaar in einer dunklen Ecke und auch kein Betrunkener, der ihnen über den Weg lief.

Achtlos warf Lucía die Kette hinunter und blickte einmal prüfend nach oben, bevor sie den Fuß auf die erste Sprosse setzte und zu klettern begann. Basilio wartete einen Moment und sah sich ein letztes Mal um, bevor auch er mit beiden Händen die Leiter ergriff und nach oben stieg. Die tanzenden Menschen, umschlungen zwischen Neon und Musik, erschienen ihm wie ein Gemälde zwischen den Streben und ließen ihn die Dimensionen des Sub Rosa noch einmal begreifen: Dies war nicht einfach nur ein Nachtclub – es war ein Ort, an dem in La Perdante Schicksale entschieden, Geschäfte gemacht und Probleme für wenigstens einen Moment vergessen wurden.

Schließlich kam das Ende der Leiter in Sicht, und er ergriff Lucías Hand, die ihn rasch hinaufzog. Geschafft. Jetzt galt es nur noch, ans andere Ende des Clubs zu kommen.

Vor ihnen bot sich ein spektakuläres und durchaus einschüchterndes Bild: Der Lichtrig selbst war nicht mehr als ein langer Gang, zusammengeschweißt aus mehreren Stahlstangen, an denen die Gerüste mit den Scheinwerfern und Lasern hingen. Alles um sie herum war ständig in Bewegung und warf Licht und Schatten auf die Krypta unter ihnen, während die Stahlstangen von jeder neuen Lichtstimmung erzitterten. Die beiden Recovains mussten vorsichtig einen Schritt vor den anderen setzen, um nicht vom Lichtrig zu stürzen.

Es mussten mindestens zehn bis fünfzehn Meter sein, die sie von den tanzenden Menschen unter ihnen trennten.

Auch Lucía hatte die Höhe bemerkt und deutete auf das Ende des Rigs – je schneller sie von hier oben weg waren, desto besser. Dennoch bemerkte er in ihren Augen Bewunderung für dieses Schauspiel aus Licht und Musik, das die Masse unter ihnen in Ekstase brachte. Unter ihnen war das Leben und die Sünde, während hoch oben der Tod und der Glaube ihren Einzug in das Sanctum Sins hielten.

»Hey! Was macht ihr hier ob …«

Basilio blickte ruckartig nach vorn. Ein verärgert wirkender Mann im Overall, dessen Stoff von Öl und Dreck eine eigenartige Färbung angenommen hatte, baute sich vor ihnen auf. Er hatte sich wohl an einem der Scheinwerfer zu schaffen gemacht und war für das bloße Auge unsichtbar geblieben.

»Ich habe die Schnauze voll von euch – …«

Seine Miene, die sich eben noch in pulsierenden Adern und roter Farbe entlud, wich schnell, als er die beiden schwerbewaffneten Recovains sah, die sich deutlich vom Stahl und Neon abzeichneten.

»Ihr … ihr seid nicht …«

Mit einer einzigen Bewegung ließ Lucía ihren Recolt auf ihn niederfahren und traf ihn seitlich am Kopf, sodass der Mann sofort geräuschlos zu Boden ging und sie ihn fast liebevoll auf dem Rig niederlegte. Sie schüttelte nur den Kopf und warf Basilio einen wütenden Blick zu.

»Ich hab doch gesagt, dass das ein Scheißplan war!« brüllte sie gegen die Musik. Sie hockte sich hin und wühlte im Werkzeuggürtel des Mannes, aus dem sie eine Rolle Kabelbinder und einen schmutzigen Lappen beförderte. »Hier«, sie warf Basilio beides zu, »kümmer dich um ihn. Ich checke derweil die Leiter weiter vorn.« Mit diesen Worten schlich sie den Lichtrig weiter entlang und wurde bald von den Lichtern verschluckt.

Basilio seufzte. Das würde sie ihm noch eine ganze Weile vorhalten.

Mit einigen geübten Bewegungen fesselte er den Mann und stopfte ihm den Lappen in den Mund. Blut tropfte leise von dessen Kopf, aber er würde es wohl überleben. Basilio zögerte. Obwohl bewusstlos, war er dennoch ein Zeuge … er könnte hier und jetzt das Risiko für ihre Mission minimieren. Wie von selbst fuhr seine Hand zum Recolt, bevor er noch einmal innehielt und den Kopf schüttelte. Nein. Die Recovains waren nicht unbedingt für ihr Mitleid bekannt, aber unnötiges Blutvergießen hatte Basilio schon immer verabscheut. Lucía teilte seine Ansicht. Auch deshalb wurden sie häufig gemeinsam auf Missionen geschickt.

Oder weil die Recorena sonst nichts mit den beiden sanften Seelen anfangen konnte.

Basilio zwängte den Mann in einen kleinen Spalt neben einem Scheinwerfer und legte eine herumliegende Jacke über ihn. Bis er gefunden werden würde, wären sie längst verschwunden. Vorsichtig trat er wieder auf die Stahlstangen und schlich weiter zu Lucía, die bereits ungeduldig auf ihn wartete. Sie deutete nach unten und reckte den Daumen. Die Luft war rein.

Dieses Mal kletterte er als Erster nach unten und sprang die letzten Meter, bevor er sich umdrehte und sich umsah. Keine Anzeichen dafür, dass jemand sie entdeckt hatte oder ein Alarm ausgelöst wurde. Das Sub Rosa blieb unbeeindruckt von ihrem kleinen Kunststück, und auch die Menschen waren weiter der Musik und den Lichtern verfallen. Mit einem metallenen Klingen landete Lucía neben ihm und schaute ihn durchdringend an.

»Nie wieder hören wir auf die Sandmönche. Nächstes Mal machen wir es nach meiner Art, alles klar?«

Er starrte sie an, doch sie hielt seinem Blick stand. Dann nickte er. Ihre Miene entspannte sich.

»Gut. Was stehen wir dann noch hier rum?« Sie deutete auf die Tür, die rechts neben ihnen hinter einer Ecke lag, an der eine Bar Getränke servierte, die alle in Flammen standen. Sie mussten nur schnell sein und einen günstigen Moment abpassen, in dem die Bediensteten abgelenkt waren.

Wie als hätte der Herr ihre Gedanken gehört, wurde es mit einem Mal dunkel im Raum, und einzelne Drohnen begannen in einer minutiös abgestimmten Choreografie auf dem Floor das Bild eines goldenen Schädels zu zeichnen, dessen Mund sich öffnete und aus dem Münzen sprudelten. Es war ein beeindruckender Anblick, und die Menschen im Sub Rosa jubelten begeistert auf.

Mehr als das brauchten sie nicht.

Die beiden Recovains huschten unbemerkt an der Bar vorbei, und Basilio positionierte sich rechts neben der Tür, bevor er einen Blick zu Lucía warf. Sie nickte.

Er stieß die Tür auf und ließ zunächst Lucía eintreten, die mit gezogener Waffe den dahinterliegenden Flur prüfte. Er sicherte nach hinten ab und legte routiniert eine Hand auf ihre Schulter, ohne den Blick von der Tür zu wenden. Gemeinsam schlichen sie durch den Personalbereich, der in Weiß gestrichen war und von dem einige Türen abgingen, auf denen Basilio die Wörter »Lager«, »Küche« und schließlich auch »Lounge« erblickte. Durch eben diese letzte Tür führte Lucía ihn und stieß sie vorsichtig mit dem Fuß auf. Auch Basilio drehte sich um, und die beiden Recovains blickten in den Raum.

Ihnen bot sich der Anblick eines dunklen, holzgetäfelten Raums, der mit seinen violetten, verschnörkelten Tapeten und goldenen Kronleuchtern einen besonders edlen Eindruck machte. Im Raum standen mehrere Ledersessel und Spieltische; sie waren verwaist und verwiesen nur durch den kaum wahrnehmbaren Geruch von teurem Tabak auf frühere Besucher. Am Ende des Raums befand sich ein in die Wand eingelassener goldener Safe, der schnellen Zugriff auf Escodinar und Jetons bot, wenn die Einsätze erhöht werden sollten – und vor genau diesem Safe standen drei in Schwarz gekleidete Männer.

Zwei machten sich am Safe zu schaffen, während der dritte, ein älterer Mann, die beiden Recovains bereits erblickt hatte. Ein edler Anzug, ruhig, eine Brosche in Form einer Hand an seinem Revers. Er sah nicht erstaunt aus, er sah wach aus – und das machte ihn nur umso gefährlicher. Sein Blick wanderte in klarer Reihenfolge an den beiden entlang – Lucías Hände, Basilios Hüfte, die Tür hinter ihnen –, und als er sie wieder ansah, lag in seiner Miene diese höfliche Form von Interesse, die man nur aufsetzt, wenn man die Lage bereits bewertet hat.

 

»Guten Abend«, sagte er, leise genug für diesen Raum und dennoch mit einer gewissen Autorität in der Stimme. Seine beiden Begleiter hörten es, doch machten sich weiterhin unbeeindruckt am Safe zu schaffen. Sie taten nichts – genau deshalb waren sie bedrohlich. Der alte Mann lächelte knapp, nicht freundlich, nicht spöttisch, eher wie einer, der versteht, dass sich gleich etwas entscheiden würde.

Basilio sah an ihm vorbei zum gegenüberliegenden Türrahmen, hinter dem der Gang zum Fahrstuhlbereich liegen musste. Es nützte nichts: Sie mussten an den drei Fremden vorbei. Mühelos folgte der alte Mann seinem Blick und lächelte knapp. In seiner Haltung lag nichts Überflüssiges: Er ließ die offene Hand sichtbar, und doch war in der Distanz zu erkennen, wie wenig Weg sie bis zu der Waffe an seinem Gürtel hätte. Niemand sagte: »Wir haben uns verlaufen.« Niemand fragte: »Was machen Sie hier?« Es war klar, dass hier alle genau dort standen, wo sie beabsichtigten zu stehen, nur eben nicht gleichzeitig. Lucía schaute zu ihm herüber, die Waffe weiterhin in der Luft. Was sollten sie nur tun?

Es war dieser kurze Moment, den der alte Mann nutzte.

Sein leises Pfeifen galt seinen Begleitern, die sich mit einer fließenden und beinahe unmenschlichen Bewegung zu Lucía und Basilio umdrehten – die Waffen gezogen und auf beide gerichtet. Es war viel zu schnell gegangen.

»Aber, aber, Freunde …« Der Mann hob beschwichtigend die Hände und lächelte die beiden Recovains an. »Keinen Grund, unnötig Blut zu vergießen, nicht wahr? Ich bin mir sicher …« Er trat langsam einen Schritt nach vorn, die Hände weiterhin oben. »… dass wir zu einer Einigung kommen, non-ba?«

 

 


Basilio beugte sich noch einmal über die Karte und schaute sich den Lichtrig genauer an. Die Metallstreben, welche die gesamten Lichter des Sub Rosa trugen, würden genug Deckung bieten und sie hübsch an allen Kameras und Wachen vorbeiführen – von den Besuchern des Clubs ganz zu schweigen. Er hörte, wie auch Lucía sich mit einem entnervten Seufzen über die Karte beugte.

»Gut, dann machen wir es halt so, wie die gruseligen Sandmönche es sich wünschen …« Basilio lächelte und deutete auf einen kleinen Punkt auf der Karte, der drei kleine Metallstreben zeigte. »Wenn wir uns sofort links halten, sollten wir an der Leiter ankommen und niemandem über den Weg laufen. Und dort hinten …«, sein Finger deutete auf dasselbe Symbol ganz am Ende des Raums, »… kommen wir wieder runter und sind genau vor der Tür«, er kreiste das entsprechende Symbol ein, »die zum Fahrstuhl führt.« Er blickte auf und sah in Lucías mürrisches Gesicht. »Klar soweit?« Sie nickte nur und war bereits auf dem Weg zur Tür.

Sie würde es schon überleben – und ihn seine Entscheidung dann beim nächsten Training bei den Recovains spüren lassen.

Er folgte ihr und hörte bereits, wie die dunklen Bässe näher kamen und lauter wurden. Es war nicht seine Art von Musik, aber er konnte durchaus verstehen, wieso es die Bewohner von La Perdante jede Nacht ins Sub Rosa zog. Die pulsierenden Rhythmen hatten etwas Hypnotisches – und würden gewiss niemanden auf die Idee kommen lassen, nach oben zu schauen, während die beiden Recovains über ihren Köpfen herumkraxelten.

Das hoffte er jedenfalls.

Doch bevor er sich weitere Gedanken machen konnte, öffnete Lucía die Tür – und trat ins Neonlicht.

Sofort überwältigten die Eindrücke des Sub Rosa die beiden: Die Musik bestand aus besagten pulsierenden, elektronischen Bässen und war perfekt auf die Lichtshow abgestimmt, die sich in Lasern und Stroboskopen verlor. Der einladende Geruch von Schweiß, Weihrauch und Alkohol waberte ihnen entgegen und ließ nur einen Bruchteil des Lebens im Club erahnen. Kaum hatten sich ihre Sinne daran gewöhnt, offenbarte sich ihnen das Sub Rosa in seiner Gänze: Der Club befand sich in der ehemaligen Krypta der Kathedrale – eine riesige, mehrstöckige, runde Halle, die vor langer Zeit die Gräber und Monumente einer längst vergessenen Familie enthielt. Heute reihten sich allerdings statt Gräbern Bars und Spielautomaten aneinander, nur unterbrochen von verrauchten Lounges und Säulen, auf denen sich verführerisch Tänzer räkelten. In der Mitte der Krypta lag der Floor, auf dem sich Hunderte Menschen in Ekstase tanzten und im Neonlicht ertranken, nur um dann an anderer Stelle wieder aufzutauchen.

Ein beeindruckendes Bild – und ein Sinnbild der Sünde. Anders als Lucía hatte Basilio nur
Verachtung für das Leben und die Menschen von La Perdante übrig.

Lucía stieß ihn an und deutete nach links. Da – dort war die eiserne Leiter, gut versteckt zwischen zwei Säulen. Ein Schild mitsamt Kette hing pflichtschuldig darüber: »Nur für technisches Personal«.

Das Sanctum Sins würde ihnen den kleinen Regelverstoß sicher verzeihen.

Vorsichtig folgte Basilio Lucía zu der Säule und blickte sich gründlich um – alles, was ihnen gefährlich werden konnte, musste im Voraus bedacht werden. Doch sie hatten Glück: kein übereifriger Wachmann, kein schmachtendes Liebespaar in einer dunklen Ecke und auch kein Betrunkener, der ihnen über den Weg lief.

Achtlos warf Lucía die Kette hinunter und blickte einmal prüfend nach oben, bevor sie den Fuß auf die erste Sprosse setzte und zu klettern begann. Basilio wartete einen Moment und sah sich ein letztes Mal um, bevor auch er mit beiden Händen die Leiter ergriff und nach oben stieg. Die tanzenden Menschen, umschlungen zwischen Neon und Musik, erschienen ihm wie ein Gemälde zwischen den Streben und ließen ihn die Dimensionen des Sub Rosa noch einmal begreifen: Dies war nicht einfach nur ein Nachtclub – es war ein Ort, an dem in La Perdante Schicksale entschieden, Geschäfte gemacht und Probleme für wenigstens einen Moment vergessen wurden.

Schließlich kam das Ende der Leiter in Sicht, und er ergriff Lucías Hand, die ihn rasch hinaufzog. Geschafft. Jetzt galt es nur noch, ans andere Ende des Clubs zu kommen.

Vor ihnen bot sich ein spektakuläres und durchaus einschüchterndes Bild: Der Lichtrig selbst war nicht mehr als ein langer Gang, zusammengeschweißt aus mehreren Stahlstangen, an denen die Gerüste mit den Scheinwerfern und Lasern hingen. Alles um sie herum war ständig in Bewegung und warf Licht und Schatten auf die Krypta unter ihnen, während die Stahlstangen von jeder neuen Lichtstimmung erzitterten. Die beiden Recovains mussten vorsichtig einen Schritt vor den anderen setzen, um nicht vom Lichtrig zu stürzen.

Es mussten mindestens zehn bis fünfzehn Meter sein, die sie von den tanzenden Menschen unter ihnen trennten.

Auch Lucía hatte die Höhe bemerkt und deutete auf das Ende des Rigs – je schneller sie von hier oben weg waren, desto besser. Dennoch bemerkte er in ihren Augen Bewunderung für dieses Schauspiel aus Licht und Musik, das die Masse unter ihnen in Ekstase brachte. Unter ihnen war das Leben und die Sünde, während hoch oben der Tod und der Glaube ihren Einzug in das Sanctum Sins hielten.

»Hey! Was macht ihr hier ob …«

Basilio blickte ruckartig nach vorn. Ein verärgert wirkender Mann im Overall, dessen Stoff von Öl und Dreck eine eigenartige Färbung angenommen hatte, baute sich vor ihnen auf. Er hatte sich wohl an einem der Scheinwerfer zu schaffen gemacht und war für das bloße Auge unsichtbar geblieben.

»Ich habe die Schnauze voll von euch – …«

Seine Miene, die sich eben noch in pulsierenden Adern und roter Farbe entlud, wich schnell, als er die beiden schwerbewaffneten Recovains sah, die sich deutlich vom Stahl und Neon abzeichneten.

»Ihr … ihr seid nicht …«

Mit einer einzigen Bewegung ließ Lucía ihren Recolt auf ihn niederfahren und traf ihn seitlich am Kopf, sodass der Mann sofort geräuschlos zu Boden ging und sie ihn fast liebevoll auf dem Rig niederlegte. Sie schüttelte nur den Kopf und warf Basilio einen wütenden Blick zu.

»Ich hab doch gesagt, dass das ein Scheißplan war!« brüllte sie gegen die Musik. Sie hockte sich hin und wühlte im Werkzeuggürtel des Mannes, aus dem sie eine Rolle Kabelbinder und einen schmutzigen Lappen beförderte. »Hier«, sie warf Basilio beides zu, »kümmer dich um ihn. Ich checke derweil die Leiter weiter vorn.« Mit diesen Worten schlich sie den Lichtrig weiter entlang und wurde bald von den Lichtern verschluckt.

Basilio seufzte. Das würde sie ihm noch eine ganze Weile vorhalten.

Mit einigen geübten Bewegungen fesselte er den Mann und stopfte ihm den Lappen in den Mund. Blut tropfte leise von dessen Kopf, aber er würde es wohl überleben. Basilio zögerte. Obwohl bewusstlos, war er dennoch ein Zeuge … er könnte hier und jetzt das Risiko für ihre Mission minimieren. Wie von selbst fuhr seine Hand zum Recolt, bevor er noch einmal innehielt und den Kopf schüttelte. Nein. Die Recovains waren nicht unbedingt für ihr Mitleid bekannt, aber unnötiges Blutvergießen hatte Basilio schon immer verabscheut. Lucía teilte seine Ansicht. Auch deshalb wurden sie häufig gemeinsam auf Missionen geschickt.

Oder weil die Recorena sonst nichts mit den beiden sanften Seelen anfangen konnte.

Basilio zwängte den Mann in einen kleinen Spalt neben einem Scheinwerfer und legte eine herumliegende Jacke über ihn. Bis er gefunden werden würde, wären sie längst verschwunden. Vorsichtig trat er wieder auf die Stahlstangen und schlich weiter zu Lucía, die bereits ungeduldig auf ihn wartete. Sie deutete nach unten und reckte den Daumen. Die Luft war rein.

Dieses Mal kletterte er als Erster nach unten und sprang die letzten Meter, bevor er sich umdrehte und sich umsah. Keine Anzeichen dafür, dass jemand sie entdeckt hatte oder ein Alarm ausgelöst wurde. Das Sub Rosa blieb unbeeindruckt von ihrem kleinen Kunststück, und auch die Menschen waren weiter der Musik und den Lichtern verfallen. Mit einem metallenen Klingen landete Lucía neben ihm und schaute ihn durchdringend an.

»Nie wieder hören wir auf die Sandmönche. Nächstes Mal machen wir es nach meiner Art, alles klar?«

Er starrte sie an, doch sie hielt seinem Blick stand. Dann nickte er. Ihre Miene entspannte sich.

»Gut. Was stehen wir dann noch hier rum?« Sie deutete auf die Tür, die rechts neben ihnen hinter einer Ecke lag, an der eine Bar Getränke servierte, die alle in Flammen standen. Sie mussten nur schnell sein und einen günstigen Moment abpassen, in dem die Bediensteten abgelenkt waren.

Wie als hätte der Herr ihre Gedanken gehört, wurde es mit einem Mal dunkel im Raum, und einzelne Drohnen begannen in einer minutiös abgestimmten Choreografie auf dem Floor das Bild eines goldenen Schädels zu zeichnen, dessen Mund sich öffnete und aus dem Münzen sprudelten. Es war ein beeindruckender Anblick, und die Menschen im Sub Rosa jubelten begeistert auf.

Mehr als das brauchten sie nicht.

Die beiden Recovains huschten unbemerkt an der Bar vorbei, und Basilio positionierte sich rechts neben der Tür, bevor er einen Blick zu Lucía warf. Sie nickte.

Er stieß die Tür auf und ließ zunächst Lucía eintreten, die mit gezogener Waffe den dahinterliegenden Flur prüfte. Er sicherte nach hinten ab und legte routiniert eine Hand auf ihre Schulter, ohne den Blick von der Tür zu wenden. Gemeinsam schlichen sie durch den Personalbereich, der in Weiß gestrichen war und von dem einige Türen abgingen, auf denen Basilio die Wörter »Lager«, »Küche« und schließlich auch »Lounge« erblickte. Durch eben diese letzte Tür führte Lucía ihn und stieß sie vorsichtig mit dem Fuß auf. Auch Basilio drehte sich um, und die beiden Recovains blickten in den Raum.

Ihnen bot sich der Anblick eines dunklen, holzgetäfelten Raums, der mit seinen violetten, verschnörkelten Tapeten und goldenen Kronleuchtern einen besonders edlen Eindruck machte. Im Raum standen mehrere Ledersessel und Spieltische; sie waren verwaist und verwiesen nur durch den kaum wahrnehmbaren Geruch von teurem Tabak auf frühere Besucher. Am Ende des Raums befand sich ein in die Wand eingelassener goldener Safe, der schnellen Zugriff auf Escodinar und Jetons bot, wenn die Einsätze erhöht werden sollten – und vor genau diesem Safe standen drei in Schwarz gekleidete Männer.

Zwei machten sich am Safe zu schaffen, während der dritte, ein älterer Mann, die beiden Recovains bereits erblickt hatte. Ein edler Anzug, ruhig, eine Brosche in Form einer Hand an seinem Revers. Er sah nicht erstaunt aus, er sah wach aus – und das machte ihn nur umso gefährlicher. Sein Blick wanderte in klarer Reihenfolge an den beiden entlang – Lucías Hände, Basilios Hüfte, die Tür hinter ihnen –, und als er sie wieder ansah, lag in seiner Miene diese höfliche Form von Interesse, die man nur aufsetzt, wenn man die Lage bereits bewertet hat.

 

»Guten Abend«, sagte er, leise genug für diesen Raum und dennoch mit einer gewissen Autorität in der Stimme. Seine beiden Begleiter hörten es, doch machten sich weiterhin unbeeindruckt am Safe zu schaffen. Sie taten nichts – genau deshalb waren sie bedrohlich. Der alte Mann lächelte knapp, nicht freundlich, nicht spöttisch, eher wie einer, der versteht, dass sich gleich etwas entscheiden würde.

Basilio sah an ihm vorbei zum gegenüberliegenden Türrahmen, hinter dem der Gang zum Fahrstuhlbereich liegen musste. Es nützte nichts: Sie mussten an den drei Fremden vorbei. Mühelos folgte der alte Mann seinem Blick und lächelte knapp. In seiner Haltung lag nichts Überflüssiges: Er ließ die offene Hand sichtbar, und doch war in der Distanz zu erkennen, wie wenig Weg sie bis zu der Waffe an seinem Gürtel hätte. Niemand sagte: »Wir haben uns verlaufen.« Niemand fragte: »Was machen Sie hier?« Es war klar, dass hier alle genau dort standen, wo sie beabsichtigten zu stehen, nur eben nicht gleichzeitig. Lucía schaute zu ihm herüber, die Waffe weiterhin in der Luft. Was sollten sie nur tun?

Es war dieser kurze Moment, den der alte Mann nutzte.

Sein leises Pfeifen galt seinen Begleitern, die sich mit einer fließenden und beinahe unmenschlichen Bewegung zu Lucía und Basilio umdrehten – die Waffen gezogen und auf beide gerichtet. Es war viel zu schnell gegangen.

»Aber, aber, Freunde …« Der Mann hob beschwichtigend die Hände und lächelte die beiden Recovains an. »Keinen Grund, unnötig Blut zu vergießen, nicht wahr? Ich bin mir sicher …« Er trat langsam einen Schritt nach vorn, die Hände weiterhin oben. »… dass wir zu einer Einigung kommen, non-ba?«

 

 

Basilio beugte sich noch einmal über die Karte und schaute sich den Lichtrig genauer an. Die Metallstreben, welche die gesamten Lichter des Sub Rosa trugen, würden genug Deckung bieten und sie hübsch an allen Kameras und Wachen vorbeiführen – von den Besuchern des Clubs ganz zu schweigen. Er hörte, wie auch Lucía sich mit einem entnervten Seufzen über die Karte beugte.

»Gut, dann machen wir es halt so, wie die gruseligen Sandmönche es sich wünschen …« Basilio lächelte und deutete auf einen kleinen Punkt auf der Karte, der drei kleine Metallstreben zeigte. »Wenn wir uns sofort links halten, sollten wir an der Leiter ankommen und niemandem über den Weg laufen. Und dort hinten …«, sein Finger deutete auf dasselbe Symbol ganz am Ende des Raums, »… kommen wir wieder runter und sind genau vor der Tür«, er kreiste das entsprechende Symbol ein, »die zum Fahrstuhl führt.« Er blickte auf und sah in Lucías mürrisches Gesicht. »Klar soweit?« Sie nickte nur und war bereits auf dem Weg zur Tür.

Sie würde es schon überleben – und ihn seine Entscheidung dann beim nächsten Training bei den Recovains spüren lassen.

Er folgte ihr und hörte bereits, wie die dunklen Bässe näher kamen und lauter wurden. Es war nicht seine Art von Musik, aber er konnte durchaus verstehen, wieso es die Bewohner von La Perdante jede Nacht ins Sub Rosa zog. Die pulsierenden Rhythmen hatten etwas Hypnotisches – und würden gewiss niemanden auf die Idee kommen lassen, nach oben zu schauen, während die beiden Recovains über ihren Köpfen herumkraxelten.

Das hoffte er jedenfalls.

Doch bevor er sich weitere Gedanken machen konnte, öffnete Lucía die Tür – und trat ins Neonlicht.

Sofort überwältigten die Eindrücke des Sub Rosa die beiden: Die Musik bestand aus besagten pulsierenden, elektronischen Bässen und war perfekt auf die Lichtshow abgestimmt, die sich in Lasern und Stroboskopen verlor. Der einladende Geruch von Schweiß, Weihrauch und Alkohol waberte ihnen entgegen und ließ nur einen Bruchteil des Lebens im Club erahnen. Kaum hatten sich ihre Sinne daran gewöhnt, offenbarte sich ihnen das Sub Rosa in seiner Gänze: Der Club befand sich in der ehemaligen Krypta der Kathedrale – eine riesige, mehrstöckige, runde Halle, die vor langer Zeit die Gräber und Monumente einer längst vergessenen Familie enthielt. Heute reihten sich allerdings statt Gräbern Bars und Spielautomaten aneinander, nur unterbrochen von verrauchten Lounges und Säulen, auf denen sich verführerisch Tänzer räkelten. In der Mitte der Krypta lag der Floor, auf dem sich Hunderte Menschen in Ekstase tanzten und im Neonlicht ertranken, nur um dann an anderer Stelle wieder aufzutauchen.

Ein beeindruckendes Bild – und ein Sinnbild der Sünde. Anders als Lucía hatte Basilio nur Verachtung für das Leben und die Menschen von La Perdante übrig.

Lucía stieß ihn an und deutete nach links. Da – dort war die eiserne Leiter, gut versteckt zwischen zwei Säulen. Ein Schild mitsamt Kette hing pflichtschuldig darüber: »Nur für technisches Personal«.

Das Sanctum Sins würde ihnen den kleinen Regelverstoß sicher verzeihen.

Vorsichtig folgte Basilio Lucía zu der Säule und blickte sich gründlich um – alles, was ihnen gefährlich werden konnte, musste im Voraus bedacht werden. Doch sie hatten Glück: kein übereifriger Wachmann, kein schmachtendes Liebespaar in einer dunklen Ecke und auch kein Betrunkener, der ihnen über den Weg lief.

Achtlos warf Lucía die Kette hinunter und blickte einmal prüfend nach oben, bevor sie den Fuß auf die erste Sprosse setzte und zu klettern begann. Basilio wartete einen Moment und sah sich ein letztes Mal um, bevor auch er mit beiden Händen die Leiter ergriff und nach oben stieg. Die tanzenden Menschen, umschlungen zwischen Neon und Musik, erschienen ihm wie ein Gemälde zwischen den Streben und ließen ihn die Dimensionen des Sub Rosa noch einmal begreifen: Dies war nicht einfach nur ein Nachtclub – es war ein Ort, an dem in La Perdante Schicksale entschieden, Geschäfte gemacht und Probleme für wenigstens einen Moment vergessen wurden.

Schließlich kam das Ende der Leiter in Sicht, und er ergriff Lucías Hand, die ihn rasch hinaufzog. Geschafft. Jetzt galt es nur noch, ans andere Ende des Clubs zu kommen.

Vor ihnen bot sich ein spektakuläres und durchaus einschüchterndes Bild: Der Lichtrig selbst war nicht mehr als ein langer Gang, zusammengeschweißt aus mehreren Stahlstangen, an denen die Gerüste mit den Scheinwerfern und Lasern hingen. Alles um sie herum war ständig in Bewegung und warf Licht und Schatten auf die Krypta unter ihnen, während die Stahlstangen von jeder neuen Lichtstimmung erzitterten. Die beiden Recovains mussten vorsichtig einen Schritt vor den anderen setzen, um nicht vom Lichtrig zu stürzen.

Es mussten mindestens zehn bis fünfzehn Meter sein, die sie von den tanzenden Menschen unter ihnen trennten.

Auch Lucía hatte die Höhe bemerkt und deutete auf das Ende des Rigs – je schneller sie von hier oben weg waren, desto besser. Dennoch bemerkte er in ihren Augen Bewunderung für dieses Schauspiel aus Licht und Musik, das die Masse unter ihnen in Ekstase brachte. Unter ihnen war das Leben und die Sünde, während hoch oben der Tod und der Glaube ihren Einzug in das Sanctum Sins hielten.

»Hey! Was macht ihr hier ob …«

Basilio blickte ruckartig nach vorn. Ein verärgert wirkender Mann im Overall, dessen Stoff von Öl und Dreck eine eigenartige Färbung angenommen hatte, baute sich vor ihnen auf. Er hatte sich wohl an einem der Scheinwerfer zu schaffen gemacht und war für das bloße Auge unsichtbar geblieben.

»Ich habe die Schnauze voll von euch – …«

Seine Miene, die sich eben noch in pulsierenden Adern und roter Farbe entlud, wich schnell, als er die beiden schwerbewaffneten Recovains sah, die sich deutlich vom Stahl und Neon abzeichneten.

»Ihr … ihr seid nicht …«

Mit einer einzigen Bewegung ließ Lucía ihren Recolt auf ihn niederfahren und traf ihn seitlich am Kopf, sodass der Mann sofort geräuschlos zu Boden ging und sie ihn fast liebevoll auf dem Rig niederlegte. Sie schüttelte nur den Kopf und warf Basilio einen wütenden Blick zu.

»Ich hab doch gesagt, dass das ein Scheißplan war!« brüllte sie gegen die Musik. Sie hockte sich hin und wühlte im Werkzeuggürtel des Mannes, aus dem sie eine Rolle Kabelbinder und einen schmutzigen Lappen beförderte. »Hier«, sie warf Basilio beides zu, »kümmer dich um ihn. Ich checke derweil die Leiter weiter vorn.«

Mit diesen Worten schlich sie den Lichtrig weiter entlang und wurde bald von den Lichtern verschluckt.

Basilio seufzte. Das würde sie ihm noch eine ganze Weile vorhalten.

Mit einigen geübten Bewegungen fesselte er den Mann und stopfte ihm den Lappen in den Mund. Blut tropfte leise von dessen Kopf, aber er würde es wohl überleben. Basilio zögerte. Obwohl bewusstlos, war er dennoch ein Zeuge … er könnte hier und jetzt das Risiko für ihre Mission minimieren. Wie von selbst fuhr seine Hand zum Recolt, bevor er noch einmal innehielt und den Kopf schüttelte. Nein. Die Recovains waren nicht unbedingt für ihr Mitleid bekannt, aber unnötiges Blutvergießen hatte Basilio schon immer verabscheut. Lucía teilte seine Ansicht. Auch deshalb wurden sie häufig gemeinsam auf Missionen geschickt.

Oder weil die Recorena sonst nichts mit den beiden sanften Seelen anfangen konnte.

Basilio zwängte den Mann in einen kleinen Spalt neben einem Scheinwerfer und legte eine herumliegende Jacke über ihn. Bis er gefunden werden würde, wären sie längst verschwunden. Vorsichtig trat er wieder auf die Stahlstangen und schlich weiter zu Lucía, die bereits ungeduldig auf ihn wartete. Sie deutete nach unten und reckte den Daumen. Die Luft war rein.

Dieses Mal kletterte er als Erster nach unten und sprang die letzten Meter, bevor er sich umdrehte und sich umsah. Keine Anzeichen dafür, dass jemand sie entdeckt hatte oder ein Alarm ausgelöst wurde. Das Sub Rosa blieb unbeeindruckt von ihrem kleinen Kunststück, und auch die Menschen waren weiter der Musik und den Lichtern verfallen. Mit einem metallenen Klingen landete Lucía neben ihm und schaute ihn durchdringend an.

»Nie wieder hören wir auf die Sandmönche. Nächstes Mal machen wir es nach meiner Art, alles klar?«

Er starrte sie an, doch sie hielt seinem Blick stand. Dann nickte er. Ihre Miene entspannte sich.

»Gut. Was stehen wir dann noch hier rum?« Sie deutete auf die Tür, die rechts neben ihnen hinter einer Ecke lag, an der eine Bar Getränke servierte, die alle in Flammen standen. Sie mussten nur schnell sein und einen günstigen Moment abpassen, in dem die Bediensteten abgelenkt waren.

Wie als hätte der Herr ihre Gedanken gehört, wurde es mit einem Mal dunkel im Raum, und einzelne Drohnen begannen in einer minutiös abgestimmten Choreografie auf dem Floor das Bild eines goldenen Schädels zu zeichnen, dessen Mund sich öffnete und aus dem Münzen sprudelten. Es war ein beeindruckender Anblick, und die Menschen im Sub Rosa jubelten begeistert auf.

Mehr als das brauchten sie nicht.

Die beiden Recovains huschten unbemerkt an der Bar vorbei, und Basilio positionierte sich rechts neben der Tür, bevor er einen Blick zu Lucía warf. Sie nickte.

Er stieß die Tür auf und ließ zunächst Lucía eintreten, die mit gezogener Waffe den dahinterliegenden Flur prüfte. Er sicherte nach hinten ab und legte routiniert eine Hand auf ihre Schulter, ohne den Blick von der Tür zu wenden. Gemeinsam schlichen sie durch den Personalbereich, der in Weiß gestrichen war und von dem einige Türen abgingen, auf denen Basilio die Wörter »Lager«, »Küche« und schließlich auch »Lounge« erblickte. Durch eben diese letzte Tür führte Lucía ihn und stieß sie vorsichtig mit dem Fuß auf. Auch Basilio drehte sich um, und die beiden Recovains blickten in den Raum.

Ihnen bot sich der Anblick eines dunklen, holzgetäfelten Raums, der mit seinen violetten, verschnörkelten Tapeten und goldenen Kronleuchtern einen besonders edlen Eindruck machte. Im Raum standen mehrere Ledersessel und Spieltische; sie waren verwaist und verwiesen nur durch den kaum wahrnehmbaren Geruch von teurem Tabak auf frühere Besucher. Am Ende des Raums befand sich ein in die Wand eingelassener goldener Safe, der schnellen Zugriff auf Escodinar und Jetons bot, wenn die Einsätze erhöht werden sollten – und vor genau diesem Safe standen drei in Schwarz gekleidete Männer.

Zwei machten sich am Safe zu schaffen, während der dritte, ein älterer Mann, die beiden Recovains bereits erblickt hatte. Ein edler Anzug, ruhig, eine Brosche in Form einer Hand an seinem Revers. Er sah nicht erstaunt aus, er sah wach aus – und das machte ihn nur umso gefährlicher. Sein Blick wanderte in klarer Reihenfolge an den beiden entlang – Lucías Hände, Basilios Hüfte, die Tür hinter ihnen –, und als er sie wieder ansah, lag in seiner Miene diese höfliche Form von Interesse, die man nur aufsetzt, wenn man die Lage bereits bewertet hat.

 

»Guten Abend«, sagte er, leise genug für diesen Raum und dennoch mit einer gewissen Autorität in der Stimme. Seine beiden Begleiter hörten es, doch machten sich weiterhin unbeeindruckt am Safe zu schaffen. Sie taten nichts – genau deshalb waren sie bedrohlich. Der alte Mann lächelte knapp, nicht freundlich, nicht spöttisch, eher wie einer, der versteht, dass sich gleich etwas entscheiden würde.

Basilio sah an ihm vorbei zum gegenüberliegenden Türrahmen, hinter dem der Gang zum Fahrstuhlbereich liegen musste. Es nützte nichts: Sie mussten an den drei Fremden vorbei. Mühelos folgte der alte Mann seinem Blick und lächelte knapp. In seiner Haltung lag nichts Überflüssiges: Er ließ die offene Hand sichtbar, und doch war in der Distanz zu erkennen, wie wenig Weg sie bis zu der Waffe an seinem Gürtel hätte. Niemand sagte: »Wir haben uns verlaufen.« Niemand fragte: »Was machen Sie hier?« Es war klar, dass hier alle genau dort standen, wo sie beabsichtigten zu stehen, nur eben nicht gleichzeitig. Lucía schaute zu ihm herüber, die Waffe weiterhin in der Luft. Was sollten sie nur tun?

Es war dieser kurze Moment, den der alte Mann nutzte.

Sein leises Pfeifen galt seinen Begleitern, die sich mit einer fließenden und beinahe unmenschlichen Bewegung zu Lucía und Basilio umdrehten – die Waffen gezogen und auf beide gerichtet. Es war viel zu schnell gegangen.

»Aber, aber, Freunde …« Der Mann hob beschwichtigend die Hände und lächelte die beiden Recovains an. »Keinen Grund, unnötig Blut zu vergießen, nicht wahr? Ich bin mir sicher …« Er trat langsam einen Schritt nach vorn, die Hände weiterhin oben. »… dass wir zu einer Einigung kommen, non-ba?«

 

Basilio beugte sich noch einmal über die Karte und schaute sich den Lichtrig genauer an. Die Metallstreben, welche die gesamten Lichter des Sub Rosa trugen, würden genug Deckung bieten und sie hübsch an allen Kameras und Wachen vorbeiführen – von den Besuchern des Clubs ganz zu schweigen. Er hörte, wie auch Lucía sich mit einem entnervten Seufzen über die Karte beugte.

»Gut, dann machen wir es halt so, wie die gruseligen Sandmönche es sich wünschen …« Basilio lächelte und deutete auf einen kleinen Punkt auf der Karte, der drei kleine Metallstreben zeigte. »Wenn wir uns sofort links halten, sollten wir an der Leiter ankommen und niemandem über den Weg laufen. Und dort hinten …«, sein Finger deutete auf dasselbe Symbol ganz am Ende des Raums, »… kommen wir wieder runter und sind genau vor der Tür«, er kreiste das entsprechende Symbol ein, »die zum Fahrstuhl führt.« Er blickte auf und sah in Lucías mürrisches Gesicht. »Klar soweit?« Sie nickte nur und war bereits auf dem Weg zur Tür.

Sie würde es schon überleben – und ihn seine Entscheidung dann beim nächsten Training bei den Recovains spüren lassen.

Er folgte ihr und hörte bereits, wie die dunklen Bässe näher kamen und lauter wurden. Es war nicht seine Art von Musik, aber er konnte durchaus verstehen, wieso es die Bewohner von La Perdante jede Nacht ins Sub Rosa zog. Die pulsierenden Rhythmen hatten etwas Hypnotisches – und würden gewiss niemanden auf die Idee kommen lassen, nach oben zu schauen, während die beiden Recovains über ihren Köpfen herumkraxelten.

Das hoffte er jedenfalls.

Doch bevor er sich weitere Gedanken machen konnte, öffnete Lucía die Tür – und trat ins Neonlicht.

Sofort überwältigten die Eindrücke des Sub Rosa die beiden: Die Musik bestand aus besagten pulsierenden, elektronischen Bässen und war perfekt auf die Lichtshow abgestimmt, die sich in Lasern und Stroboskopen verlor. Der einladende Geruch von Schweiß, Weihrauch und Alkohol waberte ihnen entgegen und ließ nur einen Bruchteil des Lebens im Club erahnen. Kaum hatten sich ihre Sinne daran gewöhnt, offenbarte sich ihnen das Sub Rosa in seiner Gänze: Der Club befand sich in der ehemaligen Krypta der Kathedrale – eine riesige, mehrstöckige, runde Halle, die vor langer Zeit die Gräber und Monumente einer längst vergessenen Familie enthielt. Heute reihten sich allerdings statt Gräbern Bars und Spielautomaten aneinander, nur unterbrochen von verrauchten Lounges und Säulen, auf denen sich verführerisch Tänzer räkelten. In der Mitte der Krypta lag der Floor, auf dem sich Hunderte Menschen in Ekstase tanzten und im Neonlicht ertranken, nur um dann an anderer Stelle wieder aufzutauchen.

Ein beeindruckendes Bild – und ein Sinnbild der Sünde. Anders als Lucía hatte Basilio nur Verachtung für das Leben und die Menschen von La Perdante übrig.

Lucía stieß ihn an und deutete nach links. Da – dort war die eiserne Leiter, gut versteckt zwischen zwei Säulen. Ein Schild mitsamt Kette hing pflichtschuldig darüber: »Nur für technisches Personal«.

Das Sanctum Sins würde ihnen den kleinen Regelverstoß sicher verzeihen.

Vorsichtig folgte Basilio Lucía zu der Säule und blickte sich gründlich um – alles, was ihnen gefährlich werden konnte, musste im Voraus bedacht werden. Doch sie hatten Glück: kein übereifriger Wachmann, kein schmachtendes Liebespaar in einer dunklen Ecke und auch kein Betrunkener, der ihnen über den Weg lief.

Achtlos warf Lucía die Kette hinunter und blickte einmal prüfend nach oben, bevor sie den Fuß auf die erste Sprosse setzte und zu klettern begann. Basilio wartete einen Moment und sah sich ein letztes Mal um, bevor auch er mit beiden Händen die Leiter ergriff und nach oben stieg. Die tanzenden Menschen, umschlungen zwischen Neon und Musik, erschienen ihm wie ein Gemälde zwischen den Streben und ließen ihn die Dimensionen des Sub Rosa noch einmal begreifen: Dies war nicht einfach nur ein Nachtclub – es war ein Ort, an dem in La Perdante Schicksale entschieden, Geschäfte gemacht und Probleme für wenigstens einen Moment vergessen wurden.

Schließlich kam das Ende der Leiter in Sicht, und er ergriff Lucías Hand, die ihn rasch hinaufzog. Geschafft. Jetzt galt es nur noch, ans andere Ende des Clubs zu kommen.

Vor ihnen bot sich ein spektakuläres und durchaus einschüchterndes Bild: Der Lichtrig selbst war nicht mehr als ein langer Gang, zusammengeschweißt aus mehreren Stahlstangen, an denen die Gerüste mit den Scheinwerfern und Lasern hingen. Alles um sie herum war ständig in Bewegung und warf Licht und Schatten auf die Krypta unter ihnen, während die Stahlstangen von jeder neuen Lichtstimmung erzitterten. Die beiden Recovains mussten vorsichtig einen Schritt vor den anderen setzen, um nicht vom Lichtrig zu stürzen.

Es mussten mindestens zehn bis fünfzehn Meter sein, die sie von den tanzenden Menschen unter ihnen trennten.

Auch Lucía hatte die Höhe bemerkt und deutete auf das Ende des Rigs – je schneller sie von hier oben weg waren, desto besser. Dennoch bemerkte er in ihren Augen Bewunderung für dieses Schauspiel aus Licht und Musik, das die Masse unter ihnen in Ekstase brachte. Unter ihnen war das Leben und die Sünde, während hoch oben der Tod und der Glaube ihren Einzug in das Sanctum Sins hielten.

»Hey! Was macht ihr hier ob …«

Basilio blickte ruckartig nach vorn. Ein verärgert wirkender Mann im Overall, dessen Stoff von Öl und Dreck eine eigenartige Färbung angenommen hatte, baute sich vor ihnen auf. Er hatte sich wohl an einem der Scheinwerfer zu schaffen gemacht und war für das bloße Auge unsichtbar geblieben.

»Ich habe die Schnauze voll von euch – …«

Seine Miene, die sich eben noch in pulsierenden Adern und roter Farbe entlud, wich schnell, als er die beiden schwerbewaffneten Recovains sah, die sich deutlich vom Stahl und Neon abzeichneten.

»Ihr … ihr seid nicht …«

Mit einer einzigen Bewegung ließ Lucía ihren Recolt auf ihn niederfahren und traf ihn seitlich am Kopf, sodass der Mann sofort geräuschlos zu Boden ging und sie ihn fast liebevoll auf dem Rig niederlegte. Sie schüttelte nur den Kopf und warf Basilio einen wütenden Blick zu.

»Ich hab doch gesagt, dass das ein Scheißplan war!« brüllte sie gegen die Musik. Sie hockte sich hin und wühlte im Werkzeuggürtel des Mannes, aus dem sie eine Rolle Kabelbinder und einen schmutzigen Lappen beförderte. »Hier«, sie warf Basilio beides zu, »kümmer dich um ihn. Ich checke derweil die Leiter weiter vorn.«

Mit diesen Worten schlich sie den Lichtrig weiter entlang und wurde bald von den Lichtern verschluckt.

Basilio seufzte. Das würde sie ihm noch eine ganze Weile vorhalten.

Mit einigen geübten Bewegungen fesselte er den Mann und stopfte ihm den Lappen in den Mund. Blut tropfte leise von dessen Kopf, aber er würde es wohl überleben. Basilio zögerte. Obwohl bewusstlos, war er dennoch ein Zeuge … er könnte hier und jetzt das Risiko für ihre Mission minimieren. Wie von selbst fuhr seine Hand zum Recolt, bevor er noch einmal innehielt und den Kopf schüttelte. Nein. Die Recovains waren nicht unbedingt für ihr Mitleid bekannt, aber unnötiges Blutvergießen hatte Basilio schon immer verabscheut. Lucía teilte seine Ansicht. Auch deshalb wurden sie häufig gemeinsam auf Missionen geschickt.

Oder weil die Recorena sonst nichts mit den beiden sanften Seelen anfangen konnte.

Basilio zwängte den Mann in einen kleinen Spalt neben einem Scheinwerfer und legte eine herumliegende Jacke über ihn. Bis er gefunden werden würde, wären sie längst verschwunden. Vorsichtig trat er wieder auf die Stahlstangen und schlich weiter zu Lucía, die bereits ungeduldig auf ihn wartete. Sie deutete nach unten und reckte den Daumen. Die Luft war rein.

Dieses Mal kletterte er als Erster nach unten und sprang die letzten Meter, bevor er sich umdrehte und sich umsah. Keine Anzeichen dafür, dass jemand sie entdeckt hatte oder ein Alarm ausgelöst wurde. Das Sub Rosa blieb unbeeindruckt von ihrem kleinen Kunststück, und auch die Menschen waren weiter der Musik und den Lichtern verfallen. Mit einem metallenen Klingen landete Lucía neben ihm und schaute ihn durchdringend an.

»Nie wieder hören wir auf die Sandmönche. Nächstes Mal machen wir es nach meiner Art, alles klar?«

Er starrte sie an, doch sie hielt seinem Blick stand. Dann nickte er. Ihre Miene entspannte sich.

»Gut. Was stehen wir dann noch hier rum?« Sie deutete auf die Tür, die rechts neben ihnen hinter einer Ecke lag, an der eine Bar Getränke servierte, die alle in Flammen standen. Sie mussten nur schnell sein und einen günstigen Moment abpassen, in dem die Bediensteten abgelenkt waren.

Wie als hätte der Herr ihre Gedanken gehört, wurde es mit einem Mal dunkel im Raum, und einzelne Drohnen begannen in einer minutiös abgestimmten Choreografie auf dem Floor das Bild eines goldenen Schädels zu zeichnen, dessen Mund sich öffnete und aus dem Münzen sprudelten. Es war ein beeindruckender Anblick, und die Menschen im Sub Rosa jubelten begeistert auf.

Mehr als das brauchten sie nicht.

Die beiden Recovains huschten unbemerkt an der Bar vorbei, und Basilio positionierte sich rechts neben der Tür, bevor er einen Blick zu Lucía warf. Sie nickte.

Er stieß die Tür auf und ließ zunächst Lucía eintreten, die mit gezogener Waffe den dahinterliegenden Flur prüfte. Er sicherte nach hinten ab und legte routiniert eine Hand auf ihre Schulter, ohne den Blick von der Tür zu wenden. Gemeinsam schlichen sie durch den Personalbereich, der in Weiß gestrichen war und von dem einige Türen abgingen, auf denen Basilio die Wörter »Lager«, »Küche« und schließlich auch »Lounge« erblickte. Durch eben diese letzte Tür führte Lucía ihn und stieß sie vorsichtig mit dem Fuß auf. Auch Basilio drehte sich um, und die beiden Recovains blickten in den Raum.

Ihnen bot sich der Anblick eines dunklen, holzgetäfelten Raums, der mit seinen violetten, verschnörkelten Tapeten und goldenen Kronleuchtern einen besonders edlen Eindruck machte. Im Raum standen mehrere Ledersessel und Spieltische; sie waren verwaist und verwiesen nur durch den kaum wahrnehmbaren Geruch von teurem Tabak auf frühere Besucher. Am Ende des Raums befand sich ein in die Wand eingelassener goldener Safe, der schnellen Zugriff auf Escodinar und Jetons bot, wenn die Einsätze erhöht werden sollten – und vor genau diesem Safe standen drei in Schwarz gekleidete Männer.

Zwei machten sich am Safe zu schaffen, während der dritte, ein älterer Mann, die beiden Recovains bereits erblickt hatte. Ein edler Anzug, ruhig, eine Brosche in Form einer Hand an seinem Revers. Er sah nicht erstaunt aus, er sah wach aus – und das machte ihn nur umso gefährlicher. Sein Blick wanderte in klarer Reihenfolge an den beiden entlang – Lucías Hände, Basilios Hüfte, die Tür hinter ihnen –, und als er sie wieder ansah, lag in seiner Miene diese höfliche Form von Interesse, die man nur aufsetzt, wenn man die Lage bereits bewertet hat.

 

»Guten Abend«, sagte er, leise genug für diesen Raum und dennoch mit einer gewissen Autorität in der Stimme. Seine beiden Begleiter hörten es, doch machten sich weiterhin unbeeindruckt am Safe zu schaffen. Sie taten nichts – genau deshalb waren sie bedrohlich. Der alte Mann lächelte knapp, nicht freundlich, nicht spöttisch, eher wie einer, der versteht, dass sich gleich etwas entscheiden würde.

Basilio sah an ihm vorbei zum gegenüberliegenden Türrahmen, hinter dem der Gang zum Fahrstuhlbereich liegen musste. Es nützte nichts: Sie mussten an den drei Fremden vorbei. Mühelos folgte der alte Mann seinem Blick und lächelte knapp. In seiner Haltung lag nichts Überflüssiges: Er ließ die offene Hand sichtbar, und doch war in der Distanz zu erkennen, wie wenig Weg sie bis zu der Waffe an seinem Gürtel hätte. Niemand sagte: »Wir haben uns verlaufen.« Niemand fragte: »Was machen Sie hier?« Es war klar, dass hier alle genau dort standen, wo sie beabsichtigten zu stehen, nur eben nicht gleichzeitig. Lucía schaute zu ihm herüber, die Waffe weiterhin in der Luft. Was sollten sie nur tun?

Es war dieser kurze Moment, den der alte Mann nutzte.

Sein leises Pfeifen galt seinen Begleitern, die sich mit einer fließenden und beinahe unmenschlichen Bewegung zu Lucía und Basilio umdrehten – die Waffen gezogen und auf beide gerichtet. Es war viel zu schnell gegangen.

»Aber, aber, Freunde …« Der Mann hob beschwichtigend die Hände und lächelte die beiden Recovains an. »Keinen Grund, unnötig Blut zu vergießen, nicht wahr? Ich bin mir sicher …« Er trat langsam einen Schritt nach vorn, die Hände weiterhin oben. »… dass wir zu einer Einigung kommen, non-ba?«

 

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