INEZ UMGARNT DEN MANN


Die junge Frau, die Inez mit großen braunen Augen ansah, hatte längeres blondes Haar, in das kunstvoll einige bronzene Schmetterlinge eingesteckt waren. Geschminkt waren nur die Augen, im selben Ton wie die Schmetterlinge und ihr Kleid, sodass sie im hereinfallenden Licht der Kirchenfenster wie eine dieser Statuen in La Gagnante aussah. Ein einzelnes Muttermal direkt unter ihrem Auge verlieh ihr ein Bild der Imperfektion, das sie selbst so liebte und von dem sie als Kind dachte, es sei das Mal eines Fluches. In ihrer Gruppe war sie »La Cara« – das Gesicht, das Verhandlungen übernahm und schon des Öfteren für Ablenkung gesorgt hatte, wo es notwendig war – und dort, wo es sich nicht vermeiden ließ. Sie blinzelte einmal, fuhr sich durchs Haar und richtete ihr Kleid, bevor sie einen Moment innehielt – um dann herausfordernd zu lächeln.

Zeit, ihnen ihre Eintrittskarte in das Sanctum zu
verschaffen.

Inez wandte sich vom Spiegel neben ihr ab und schaute zu ihren Freunden, die bereits den Kopf schüttelten und sie mit halb resignierten, halb belustigten Mienen ansahen. Téo hatte immer eine Heidenangst, wenn sie irgendwen in ein Gespräch verwickelte oder – Gott bewahre – um den Finger wickelte, um ihnen genug Zeit für einen Diebstahl oder Hack zu verschaffen. Bei Lyz war es anders: Sie grummelte dann missmutig vor sich hin oder beachtete sie eine Weile nicht mehr – jedenfalls für ein paar Minuten, bevor sie wieder die Alte war. Wüsste sie es nicht besser, würde sie auf Eifersucht tippen – aber sie wusste, dass so etwas bei ihrer besten Freundin völliger Quatsch war.

Téo und Lyz wussten allerdings auch, dass Inez, sobald sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, nicht davon abzubringen war.

»Glaubt mir, das wird ein Kinderspiel.« Inez grinste die beiden an und zwinkerte Lyz zu, die sie mit zusammengekniffenen Augen ansah. »Es ist doch sowieso immer das Gleiche …« Mit diesen Worten drehte sie sich schwungvoll um und entschwebte beinahe feengleich zu dem in sich zusammengesunkenen Mann im Sessel, dem scheinbar wieder eingefallen war, dass Unmengen an Alkohol neben ihm standen und in seinem Magen besser aufgehoben wären. Schon einige Meter vor ihm schlug Inez eine abenteuerliche Mischung aus Alkohol und Schweiß entgegen, der selbst das teuer aufgetragene Parfüm des Mannes nichts mehr entgegensetzen konnte. Inez erschauerte. Je schneller sie an diesen Rosenkranz kam, desto besser.

Jetzt, wo sie den Mann besser sehen konnte, offenbarten sich ihr einige neue Details. Auf den ersten Blick entdeckte sie keine Insignien der Häuser – weder die umschlungene Hand der Trinitriad, die dornige Rose der Dolorea noch das Rad der Maison Lamize; sie würde sich also nicht mit einem der Sinners einlassen. Sein Anzug war in einem atemberaubend hellen Grün gehalten, das – man konnte es nicht anders sagen – auf einen ebenso atemberaubend schlechten Modegeschmack schließen ließ. Er sah ein wenig aus wie eine ramponierte Flasche dieser Kaktuslimonade, die Téo immer so gern trank.

 

Der Kaktus hatte sie erblickt und schaute sie zunächst mit hervorquellenden Augen an, bevor er sich hastig aufrichtete. Seine Hand umklammerte weiterhin eine Flasche. Inez lächelte ihn an.

Jetzt galt es, ein Gleichgewicht zwischen zu viel und zu wenig Aufmerksamkeit zu finden – zu viel, und er würde sie nicht mehr in Ruhe lassen; zu wenig, und er hätte keinen Anreiz, ihr den Rosenkranz zu geben.

»Verzeih, ich habe dich hier ganz allein gesehen und, ehrlich gesagt …«, sie ließ ein kurzes melodisches Lachen ertönen, das sofort die Aufmerksamkeit des Kaktus zu wecken schien, »… du hast etwas an dir, das mich sofort in den Bann gezogen hat.«

Nähe herstellen und die Aufmerksamkeit der Beute forcieren.

Der Mann schaute sie mit einer Mischung aus Unglauben und geschmeicheltem Ego an, bevor er sich nach links und rechts umdrehte, fast so, als wollte er irgendwen fragen: »Meint sie mich?«

»Etwas … etwas, das dich in den Bann gezogen hat?« Er schluckte und blickte kurz an ihr vorbei. »Du verwechselst mich bestimmt mit …«

Inez kicherte und setzte sich auf seine Lehne, ihre Hand wie selbstverständlich auf seiner Schulter. Sie spürte seine Nervosität selbst durch den Stoff.

Letzten Fluchtweg abschneiden und Beute halten.

»Aber nein, Dummchen, genau zu dir wollte ich! Schau, ich habe dieses hübsche Kettchen an deinem Hals gesehen …«, sie ließ die Kette an seinem Hals durch ihre Finger rinnen und berührte wie achtlos seine Haut. Sein Puls raste.

Den Willen zur Flucht behutsam lösen.

Sie schmollte jetzt. »Ich wollte so gern mal im Sanctum spielen … aber ich habe keinen Rosenkranz mehr bekommen … meinst du …« – sie lächelte und schaute ihm direkt in die Augen – »… du könntest mir ihn mal ausleihen? Nur ganz kurz, wirklich!«

Dem Kaktus schoss das Blut in den Kopf und er fing an zu husten, bevor er einen Satz herausbringen konnte. »Ich, äh … ich weiß nicht, ob das in Ordnung … ich meine, das wäre ja, also …«

 

Den letzten Widerstand brechen und zum Angriff bereitmachen.

»Ach, komm schon … nur ganz kurz …« Sie zwinkerte ihm zu und legte ihre Finger bereits wie von selbst um den Rosenkranz, als wüsste sie schon, wie er sich entscheiden würde. »Es wird dein Schaden auch nicht sein … ich kann sehr … dankbar sein.«

Die Beute mit einem gezielten Stoß erledigen.

Der Kaktus schien mit sich selbst zu ringen und zitterte, wie sie belustigt feststellte. Für einen kurzen Moment dachte sie, ihr Plan sei misslungen, dass er zu viel Angst vor dem Sanctum Sins und den Konsequenzen haben würde …

Doch in diesem Spiel gewann sie immer.

Langsam nickte er und löste mit einem Klicken den Verschluss der Kette und erlaubte ihr, sie behutsam abzunehmen. Der goldene Rosenkranz wog schwer in ihrer Hand und war mit einzelnen Diamanten besetzt, die das Muster eines umgedrehten Kreuzes bildeten. Sie hatten nun ihre Eintrittskarte in das Sanctum.

Die Früchte der eigenen Jagd genießen.

Inez lächelte dem Kaktus zu und schwang sich schnurstracks von der Lehne. »Das ist so nett von dir … dankeschön!« Mit diesen Worten drehte sie sich um und lief mit leichtem Schritt in Richtung Téo und Lyz. Der Mann nickte nur und schaute ihr mit offenem Mund hinterher. »Warte! Wie finde ich dich denn später?«

Sie drehte sich noch einmal um und winkte ihm grinsend zu. »Keine Sorge! Ich finde dich.« Als sie wieder nach vorn schaute, fiel ihre Miene in sich zusammen, und sie verzog das Gesicht.

Sie war gut darin, aber das hieß nicht, dass sie es gern machte.

Lyz und Téo erwarteten sie bereits – die eine mit einem Gesicht, als hätte sie in eine saure Zitrone gebissen, der andere, als hätte er vergessen, zu Hause den Herd auszumachen. »Und? Hat’s geklappt?«

Sie antwortete nicht und reckte stattdessen nur den Rosenkranz in die Luft. »Hab ich jemals versagt? Schritt eins wäre erledigt. Wir sind jetzt High Roller.«

 

Téo seufzte erleichtert auf und nahm den Rosenkranz vorsichtig entgegen. Nach einem prüfenden Blick von allen Seiten nickte er und deutete auf das Ende des Kirchenschiffs, vor dem zwei Frauen in goldenen Anzugkleidern einen Metalldetektor bewachten – denselben, den sie schon beim Betreten durchlaufen mussten. »Wir sollten weiter. Unser nächstes Ziel …« – er deutete auf Inez’ Handtasche, in der sich das Etui befand – »… ist der Pitbull. Zeig mal her.« Inez kramte eine Weile in ihrer Tasche und holte schließlich das Etui hervor, das eine hölzerne Vertäfelung hatte und mit Jade besetzt war. Téo begutachtete es noch einmal von allen Seiten, bevor er durchatmete und sich eine einzelne Schweißperle von der Stirn strich. »Dann los.«

Inez bot Lyz ihren Arm an, die allerdings schmollend in eine andere Richtung schaute. Inez legte lächelnd den Kopf zur Seite. »Was ist, Geliebte? Ärger im Paradies?« Lyz schüttelte den Kopf und schob ein wenig ruckartig den Arm in ihren. »Vielleicht fragst du Monsieur Gin dahinten, ob er dich in das Sanctum begleitet … ihr habt euch ja prächtig verstanden …« Inez lachte nur und schob ihre Freundin zum Eingang. »Niemand könnte dich ersetzen, das weißt du doch …« Lyz nickte zufrieden. »Das musst du mir nicht sagen …«

So liefen die beiden Mädchen zankend zur Schleuse des Sanctum, Téo im Schlepptau, und kamen schließlich vor den beiden Wachen an. Die linke von beiden, die einen Drachenkopf am Kinn stecken hatte, hielt respektvoll eine Hand vor die beiden und bedeutete ihnen, anzuhalten.

»Guten Abend, meine Damen. Sie möchten im Sanctum spielen?«

Lyz nickte und stieß ein theatralisches Schnauben aus. »Hier ist mir zu wenig Risiko, verstehen Sie? Ich brauche etwas, das das Blut in Wallung bringt …« Sie zwickte Inez in den Arm.

Die Wache nickte und deutete auf eine stählerne Box, die eine kleine Öffnung in Form eines Kreuzes hatte. »Dürfte ich Sie dann bitten, Ihre VIP-Berechtigung zu legitimieren?« Inez trat einen Schritt vor und hielt den Rosenkranz des Kaktus an die Öffnung. Sie formte ein kurzes Stoßgebet in ihrem Kopf und drückte schließlich das Kreuz in die Öffnung.

Hoffentlich hatten sie nichts übersehen.

 

Mit einem leisen Brummen erwachte die Maschine und begann, den Rosenkranz auszulesen. Eine Sekunde, zwei Sekunden – dann hörte sie auf zu zählen. Sie spürte, wie Téo besorgt zu dem Gerät schaute. Die Wache lächelte weiterhin freundlich, warf aber dennoch einen kurzen Blick auf das Display.

Lyz lachte nervös auf. »Diese Technik immer, was?«

Die Wache erwiderte das Lachen nicht, und für einen Moment war sich Inez sicher, dass es das gewesen war.

Dann ertönte der befreiende Klang eines kurzen Jingles – und die Maschine leuchtete grün auf.

»Vielen Dank. Ihr Zugang gilt für Sie beide und Ihre Eskorte. Treten Sie ein – und beten Sie um gutes Glück.« Die Wache trat zur Seite, und die Schleuse hinter ihr öffnete sich mit einem Zischen.

Sie hatten es geschafft.

Die drei Freunde beeilten sich, das Sanctum zu betreten, bevor irgendwer – der Kaktus, die Wache, Himmel, irgendein Gast – noch Verdacht schöpfen konnte.

»Ich bin gerade tausend Tode gestorben«, zischte Lyz ihr durch zusammengebissene Zähne zu. Inez nickte nur.

Zu sehr war sie vom Sanctum verzaubert.


Die junge Frau, die Inez mit großen braunen Augen ansah, hatte längeres blondes Haar, in das kunstvoll einige bronzene Schmetterlinge eingesteckt waren. Geschminkt waren nur die Augen, im selben Ton wie die Schmetterlinge und ihr Kleid, sodass sie im hereinfallenden Licht der Kirchenfenster wie eine dieser Statuen in La Gagnante aussah. Ein einzelnes Muttermal direkt unter ihrem Auge verlieh ihr ein Bild der Imperfektion, das sie selbst so liebte und von dem sie als Kind dachte, es sei das Mal eines Fluches. In ihrer Gruppe war sie »La Cara« – das Gesicht, das Verhandlungen übernahm und schon des Öfteren für Ablenkung gesorgt hatte, wo es notwendig war – und dort, wo es sich nicht vermeiden ließ. Sie blinzelte einmal, fuhr sich durchs Haar und richtete ihr Kleid, bevor sie einen Moment innehielt – um dann herausfordernd zu lächeln.

Zeit, ihnen ihre Eintrittskarte in das Sanctum zu
verschaffen.

Inez wandte sich vom Spiegel neben ihr ab und schaute zu ihren Freunden, die bereits den Kopf schüttelten und sie mit halb resignierten, halb belustigten Mienen ansahen. Téo hatte immer eine Heidenangst, wenn sie irgendwen in ein Gespräch verwickelte oder – Gott bewahre – um den Finger wickelte, um ihnen genug Zeit für einen Diebstahl oder Hack zu verschaffen. Bei Lyz war es anders: Sie grummelte dann missmutig vor sich hin oder beachtete sie eine Weile nicht mehr – jedenfalls für ein paar Minuten, bevor sie wieder die Alte war. Wüsste sie es nicht besser, würde sie auf Eifersucht tippen – aber sie wusste, dass so etwas bei ihrer besten Freundin völliger Quatsch war.

Téo und Lyz wussten allerdings auch, dass Inez, sobald sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, nicht davon abzubringen war.

»Glaubt mir, das wird ein Kinderspiel.« Inez grinste die beiden an und zwinkerte Lyz zu, die sie mit zusammengekniffenen Augen ansah. »Es ist doch sowieso immer das Gleiche …« Mit diesen Worten drehte sie sich schwungvoll um und entschwebte beinahe feengleich zu dem in sich zusammengesunkenen Mann im Sessel, dem scheinbar wieder eingefallen war, dass Unmengen an Alkohol neben ihm standen und in seinem Magen besser aufgehoben wären. Schon einige Meter vor ihm schlug Inez eine abenteuerliche Mischung aus Alkohol und Schweiß entgegen, der selbst das teuer aufgetragene Parfüm des Mannes nichts mehr entgegensetzen konnte. Inez erschauerte. Je schneller sie an diesen Rosenkranz kam, desto besser.

Jetzt, wo sie den Mann besser sehen konnte, offenbarten sich ihr einige neue Details. Auf den ersten Blick entdeckte sie keine Insignien der Häuser – weder die umschlungene Hand der Trinitriad, die dornige Rose der Dolorea noch das Rad der Maison Lamize; sie würde sich also nicht mit einem der Sinners einlassen. Sein Anzug war in einem atemberaubend hellen Grün gehalten, das – man konnte es nicht anders sagen – auf einen ebenso atemberaubend schlechten Modegeschmack schließen ließ. Er sah ein wenig aus wie eine ramponierte Flasche dieser Kaktuslimonade, die Téo immer so gern trank.

 

Der Kaktus hatte sie erblickt und schaute sie zunächst mit hervorquellenden Augen an, bevor er sich hastig aufrichtete. Seine Hand umklammerte weiterhin eine Flasche. Inez lächelte ihn an.

Jetzt galt es, ein Gleichgewicht zwischen zu viel und zu wenig Aufmerksamkeit zu finden – zu viel, und er würde sie nicht mehr in Ruhe lassen; zu wenig, und er hätte keinen Anreiz, ihr den Rosenkranz zu geben.

»Verzeih, ich habe dich hier ganz allein gesehen und, ehrlich gesagt …«, sie ließ ein kurzes melodisches Lachen ertönen, das sofort die Aufmerksamkeit des Kaktus zu wecken schien, »… du hast etwas an dir, das mich sofort in den Bann gezogen hat.«

Nähe herstellen und die Aufmerksamkeit der Beute forcieren.

Der Mann schaute sie mit einer Mischung aus Unglauben und geschmeicheltem Ego an, bevor er sich nach links und rechts umdrehte, fast so, als wollte er irgendwen fragen: »Meint sie mich?«

»Etwas … etwas, das dich in den Bann gezogen hat?« Er schluckte und blickte kurz an ihr vorbei. »Du verwechselst mich bestimmt mit …«

Inez kicherte und setzte sich auf seine Lehne, ihre Hand wie selbstverständlich auf seiner Schulter. Sie spürte seine Nervosität selbst durch den Stoff.

Letzten Fluchtweg abschneiden und Beute halten.

»Aber nein, Dummchen, genau zu dir wollte ich! Schau, ich habe dieses hübsche Kettchen an deinem Hals gesehen …«, sie ließ die Kette an seinem Hals durch ihre Finger rinnen und berührte wie achtlos seine Haut. Sein Puls raste.

Den Willen zur Flucht behutsam lösen.

Sie schmollte jetzt. »Ich wollte so gern mal im Sanctum spielen … aber ich habe keinen Rosenkranz mehr bekommen … meinst du …« – sie lächelte und schaute ihm direkt in die Augen – »… du könntest mir ihn mal ausleihen? Nur ganz kurz, wirklich!«

Dem Kaktus schoss das Blut in den Kopf und er fing an zu husten, bevor er einen Satz herausbringen konnte. »Ich, äh … ich weiß nicht, ob das in Ordnung … ich meine, das wäre ja, also …«

 

Den letzten Widerstand brechen und zum Angriff bereitmachen.

»Ach, komm schon … nur ganz kurz …« Sie zwinkerte ihm zu und legte ihre Finger bereits wie von selbst um den Rosenkranz, als wüsste sie schon, wie er sich entscheiden würde. »Es wird dein Schaden auch nicht sein … ich kann sehr … dankbar sein.«

Die Beute mit einem gezielten Stoß erledigen.

Der Kaktus schien mit sich selbst zu ringen und zitterte, wie sie belustigt feststellte. Für einen kurzen Moment dachte sie, ihr Plan sei misslungen, dass er zu viel Angst vor dem Sanctum Sins und den Konsequenzen haben würde …

Doch in diesem Spiel gewann sie immer.

Langsam nickte er und löste mit einem Klicken den Verschluss der Kette und erlaubte ihr, sie behutsam abzunehmen. Der goldene Rosenkranz wog schwer in ihrer Hand und war mit einzelnen Diamanten besetzt, die das Muster eines umgedrehten Kreuzes bildeten. Sie hatten nun ihre Eintrittskarte in das Sanctum.

Die Früchte der eigenen Jagd genießen.

Inez lächelte dem Kaktus zu und schwang sich schnurstracks von der Lehne. »Das ist so nett von dir … dankeschön!« Mit diesen Worten drehte sie sich um und lief mit leichtem Schritt in Richtung Téo und Lyz. Der Mann nickte nur und schaute ihr mit offenem Mund hinterher. »Warte! Wie finde ich dich denn später?«

Sie drehte sich noch einmal um und winkte ihm grinsend zu. »Keine Sorge! Ich finde dich.« Als sie wieder nach vorn schaute, fiel ihre Miene in sich zusammen, und sie verzog das Gesicht.

Sie war gut darin, aber das hieß nicht, dass sie es gern machte.

Lyz und Téo erwarteten sie bereits – die eine mit einem Gesicht, als hätte sie in eine saure Zitrone gebissen, der andere, als hätte er vergessen, zu Hause den Herd auszumachen. »Und? Hat’s geklappt?«

Sie antwortete nicht und reckte stattdessen nur den Rosenkranz in die Luft. »Hab ich jemals versagt? Schritt eins wäre erledigt. Wir sind jetzt High Roller.«

 

Téo seufzte erleichtert auf und nahm den Rosenkranz vorsichtig entgegen. Nach einem prüfenden Blick von allen Seiten nickte er und deutete auf das Ende des Kirchenschiffs, vor dem zwei Frauen in goldenen Anzugkleidern einen Metalldetektor bewachten – denselben, den sie schon beim Betreten durchlaufen mussten. »Wir sollten weiter. Unser nächstes Ziel …« – er deutete auf Inez’ Handtasche, in der sich das Etui befand – »… ist der Pitbull. Zeig mal her.« Inez kramte eine Weile in ihrer Tasche und holte schließlich das Etui hervor, das eine hölzerne Vertäfelung hatte und mit Jade besetzt war. Téo begutachtete es noch einmal von allen Seiten, bevor er durchatmete und sich eine einzelne Schweißperle von der Stirn strich. »Dann los.«

Inez bot Lyz ihren Arm an, die allerdings schmollend in eine andere Richtung schaute. Inez legte lächelnd den Kopf zur Seite. »Was ist, Geliebte? Ärger im Paradies?« Lyz schüttelte den Kopf und schob ein wenig ruckartig den Arm in ihren. »Vielleicht fragst du Monsieur Gin dahinten, ob er dich in das Sanctum begleitet … ihr habt euch ja prächtig verstanden …« Inez lachte nur und schob ihre Freundin zum Eingang. »Niemand könnte dich ersetzen, das weißt du doch …« Lyz nickte zufrieden. »Das musst du mir nicht sagen …«

So liefen die beiden Mädchen zankend zur Schleuse des Sanctum, Téo im Schlepptau, und kamen schließlich vor den beiden Wachen an. Die linke von beiden, die einen Drachenkopf am Kinn stecken hatte, hielt respektvoll eine Hand vor die beiden und bedeutete ihnen, anzuhalten.

»Guten Abend, meine Damen. Sie möchten im Sanctum spielen?«

Lyz nickte und stieß ein theatralisches Schnauben aus. »Hier ist mir zu wenig Risiko, verstehen Sie? Ich brauche etwas, das das Blut in Wallung bringt …« Sie zwickte Inez in den Arm.

Die Wache nickte und deutete auf eine stählerne Box, die eine kleine Öffnung in Form eines Kreuzes hatte. »Dürfte ich Sie dann bitten, Ihre VIP-Berechtigung zu legitimieren?« Inez trat einen Schritt vor und hielt den Rosenkranz des Kaktus an die Öffnung. Sie formte ein kurzes Stoßgebet in ihrem Kopf und drückte schließlich das Kreuz in die Öffnung.

Hoffentlich hatten sie nichts übersehen.

 

Mit einem leisen Brummen erwachte die Maschine und begann, den Rosenkranz auszulesen. Eine Sekunde, zwei Sekunden – dann hörte sie auf zu zählen. Sie spürte, wie Téo besorgt zu dem Gerät schaute. Die Wache lächelte weiterhin freundlich, warf aber dennoch einen kurzen Blick auf das Display.

Lyz lachte nervös auf. »Diese Technik immer, was?«

Die Wache erwiderte das Lachen nicht, und für einen Moment war sich Inez sicher, dass es das gewesen war.

Dann ertönte der befreiende Klang eines kurzen Jingles – und die Maschine leuchtete grün auf.

»Vielen Dank. Ihr Zugang gilt für Sie beide und Ihre Eskorte. Treten Sie ein – und beten Sie um gutes Glück.« Die Wache trat zur Seite, und die Schleuse hinter ihr öffnete sich mit einem Zischen.

Sie hatten es geschafft.

Die drei Freunde beeilten sich, das Sanctum zu betreten, bevor irgendwer – der Kaktus, die Wache, Himmel, irgendein Gast – noch Verdacht schöpfen konnte.

»Ich bin gerade tausend Tode gestorben«, zischte Lyz ihr durch zusammengebissene Zähne zu. Inez nickte nur.

Zu sehr war sie vom Sanctum verzaubert.

INEZ UMGARNT DEN MANN


Die junge Frau, die Inez mit großen braunen Augen ansah, hatte längeres blondes Haar, in das kunstvoll einige bronzene Schmetterlinge eingesteckt waren. Geschminkt waren nur die Augen, im selben Ton wie die Schmetterlinge und ihr Kleid, sodass sie im hereinfallenden Licht der Kirchenfenster wie eine dieser Statuen in La Gagnante aussah. Ein einzelnes Muttermal direkt unter ihrem Auge verlieh ihr ein Bild der Imperfektion, das sie selbst so liebte und von dem sie als Kind dachte, es sei das Mal eines Fluches. In ihrer Gruppe war sie »La Cara« – das Gesicht, das Verhandlungen übernahm und schon des Öfteren für Ablenkung gesorgt hatte, wo es notwendig war – und dort, wo es sich nicht vermeiden ließ. Sie blinzelte einmal, fuhr sich durchs Haar und richtete ihr Kleid, bevor sie einen Moment innehielt – um dann herausfordernd zu lächeln.

Zeit, ihnen ihre Eintrittskarte in das Sanctum zu verschaffen.

Inez wandte sich vom Spiegel neben ihr ab und schaute zu ihren Freunden, die bereits den Kopf schüttelten und sie mit halb resignierten, halb belustigten Mienen ansahen. Téo hatte immer eine Heidenangst, wenn sie irgendwen in ein Gespräch verwickelte oder – Gott bewahre – um den Finger wickelte, um ihnen genug Zeit für einen Diebstahl oder Hack zu verschaffen. Bei Lyz war es anders: Sie grummelte dann missmutig vor sich hin oder beachtete sie eine Weile nicht mehr – jedenfalls für ein paar Minuten, bevor sie wieder die Alte war. Wüsste sie es nicht besser, würde sie auf Eifersucht tippen – aber sie wusste, dass so etwas bei ihrer besten Freundin völliger Quatsch war.

Téo und Lyz wussten allerdings auch, dass Inez, sobald sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, nicht davon abzubringen war.

»Glaubt mir, das wird ein Kinderspiel.« Inez grinste die beiden an und zwinkerte Lyz zu, die sie mit zusammengekniffenen Augen ansah. »Es ist doch sowieso immer das Gleiche …« Mit diesen Worten drehte sie sich schwungvoll um und entschwebte beinahe feengleich zu dem in sich zusammengesunkenen Mann im Sessel, dem scheinbar wieder eingefallen war, dass Unmengen an Alkohol neben ihm standen und in seinem Magen besser aufgehoben wären. Schon einige Meter vor ihm schlug Inez eine abenteuerliche Mischung aus Alkohol und Schweiß entgegen, der selbst das teuer aufgetragene Parfüm des Mannes nichts mehr entgegensetzen konnte. Inez erschauerte. Je schneller sie an diesen Rosenkranz kam, desto besser.

Jetzt, wo sie den Mann besser sehen konnte, offenbarten sich ihr einige neue Details. Auf den ersten Blick entdeckte sie keine Insignien der Häuser – weder die umschlungene Hand der Trinitriad, die dornige Rose der Dolorea noch das Rad der Maison Lamize; sie würde sich also nicht mit einem der Sinners einlassen. Sein Anzug war in einem atemberaubend hellen Grün gehalten, das – man konnte es nicht anders sagen – auf einen ebenso atemberaubend schlechten Modegeschmack schließen ließ. Er sah ein wenig aus wie eine ramponierte Flasche dieser Kaktuslimonade, die Téo immer so gern trank.

 

Der Kaktus hatte sie erblickt und schaute sie zunächst mit hervorquellenden Augen an, bevor er sich hastig aufrichtete. Seine Hand umklammerte weiterhin eine Flasche. Inez lächelte ihn an.

Jetzt galt es, ein Gleichgewicht zwischen zu viel und zu wenig Aufmerksamkeit zu finden – zu viel, und er würde sie nicht mehr in Ruhe lassen; zu wenig, und er hätte keinen Anreiz, ihr den Rosenkranz zu geben.

»Verzeih, ich habe dich hier ganz allein gesehen und, ehrlich gesagt …«, sie ließ ein kurzes melodisches Lachen ertönen, das sofort die Aufmerksamkeit des Kaktus zu wecken schien, »… du hast etwas an dir, das mich sofort in den Bann gezogen hat.«

Nähe herstellen und die Aufmerksamkeit der Beute forcieren.

Der Mann schaute sie mit einer Mischung aus Unglauben und geschmeicheltem Ego an, bevor er sich nach links und rechts umdrehte, fast so, als wollte er irgendwen fragen: »Meint sie mich?«

»Etwas … etwas, das dich in den Bann gezogen hat?« Er schluckte und blickte kurz an ihr vorbei. »Du verwechselst mich bestimmt mit …«

Inez kicherte und setzte sich auf seine Lehne, ihre Hand wie selbstverständlich auf seiner Schulter. Sie spürte seine Nervosität selbst durch den Stoff.

Letzten Fluchtweg abschneiden und Beute halten.

»Aber nein, Dummchen, genau zu dir wollte ich! Schau, ich habe dieses hübsche Kettchen an deinem Hals gesehen …«, sie ließ die Kette an seinem Hals durch ihre Finger rinnen und berührte wie achtlos seine Haut. Sein Puls raste.

Den Willen zur Flucht behutsam lösen.

Sie schmollte jetzt. »Ich wollte so gern mal im Sanctum spielen … aber ich habe keinen Rosenkranz mehr bekommen … meinst du …« – sie lächelte und schaute ihm direkt in die Augen – »… du könntest mir ihn mal ausleihen? Nur ganz kurz, wirklich!«

Dem Kaktus schoss das Blut in den Kopf und er fing an zu husten, bevor er einen Satz herausbringen konnte. »Ich, äh … ich weiß nicht, ob das in Ordnung … ich meine, das wäre ja, also …«

 

Den letzten Widerstand brechen und zum Angriff bereitmachen.

»Ach, komm schon … nur ganz kurz …« Sie zwinkerte ihm zu und legte ihre Finger bereits wie von selbst um den Rosenkranz, als wüsste sie schon, wie er sich entscheiden würde. »Es wird dein Schaden auch nicht sein … ich kann sehr … dankbar sein.«

Die Beute mit einem gezielten Stoß erledigen.

Der Kaktus schien mit sich selbst zu ringen und zitterte, wie sie belustigt feststellte. Für einen kurzen Moment dachte sie, ihr Plan sei misslungen, dass er zu viel Angst vor dem Sanctum Sins und den Konsequenzen haben würde …

Doch in diesem Spiel gewann sie immer.

Langsam nickte er und löste mit einem Klicken den Verschluss der Kette und erlaubte ihr, sie behutsam abzunehmen. Der goldene Rosenkranz wog schwer in ihrer Hand und war mit einzelnen Diamanten besetzt, die das Muster eines umgedrehten Kreuzes bildeten. Sie hatten nun ihre Eintrittskarte in das Sanctum.

Die Früchte der eigenen Jagd genießen.

Inez lächelte dem Kaktus zu und schwang sich schnurstracks von der Lehne. »Das ist so nett von dir … dankeschön!« Mit diesen Worten drehte sie sich um und lief mit leichtem Schritt in Richtung Téo und Lyz. Der Mann nickte nur und schaute ihr mit offenem Mund hinterher. »Warte! Wie finde ich dich denn später?«

Sie drehte sich noch einmal um und winkte ihm grinsend zu. »Keine Sorge! Ich finde dich.« Als sie wieder nach vorn schaute, fiel ihre Miene in sich zusammen, und sie verzog das Gesicht.

Sie war gut darin, aber das hieß nicht, dass sie es gern machte.

Lyz und Téo erwarteten sie bereits – die eine mit einem Gesicht, als hätte sie in eine saure Zitrone gebissen, der andere, als hätte er vergessen, zu Hause den Herd auszumachen. »Und? Hat’s geklappt?«

Sie antwortete nicht und reckte stattdessen nur den Rosenkranz in die Luft. »Hab ich jemals versagt? Schritt eins wäre erledigt. Wir sind jetzt High Roller.«

 

Téo seufzte erleichtert auf und nahm den Rosenkranz vorsichtig entgegen. Nach einem prüfenden Blick von allen Seiten nickte er und deutete auf das Ende des Kirchenschiffs, vor dem zwei Frauen in goldenen Anzugkleidern einen Metalldetektor bewachten – denselben, den sie schon beim Betreten durchlaufen mussten. »Wir sollten weiter. Unser nächstes Ziel …« – er deutete auf Inez’ Handtasche, in der sich das Etui befand – »… ist der Pitboss. Zeig mal her.« Inez kramte eine Weile in ihrer Tasche und holte schließlich das Etui hervor, das eine hölzerne Vertäfelung hatte und mit Jade besetzt war. Téo begutachtete es noch einmal von allen Seiten, bevor er durchatmete und sich eine einzelne Schweißperle von der Stirn strich. »Dann los.«

Inez bot Lyz ihren Arm an, die allerdings schmollend in eine andere Richtung schaute. Inez legte lächelnd den Kopf zur Seite. »Was ist, Geliebte? Ärger im Paradies?« Lyz schüttelte den Kopf und schob ein wenig ruckartig den Arm in ihren. »Vielleicht fragst du Monsieur Gin dahinten, ob er dich in das Sanctum begleitet … ihr habt euch ja prächtig verstanden …« Inez lachte nur und schob ihre Freundin zum Eingang. »Niemand könnte dich ersetzen, das weißt du doch …« Lyz nickte zufrieden. »Das musst du mir nicht sagen …«

So liefen die beiden Mädchen zankend zur Schleuse des Sanctum, Téo im Schlepptau, und kamen schließlich vor den beiden Wachen an. Die linke von beiden, die einen Drachenkopf am Kinn stecken hatte, hielt respektvoll eine Hand vor die beiden und bedeutete ihnen, anzuhalten.

»Guten Abend, meine Damen. Sie möchten im Sanctum spielen?«

Lyz nickte und stieß ein theatralisches Schnauben aus. »Hier ist mir zu wenig Risiko, verstehen Sie? Ich brauche etwas, das das Blut in Wallung bringt …« Sie zwickte Inez in den Arm.

Die Wache nickte und deutete auf eine stählerne Box, die eine kleine Öffnung in Form eines Kreuzes hatte. »Dürfte ich Sie dann bitten, Ihre VIP-Berechtigung zu legitimieren?« Inez trat einen Schritt vor und hielt den Rosenkranz des Kaktus an die Öffnung. Sie formte ein kurzes Stoßgebet in ihrem Kopf und drückte schließlich das Kreuz in die Öffnung.

Hoffentlich hatten sie nichts übersehen.

 

Mit einem leisen Brummen erwachte die Maschine und begann, den Rosenkranz auszulesen. Eine Sekunde, zwei Sekunden – dann hörte sie auf zu zählen. Sie spürte, wie Téo besorgt zu dem Gerät schaute. Die Wache lächelte weiterhin freundlich, warf aber dennoch einen kurzen Blick auf das Display.

Lyz lachte nervös auf. »Diese Technik immer, was?«

Die Wache erwiderte das Lachen nicht, und für einen Moment war sich Inez sicher, dass es das gewesen war.

Dann ertönte der befreiende Klang eines kurzen Jingles – und die Maschine leuchtete grün auf.

»Vielen Dank. Ihr Zugang gilt für Sie beide und Ihre Eskorte. Treten Sie ein – und beten Sie um gutes Glück.« Die Wache trat zur Seite, und die Schleuse hinter ihr öffnete sich mit einem Zischen.

Sie hatten es geschafft.

Die drei Freunde beeilten sich, das Sanctum zu betreten, bevor irgendwer – der Kaktus, die Wache, Himmel, irgendein Gast – noch Verdacht schöpfen konnte.

»Ich bin gerade tausend Tode gestorben«, zischte Lyz ihr durch zusammengebissene Zähne zu. Inez nickte nur.

Zu sehr war sie vom Sanctum verzaubert.


Die junge Frau, die Inez mit großen braunen Augen ansah, hatte längeres blondes Haar, in das kunstvoll einige bronzene Schmetterlinge eingesteckt waren. Geschminkt waren nur die Augen, im selben Ton wie die Schmetterlinge und ihr Kleid, sodass sie im hereinfallenden Licht der Kirchenfenster wie eine dieser Statuen in La Gagnante aussah. Ein einzelnes Muttermal direkt unter ihrem Auge verlieh ihr ein Bild der Imperfektion, das sie selbst so liebte und von dem sie als Kind dachte, es sei das Mal eines Fluches. In ihrer Gruppe war sie »La Cara« – das Gesicht, das Verhandlungen übernahm und schon des Öfteren für Ablenkung gesorgt hatte, wo es notwendig war – und dort, wo es sich nicht vermeiden ließ. Sie blinzelte einmal, fuhr sich durchs Haar und richtete ihr Kleid, bevor sie einen Moment innehielt – um dann herausfordernd zu lächeln.

Zeit, ihnen ihre Eintrittskarte in das Sanctum zu verschaffen.

Inez wandte sich vom Spiegel neben ihr ab und schaute zu ihren Freunden, die bereits den Kopf schüttelten und sie mit halb resignierten, halb belustigten Mienen ansahen. Téo hatte immer eine Heidenangst, wenn sie irgendwen in ein Gespräch verwickelte oder – Gott bewahre – um den Finger wickelte, um ihnen genug Zeit für einen Diebstahl oder Hack zu verschaffen. Bei Lyz war es anders: Sie grummelte dann missmutig vor sich hin oder beachtete sie eine Weile nicht mehr – jedenfalls für ein paar Minuten, bevor sie wieder die Alte war. Wüsste sie es nicht besser, würde sie auf Eifersucht tippen – aber sie wusste, dass so etwas bei ihrer besten Freundin völliger Quatsch war.

Téo und Lyz wussten allerdings auch, dass Inez, sobald sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, nicht davon abzubringen war.

»Glaubt mir, das wird ein Kinderspiel.« Inez grinste die beiden an und zwinkerte Lyz zu, die sie mit zusammengekniffenen Augen ansah. »Es ist doch sowieso immer das Gleiche …« Mit diesen Worten drehte sie sich schwungvoll um und entschwebte beinahe feengleich zu dem in sich zusammengesunkenen Mann im Sessel, dem scheinbar wieder eingefallen war, dass Unmengen an Alkohol neben ihm standen und in seinem Magen besser aufgehoben wären. Schon einige Meter vor ihm schlug Inez eine abenteuerliche Mischung aus Alkohol und Schweiß entgegen, der selbst das teuer aufgetragene Parfüm des Mannes nichts mehr entgegensetzen konnte. Inez erschauerte. Je schneller sie an diesen Rosenkranz kam, desto besser.

Jetzt, wo sie den Mann besser sehen konnte, offenbarten sich ihr einige neue Details. Auf den ersten Blick entdeckte sie keine Insignien der Häuser – weder die umschlungene Hand der Trinitriad, die dornige Rose der Dolorea noch das Rad der Maison Lamize; sie würde sich also nicht mit einem der Sinners einlassen. Sein Anzug war in einem atemberaubend hellen Grün gehalten, das – man konnte es nicht anders sagen – auf einen ebenso atemberaubend schlechten Modegeschmack schließen ließ. Er sah ein wenig aus wie eine ramponierte Flasche dieser Kaktuslimonade, die Téo immer so gern trank.

 

Der Kaktus hatte sie erblickt und schaute sie zunächst mit hervorquellenden Augen an, bevor er sich hastig aufrichtete. Seine Hand umklammerte weiterhin eine Flasche. Inez lächelte ihn an.

Jetzt galt es, ein Gleichgewicht zwischen zu viel und zu wenig Aufmerksamkeit zu finden – zu viel, und er würde sie nicht mehr in Ruhe lassen; zu wenig, und er hätte keinen Anreiz, ihr den Rosenkranz zu geben.

»Verzeih, ich habe dich hier ganz allein gesehen und, ehrlich gesagt …«, sie ließ ein kurzes melodisches Lachen ertönen, das sofort die Aufmerksamkeit des Kaktus zu wecken schien, »… du hast etwas an dir, das mich sofort in den Bann gezogen hat.«

Nähe herstellen und die Aufmerksamkeit der Beute forcieren.

Der Mann schaute sie mit einer Mischung aus Unglauben und geschmeicheltem Ego an, bevor er sich nach links und rechts umdrehte, fast so, als wollte er irgendwen fragen: »Meint sie mich?«

»Etwas … etwas, das dich in den Bann gezogen hat?« Er schluckte und blickte kurz an ihr vorbei. »Du verwechselst mich bestimmt mit …«

Inez kicherte und setzte sich auf seine Lehne, ihre Hand wie selbstverständlich auf seiner Schulter. Sie spürte seine Nervosität selbst durch den Stoff.

Letzten Fluchtweg abschneiden und Beute halten.

»Aber nein, Dummchen, genau zu dir wollte ich! Schau, ich habe dieses hübsche Kettchen an deinem Hals gesehen …«, sie ließ die Kette an seinem Hals durch ihre Finger rinnen und berührte wie achtlos seine Haut. Sein Puls raste.

Den Willen zur Flucht behutsam lösen.

Sie schmollte jetzt. »Ich wollte so gern mal im Sanctum spielen … aber ich habe keinen Rosenkranz mehr bekommen … meinst du …« – sie lächelte und schaute ihm direkt in die Augen – »… du könntest mir ihn mal ausleihen? Nur ganz kurz, wirklich!«

Dem Kaktus schoss das Blut in den Kopf und er fing an zu husten, bevor er einen Satz herausbringen konnte. »Ich, äh … ich weiß nicht, ob das in Ordnung … ich meine, das wäre ja, also …«

 

Den letzten Widerstand brechen und zum Angriff bereitmachen.

»Ach, komm schon … nur ganz kurz …« Sie zwinkerte ihm zu und legte ihre Finger bereits wie von selbst um den Rosenkranz, als wüsste sie schon, wie er sich entscheiden würde. »Es wird dein Schaden auch nicht sein … ich kann sehr … dankbar sein.«

Die Beute mit einem gezielten Stoß erledigen.

Der Kaktus schien mit sich selbst zu ringen und zitterte, wie sie belustigt feststellte. Für einen kurzen Moment dachte sie, ihr Plan sei misslungen, dass er zu viel Angst vor dem Sanctum Sins und den Konsequenzen haben würde …

Doch in diesem Spiel gewann sie immer.

Langsam nickte er und löste mit einem Klicken den Verschluss der Kette und erlaubte ihr, sie behutsam abzunehmen. Der goldene Rosenkranz wog schwer in ihrer Hand und war mit einzelnen Diamanten besetzt, die das Muster eines umgedrehten Kreuzes bildeten. Sie hatten nun ihre Eintrittskarte in das Sanctum.

Die Früchte der eigenen Jagd genießen.

Inez lächelte dem Kaktus zu und schwang sich schnurstracks von der Lehne. »Das ist so nett von dir … dankeschön!« Mit diesen Worten drehte sie sich um und lief mit leichtem Schritt in Richtung Téo und Lyz. Der Mann nickte nur und schaute ihr mit offenem Mund hinterher. »Warte! Wie finde ich dich denn später?«

Sie drehte sich noch einmal um und winkte ihm grinsend zu. »Keine Sorge! Ich finde dich.« Als sie wieder nach vorn schaute, fiel ihre Miene in sich zusammen, und sie verzog das Gesicht.

Sie war gut darin, aber das hieß nicht, dass sie es gern machte.

Lyz und Téo erwarteten sie bereits – die eine mit einem Gesicht, als hätte sie in eine saure Zitrone gebissen, der andere, als hätte er vergessen, zu Hause den Herd auszumachen. »Und? Hat’s geklappt?«

Sie antwortete nicht und reckte stattdessen nur den Rosenkranz in die Luft. »Hab ich jemals versagt? Schritt eins wäre erledigt. Wir sind jetzt High Roller.«

 

Téo seufzte erleichtert auf und nahm den Rosenkranz vorsichtig entgegen. Nach einem prüfenden Blick von allen Seiten nickte er und deutete auf das Ende des Kirchenschiffs, vor dem zwei Frauen in goldenen Anzugkleidern einen Metalldetektor bewachten – denselben, den sie schon beim Betreten durchlaufen mussten. »Wir sollten weiter. Unser nächstes Ziel …« – er deutete auf Inez’ Handtasche, in der sich das Etui befand – »… ist der Pitboss. Zeig mal her.« Inez kramte eine Weile in ihrer Tasche und holte schließlich das Etui hervor, das eine hölzerne Vertäfelung hatte und mit Jade besetzt war. Téo begutachtete es noch einmal von allen Seiten, bevor er durchatmete und sich eine einzelne Schweißperle von der Stirn strich. »Dann los.«

Inez bot Lyz ihren Arm an, die allerdings schmollend in eine andere Richtung schaute. Inez legte lächelnd den Kopf zur Seite. »Was ist, Geliebte? Ärger im Paradies?« Lyz schüttelte den Kopf und schob ein wenig ruckartig den Arm in ihren. »Vielleicht fragst du Monsieur Gin dahinten, ob er dich in das Sanctum begleitet … ihr habt euch ja prächtig verstanden …« Inez lachte nur und schob ihre Freundin zum Eingang. »Niemand könnte dich ersetzen, das weißt du doch …« Lyz nickte zufrieden. »Das musst du mir nicht sagen …«

So liefen die beiden Mädchen zankend zur Schleuse des Sanctum, Téo im Schlepptau, und kamen schließlich vor den beiden Wachen an. Die linke von beiden, die einen Drachenkopf am Kinn stecken hatte, hielt respektvoll eine Hand vor die beiden und bedeutete ihnen, anzuhalten.

»Guten Abend, meine Damen. Sie möchten im Sanctum spielen?«

Lyz nickte und stieß ein theatralisches Schnauben aus. »Hier ist mir zu wenig Risiko, verstehen Sie? Ich brauche etwas, das das Blut in Wallung bringt …« Sie zwickte Inez in den Arm.

Die Wache nickte und deutete auf eine stählerne Box, die eine kleine Öffnung in Form eines Kreuzes hatte. »Dürfte ich Sie dann bitten, Ihre VIP-Berechtigung zu legitimieren?« Inez trat einen Schritt vor und hielt den Rosenkranz des Kaktus an die Öffnung. Sie formte ein kurzes Stoßgebet in ihrem Kopf und drückte schließlich das Kreuz in die Öffnung.

Hoffentlich hatten sie nichts übersehen.

 

Mit einem leisen Brummen erwachte die Maschine und begann, den Rosenkranz auszulesen. Eine Sekunde, zwei Sekunden – dann hörte sie auf zu zählen. Sie spürte, wie Téo besorgt zu dem Gerät schaute. Die Wache lächelte weiterhin freundlich, warf aber dennoch einen kurzen Blick auf das Display.

Lyz lachte nervös auf. »Diese Technik immer, was?«

Die Wache erwiderte das Lachen nicht, und für einen Moment war sich Inez sicher, dass es das gewesen war.

Dann ertönte der befreiende Klang eines kurzen Jingles – und die Maschine leuchtete grün auf.

»Vielen Dank. Ihr Zugang gilt für Sie beide und Ihre Eskorte. Treten Sie ein – und beten Sie um gutes Glück.« Die Wache trat zur Seite, und die Schleuse hinter ihr öffnete sich mit einem Zischen.

Sie hatten es geschafft.

Die drei Freunde beeilten sich, das Sanctum zu betreten, bevor irgendwer – der Kaktus, die Wache, Himmel, irgendein Gast – noch Verdacht schöpfen konnte.

»Ich bin gerade tausend Tode gestorben«, zischte Lyz ihr durch zusammengebissene Zähne zu. Inez nickte nur.

Zu sehr war sie vom Sanctum verzaubert.


Die junge Frau, die Inez mit großen braunen Augen ansah, hatte längeres blondes Haar, in das kunstvoll einige bronzene Schmetterlinge eingesteckt waren. Geschminkt waren nur die Augen, im selben Ton wie die Schmetterlinge und ihr Kleid, sodass sie im hereinfallenden Licht der Kirchenfenster wie eine dieser Statuen in La Gagnante aussah. Ein einzelnes Muttermal direkt unter ihrem Auge verlieh ihr ein Bild der Imperfektion, das sie selbst so liebte und von dem sie als Kind dachte, es sei das Mal eines Fluches. In ihrer Gruppe war sie »La Cara« – das Gesicht, das Verhandlungen übernahm und schon des Öfteren für Ablenkung gesorgt hatte, wo es notwendig war – und dort, wo es sich nicht vermeiden ließ. Sie blinzelte einmal, fuhr sich durchs Haar und richtete ihr Kleid, bevor sie einen Moment innehielt – um dann herausfordernd zu lächeln.

Zeit, ihnen ihre Eintrittskarte in das Sanctum zu verschaffen.

Inez wandte sich vom Spiegel neben ihr ab und schaute zu ihren Freunden, die bereits den Kopf schüttelten und sie mit halb resignierten, halb belustigten Mienen ansahen. Téo hatte immer eine Heidenangst, wenn sie irgendwen in ein Gespräch verwickelte oder – Gott bewahre – um den Finger wickelte, um ihnen genug Zeit für einen Diebstahl oder Hack zu verschaffen. Bei Lyz war es anders: Sie grummelte dann missmutig vor sich hin oder beachtete sie eine Weile nicht mehr – jedenfalls für ein paar Minuten, bevor sie wieder die Alte war. Wüsste sie es nicht besser, würde sie auf Eifersucht tippen – aber sie wusste, dass so etwas bei ihrer besten Freundin völliger Quatsch war.

Téo und Lyz wussten allerdings auch, dass Inez, sobald sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, nicht davon abzubringen war.

»Glaubt mir, das wird ein Kinderspiel.« Inez grinste die beiden an und zwinkerte Lyz zu, die sie mit zusammengekniffenen Augen ansah. »Es ist doch sowieso immer das Gleiche …« Mit diesen Worten drehte sie sich schwungvoll um und entschwebte beinahe feengleich zu dem in sich zusammengesunkenen Mann im Sessel, dem scheinbar wieder eingefallen war, dass Unmengen an Alkohol neben ihm standen und in seinem Magen besser aufgehoben wären. Schon einige Meter vor ihm schlug Inez eine abenteuerliche Mischung aus Alkohol und Schweiß entgegen, der selbst das teuer aufgetragene Parfüm des Mannes nichts mehr entgegensetzen konnte. Inez erschauerte. Je schneller sie an diesen Rosenkranz kam, desto besser.

Jetzt, wo sie den Mann besser sehen konnte, offenbarten sich ihr einige neue Details. Auf den ersten Blick entdeckte sie keine Insignien der Häuser – weder die umschlungene Hand der Trinitriad, die dornige Rose der Dolorea noch das Rad der Maison Lamize; sie würde sich also nicht mit einem der Sinners einlassen. Sein Anzug war in einem atemberaubend hellen Grün gehalten, das – man konnte es nicht anders sagen – auf einen ebenso atemberaubend schlechten Modegeschmack schließen ließ. Er sah ein wenig aus wie eine ramponierte Flasche dieser Kaktuslimonade, die Téo immer so gern trank.

 

Der Kaktus hatte sie erblickt und schaute sie zunächst mit hervorquellenden Augen an, bevor er sich hastig aufrichtete. Seine Hand umklammerte weiterhin eine Flasche. Inez lächelte ihn an.

Jetzt galt es, ein Gleichgewicht zwischen zu viel und zu wenig Aufmerksamkeit zu finden – zu viel, und er würde sie nicht mehr in Ruhe lassen; zu wenig, und er hätte keinen Anreiz, ihr den Rosenkranz zu geben.

»Verzeih, ich habe dich hier ganz allein gesehen und, ehrlich gesagt …«, sie ließ ein kurzes melodisches Lachen ertönen, das sofort die Aufmerksamkeit des Kaktus zu wecken schien, »… du hast etwas an dir, das mich sofort in den Bann gezogen hat.«

Nähe herstellen und die Aufmerksamkeit der Beute forcieren.

Der Mann schaute sie mit einer Mischung aus Unglauben und geschmeicheltem Ego an, bevor er sich nach links und rechts umdrehte, fast so, als wollte er irgendwen fragen: »Meint sie mich?«

»Etwas … etwas, das dich in den Bann gezogen hat?« Er schluckte und blickte kurz an ihr vorbei. »Du verwechselst mich bestimmt mit …«

Inez kicherte und setzte sich auf seine Lehne, ihre Hand wie selbstverständlich auf seiner Schulter. Sie spürte seine Nervosität selbst durch den Stoff.

Letzten Fluchtweg abschneiden und Beute halten.

»Aber nein, Dummchen, genau zu dir wollte ich! Schau, ich habe dieses hübsche Kettchen an deinem Hals gesehen …«, sie ließ die Kette an seinem Hals durch ihre Finger rinnen und berührte wie achtlos seine Haut. Sein Puls raste.

Den Willen zur Flucht behutsam lösen.

Sie schmollte jetzt. »Ich wollte so gern mal im Sanctum spielen … aber ich habe keinen Rosenkranz mehr bekommen … meinst du …« – sie lächelte und schaute ihm direkt in die Augen – »… du könntest mir ihn mal ausleihen? Nur ganz kurz, wirklich!«

Dem Kaktus schoss das Blut in den Kopf und er fing an zu husten, bevor er einen Satz herausbringen konnte. »Ich, äh … ich weiß nicht, ob das in Ordnung … ich meine, das wäre ja, also …«

 

Den letzten Widerstand brechen und zum Angriff bereitmachen.

»Ach, komm schon … nur ganz kurz …« Sie zwinkerte ihm zu und legte ihre Finger bereits wie von selbst um den Rosenkranz, als wüsste sie schon, wie er sich entscheiden würde. »Es wird dein Schaden auch nicht sein … ich kann sehr … dankbar sein.«

Die Beute mit einem gezielten Stoß erledigen.

Der Kaktus schien mit sich selbst zu ringen und zitterte, wie sie belustigt feststellte. Für einen kurzen Moment dachte sie, ihr Plan sei misslungen, dass er zu viel Angst vor dem Sanctum Sins und den Konsequenzen haben würde …

Doch in diesem Spiel gewann sie immer.

Langsam nickte er und löste mit einem Klicken den Verschluss der Kette und erlaubte ihr, sie behutsam abzunehmen. Der goldene Rosenkranz wog schwer in ihrer Hand und war mit einzelnen Diamanten besetzt, die das Muster eines umgedrehten Kreuzes bildeten. Sie hatten nun ihre Eintrittskarte in das Sanctum.

Die Früchte der eigenen Jagd genießen.

Inez lächelte dem Kaktus zu und schwang sich schnurstracks von der Lehne. »Das ist so nett von dir … dankeschön!« Mit diesen Worten drehte sie sich um und lief mit leichtem Schritt in Richtung Téo und Lyz. Der Mann nickte nur und schaute ihr mit offenem Mund hinterher. »Warte! Wie finde ich dich denn später?«

Sie drehte sich noch einmal um und winkte ihm grinsend zu. »Keine Sorge! Ich finde dich.« Als sie wieder nach vorn schaute, fiel ihre Miene in sich zusammen, und sie verzog das Gesicht.

Sie war gut darin, aber das hieß nicht, dass sie es gern machte.

Lyz und Téo erwarteten sie bereits – die eine mit einem Gesicht, als hätte sie in eine saure Zitrone gebissen, der andere, als hätte er vergessen, zu Hause den Herd auszumachen. »Und? Hat’s geklappt?«

Sie antwortete nicht und reckte stattdessen nur den Rosenkranz in die Luft. »Hab ich jemals versagt? Schritt eins wäre erledigt. Wir sind jetzt High Roller.«

 

Téo seufzte erleichtert auf und nahm den Rosenkranz vorsichtig entgegen. Nach einem prüfenden Blick von allen Seiten nickte er und deutete auf das Ende des Kirchenschiffs, vor dem zwei Frauen in goldenen Anzugkleidern einen Metalldetektor bewachten – denselben, den sie schon beim Betreten durchlaufen mussten. »Wir sollten weiter. Unser nächstes Ziel …« – er deutete auf Inez’ Handtasche, in der sich das Etui befand – »… ist der Pitboss. Zeig mal her.« Inez kramte eine Weile in ihrer Tasche und holte schließlich das Etui hervor, das eine hölzerne Vertäfelung hatte und mit Jade besetzt war. Téo begutachtete es noch einmal von allen Seiten, bevor er durchatmete und sich eine einzelne Schweißperle von der Stirn strich. »Dann los.«

Inez bot Lyz ihren Arm an, die allerdings schmollend in eine andere Richtung schaute. Inez legte lächelnd den Kopf zur Seite. »Was ist, Geliebte? Ärger im Paradies?« Lyz schüttelte den Kopf und schob ein wenig ruckartig den Arm in ihren. »Vielleicht fragst du Monsieur Gin dahinten, ob er dich in das Sanctum begleitet … ihr habt euch ja prächtig verstanden …« Inez lachte nur und schob ihre Freundin zum Eingang. »Niemand könnte dich ersetzen, das weißt du doch …« Lyz nickte zufrieden. »Das musst du mir nicht sagen …«

So liefen die beiden Mädchen zankend zur Schleuse des Sanctum, Téo im Schlepptau, und kamen schließlich vor den beiden Wachen an. Die linke von beiden, die einen Drachenkopf am Kinn stecken hatte, hielt respektvoll eine Hand vor die beiden und bedeutete ihnen, anzuhalten.

»Guten Abend, meine Damen. Sie möchten im Sanctum spielen?«

Lyz nickte und stieß ein theatralisches Schnauben aus. »Hier ist mir zu wenig Risiko, verstehen Sie? Ich brauche etwas, das das Blut in Wallung bringt …« Sie zwickte Inez in den Arm.

Die Wache nickte und deutete auf eine stählerne Box, die eine kleine Öffnung in Form eines Kreuzes hatte. »Dürfte ich Sie dann bitten, Ihre VIP-Berechtigung zu legitimieren?« Inez trat einen Schritt vor und hielt den Rosenkranz des Kaktus an die Öffnung. Sie formte ein kurzes Stoßgebet in ihrem Kopf und drückte schließlich das Kreuz in die Öffnung.

Hoffentlich hatten sie nichts übersehen.

 

Mit einem leisen Brummen erwachte die Maschine und begann, den Rosenkranz auszulesen. Eine Sekunde, zwei Sekunden – dann hörte sie auf zu zählen. Sie spürte, wie Téo besorgt zu dem Gerät schaute. Die Wache lächelte weiterhin freundlich, warf aber dennoch einen kurzen Blick auf das Display.

Lyz lachte nervös auf. »Diese Technik immer, was?«

Die Wache erwiderte das Lachen nicht, und für einen Moment war sich Inez sicher, dass es das gewesen war.

Dann ertönte der befreiende Klang eines kurzen Jingles – und die Maschine leuchtete grün auf.

»Vielen Dank. Ihr Zugang gilt für Sie beide und Ihre Eskorte. Treten Sie ein – und beten Sie um gutes Glück.« Die Wache trat zur Seite, und die Schleuse hinter ihr öffnete sich mit einem Zischen.

Sie hatten es geschafft.

Die drei Freunde beeilten sich, das Sanctum zu betreten, bevor irgendwer – der Kaktus, die Wache, Himmel, irgendein Gast – noch Verdacht schöpfen konnte.

»Ich bin gerade tausend Tode gestorben«, zischte Lyz ihr durch zusammengebissene Zähne zu. Inez nickte nur.

Zu sehr war sie vom Sanctum verzaubert.

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