



den waffenhändler provozieren
Sie sah ihn vor sich, wie auf einer Karte: Séverin Montclaro, der Waffenhändler von Feuvigil. Ein feister Mann, der in seinem zu teuren Anzug und mit seiner Überheblichkeit gut zu den restlichen Gästen des Sanctum passte. Seine größte Stärke war gleichzeitig auch seine größte Schwäche: Nicht er war groß, sondern die Corporación, in deren Schatten er sich suhlte. Nicht ihn galt es anzugreifen, sondern Feuvigil: Die Trümmer und Splitter, die der Waffenriese nach ihrem Angriff verlieren würde, würden dann auch Montclaro treffen. Drei Stiche ins Herz, die den Riesen zum Wanken bringen mussten – und die Messer, die auf seine Karte zielten, wogen schwer in ihrer Hand.
Der erste Wurf – sein scheinbarer Reichtum, den sie schnellstmöglich wertlos machen musste. Montclaro stand auf einem Berg von Münzen, doch waren seine Schritte unbeholfen, und er musste aufpassen, nicht auszurutschen. Ihr erstes Messer musste seinen goldenen Füßen gelten.
Der zweite Wurf – sein tiefer Hass gegen die Trinitriad, die den Marmor von seiner geliebten Corporación abschliffen und teurer weiterverkauften. Montclaros Liebe galt den Zertifizierungen und Exklusivverträgen, die Feuvigil erst groß gemacht hatten. Ein gutes Geschäft war für ihn dann zufriedenstellend, wenn es Regeln und Traditionen unterworfen war, von denen nur diejenigen profitierten, die am hohen Tisch saßen. Sie würde die Hilfe von Zhenferro brauchen, um ihn von diesem Tisch zu stoßen. Ihr zweites Messer musste seinen Händen gelten, die Millionen Escodinar besiegelt hatten.
Der dritte Wurf – seine Rolle als Zahnrad, dessen Abwesenheit Feuvigil nicht einmal auffallen würde; Einzelteile gab es schließlich genug. Montclaros Identität baute auf seiner Vorstellung, er wäre für den Giganten aus Feuer und Stahl unentbehrlich. Würde man ihn gewaltsam aus der Maschinerie lösen, die Feuvigil hieß, so wäre Séverin Montclaro nur noch ein Mann in einem teuren Anzug, der offenkundig nur noch verlieren konnte, es aber nie richtig gelernt hatte. Ihr letztes Messer musste seinem Herzen gelten, das im Puls der Fertigungsanlagen schlug.
Inez lächelte. In diesem Moment war »La Cara« die gefährlichste Spielerin an diesem Tisch.
»Meine Damen, meine Herren …« Zerard Duvalczak schaute mit gewichtigem Blick in die Runde. »Decken Sie Ihre Karten auf und offenbaren Sie Ihr Schicksal.«
Inez machte den Anfang: Sie ließ den Mond (10) liegen, den sie erhöht hatte, daneben die Maske (5). Die dritte Karte, die bei der Rota von Zhenferro zu ihr gewandert war, zeigte die Vögel (11). Sechsundzwanzig – mit ihrer Anpassung des Mondes sogar siebenundzwanzig. Ein zufriedenstellendes Ergebnis – allerdings ging es ihr ohnehin nicht um den Pot. Ihr ging es um ihr Ziel.
»Sagen Sie, Monsieur Montclaro …« Sie spürte das kühle Heft des Stahls an ihrer Hand, das direkt auf seine Füße gerichtet war. »… verzeihen Sie meine Neugier, doch ich habe eine Frage an Sie – wenn Sie erlauben?«
Ihre Stimme war genau die richtige Mischung aus Höflichkeit und Arroganz, die seine Neugier weckte und seinem Ego schmeichelte. Er nickte.
»Gewiss bin ich in solchen Dingen nicht ganz so bewandert wie Sie …« Sie sah, wie er sein stolzes Lächeln nur mit Mühe verbarg. »… doch überrascht es mich etwas, über welch unermesslichen Reichtum Feuvigil verfügen muss.«
Jetzt legte sich eine Spur von Verwirrung über seine Miene. »Señorita Dante, aber dies ist doch kein Geheimnis … wir« – er betonte dieses Wort ganz besonders – »… sind ein wichtiger Partner für die Clerarchie, die Ordres, die Häuser, wir-«
Er wurde durch das gespielt mädchenhafte Kichern von Inez unterbrochen. »Bitte entschuldigen Sie, ich bin nur beeindruckt, dass selbst die kleineren Angestellten von Feuvigil ein solch enormes Gehalt bekommen müssen, dass sie Triptyque mit Maximaleinsätzen spielen können. Wie großzügig!«
Mit einem Sirren flog das erste Messer direkt auf ihn zu und nagelte ihn am Boden fest.
Die Gesichtsfarbe Montclaros durchlief in wenigen Sekunden mehrere Rottöne, bis er sich schließlich für ein dunkles Rot entschied, das an seiner Stirn geradezu leuchtete. Wie von selbst landete seine Faust auf dem Tisch und ließ die Karten erzittern.
»Was erlauben Sie sich, Sie …«
Es war der Pitbull, der ihn mit einem strafenden und Inez mit einem tadelnden Blick bedachte und beide zum Schweigen brachte. Er deutete auf den grinsenden Zhenferro, in dessen Blick eine gewisse Achtung lag.
Zhenferro schob seine Schlange (14), den Schlüssel (11) und das Rad (7) zusammen: zweiunddreißig – ein knappes, sauberes Blatt. Er zuckte die Schultern, als wäre das alles nur Buchhaltung, erlaubte sich jedoch, Montclaro kurz zuzuzwinkern, der bewusst zu Boden schaute und versuchte, sein Gesicht wieder eine normale Farbe annehmen zu lassen.
Inez wetzte allerdings bereits ihre nächste Klinge.
»Bitte verzeihen Sie, ich wollte nicht unhöflich klingen … wissen Sie, ich freue mich nur, dass ich gleich an meinem ersten Abend zwei so namhafte Waffenhändler kennenlernen konnte!« Ihre ausgebreiteten Hände deuteten auf Montclaro und Zhenferro, die beide nicht gerne miteinander verglichen werden wollten – allerdings war klar, wer damit besser leben konnte.
»Ah, Señora Dante, ich fühle mich geschmeichelt, wirklich …« Sie merkte, wie Zhenferro sofort in ihr Spiel einstieg. »Doch würde ich so bescheiden bleiben und meine Brüder und Schwestern einfache Handwerker nennen, die großen Stolz in ihrer Kunst sehen … wissen Sie …« Er schaute Inez zwar an, doch galten seine Worte Montclaro.
»Ich bewundere Feuvigil für ihre Kapazitäten und ihre Professionalität, Quantität vor Qualität zu setzen. Nun, ich könnte so etwas sicherlich nicht.« Er senkte huldvoll den Kopf vor dem anderen Waffenhändler, der jedoch mit seinen weit aufgerissenen Augen und der Art und Weise, wie er die Luft aus seiner Nase stieß, an einen wütenden Drachen erinnerte.
Längst lag das Tuch verwaist neben ihm, der Schweiß in Sturzbächen an seinem Gesicht.
Das zweite Messer hatte Zhenferro elegant
aufgefangen und ihm direkt in die Hand gerammt.
Inez spürte den Blick von Anaïs auf sich und wandte sich ihr direkt zu. Fast erwartete sie das missbilligende Starren einer alten Dame zu sehen, die spielende Kinder in Vita Nera anherrschte. Doch stattdessen lächelte sie sie unverhohlen an – mit einem Leuchten in den Augen, das Inez als Anerkennung deutete. Die Stimme des Pitbulls brach die Verbindung ab.
»Widmen wir uns wieder dem Spiel, Señora Dante, Señor Zhenferro …« Eiskalt war diese Stimme und mit einem Anflug von Verärgerung. Seine offene Hand deutete auf Montclaro. »Monsieur?«
Der Waffenhändler atmete einmal tief aus und offenbarte schließlich seine Hand. Er starrte auf sein offenes Schwert, nun sechzehn, den Peccator (9) und das Haus (12). Siebenunddreißig. Zu viel. Das Tuch in seiner Hand, inzwischen dunkel vom Schweiß, zitterte leicht.
Es war an der Zeit, die letzte Klinge zu versenken.
Beinahe beiläufig wandte sie sich Lyz zu und flüsterte – nicht überhörbar: »Lucille, meine Liebe, hast du auch den Eindruck, dass Monsieur Montclaro etwas dünnhäutig reagiert? Ich wollte Vater ja einen Kontakt zu einem der Waffenbauer in der Stadt vermitteln, allerdings bin ich etwas abgeschreckt … nicht, dass Ihre Mitarbeiter alle so unprofessionell sind?«
Sie merkte aus dem Augenwinkel, wie Montclaro sich unendlich langsam von seinem Stuhl erhob und sie anstierte. Die Luft im Raum war spürbar kälter geworden.
Lyz lächelte und flüsterte – wenn man es in dieser Lautstärke so nennen konnte – unverhohlen zurück: »Aber, Esierra, meine Liebste … das wird doch sicherlich niemand Wichtiges sein, oder?«
Beide Mädchen zwinkerten dem Mann zu – und trieben gemeinsam das Messer in sein Herz.
Mit einem gutturalen Brüllen stieß Montclaro seine Karten von sich und stürmte wie ein verletzter Bulle auf Inez und Lyz zu. »Du boshafte Göre, was glaubst du eigentlich, mit wem du sprichst, denkst du, dein dummer Vater …«
Er kramte in seinen Taschen und holte schließlich eine silbrig glänzende Klinge hervor, auf der das Wappen von Feuvigil erkennbar war – nur Gott wusste, wie er diese in das Casino bekommen hatte. Zhenferro sprang alarmiert auf, im Begriff, das Schlimmste abzuwenden, während Anaïs mit belustigtem Blick das Schauspiel beobachtete. Auch Téo sprang erschrocken einen Schritt nach vorn.
Der in seinem Stolz gekränkte Mann kam jedoch nicht sonderlich weit.
Wie eine Steinwand baute sich der Pitbull vor Inez auf und richtete seinen Stab, den er eben noch zum Verschieben der Karten benutzt hatte, auf Montclaro. Sein blinder Zorn hinderte ihn daran, die drohende Gefahr zu erkennen. Aus dem Augenwinkel sah sie schlagartig das Glitzern eines Zigarrenetuis aufblitzen.
Eine einzelne Leuchtpatrone schoss aus dem Stab und traf ihn direkt in die Brust, dort, wo das Herz war. Für den Bruchteil einer Sekunde sah sie sein überrascht wirkendes Gesicht, das ein fast schon witzig anmutendes »Oh« formte, bevor es ihn von den Beinen riss und nach hinten warf – genau vor Téo, der fluchend wieder zurücksprang.
Der Waffenriese war zu Boden gegangen.
Für einen Moment herrschte Stille in dem Raum, nur unterbrochen vom sanften Plätschern des Wassers und dem Zischen der verbrannten Stelle auf Montclaros Brust.
»Nun, das ist keine besonders schöne Angelegenheit, was?« Zhenferro stand vor seinem Tisch und blickte auf den anderen Waffenhändler hinunter. »Aber herrje, es ist, wie es ist, schätze ich.« Er setzte sich wieder, als hätte sich Montclaro nur kurz für eine Zigarette entschuldigt.
Auch Anaïs nickte. »Ich habe ihn sowieso nicht gemocht. Er wacht schon wieder auf – nichts, was ein La Golgotha nicht richten könnte. Und Feuvigil wird ihn sowieso freikaufen, machen wir uns nichts vor.« Sie schaute zu den beiden Mädchen. »Ich hoffe, euch geht es gut, meine Lieben?« Auch der Pitbull drehte sich langsam um. Inez sah, wie Lyz das Etui schnell wieder in ihrem Kleid verschwinden ließ.
Hoffentlich hatte es geklappt.
»Señora Dante, Señora … Lucille.« In seinem Blick lag eine Mischung aus professioneller Besorgnis und Missbilligung. »Geht es Ihnen gut?« Inez nickte – mit einer sehr überzeugenden Empörung im Gesicht.
»Sicherlich, aber laden Sie stets solche Grobiane in Ihr Allerheiligstes? Muss ich meine Freundinnen vor diesem Etablissement warnen?« Auch Zhenferro nickte. »Auch ich bin etwas überrascht, dass diese beiden Damen um ihr Leben fürchten mussten …«
Inez beschloss, dass sie Zhenferro ab sofort mochte.
Sie hörte das Zähneknirschen des Pitbulls bis hierhin. Er wusste, dass sie den Waffenhändler bis aufs Blut gereizt hatten, hatte jedoch keine andere Wahl, als ihr Spiel mitzuspielen. »Bitte entschuldigen Sie … ich werde persönlich dafür sorgen, dass so etwas nicht wieder vorkommt. Nun … wollen wir unser Spiel zu einem Ende bringen?«
Inez sah, wie zwei Wachen den leise vor sich hin zischenden Montclaro aus dem Raum hievten, und setzte sich wieder. Der Pitbull, noch immer etwas durch den Wind, nickte Anaïs zu, die ihrerseits ihre Karten aufdeckte. Sie hatte den Löwen (15) vor sich, daneben den Sanctus (4) – und die Hundekarte (13), die ihr bei der Rota von Inez zugewandert war. Zweiunddreißig. Zhenferro und Anaïs nickten sich respektvoll zu, bevor der Pitbull wieder seine Stimme erhob – es lag eine Endgültigkeit in ihr.
»Nun zu den letzten Schulden dieses Spiels, die beglichen werden müssen.« Er deutete mit seinem Stab auf den Sanctus von Anaïs und klopfte einmal auf den Tisch. Sofort leuchtete die Karte auf und begann an den Rändern rot zu glühen. »Señora Anaïs?« Diese lächelte und hob einen Zeigefinger, mit dem sie nach oben zeigte. Der Pitbull nickte. »Wir erhöhen um den Wert eins. Dreiunddreißig – Perfectio.« In seiner Stimme lag keine Aufregung und keine Enttäuschung, nur eine Feststellung.
Zhenferro klatschte ihr leise und huldvoll zu, und auch Inez nickte einmal aus Höflichkeit.
Die Karten von Montclaro lagen verwaist auf seinem Platz. Nur sein Tuch erinnerte an seine Anwesenheit.
Dann wendete sich Zerard Duvalczak Inez zu. Er deutete mit seinem Stab auf den Mond, und sie sah, wie die Münze hellrot aufleuchtete und ein kleines »I« in die Karte brannte. »Wir erhöhen den Wert um eins. Siebenundzwanzig.«
In diesem Moment war sie froh, die Münze nicht in ihrer Hand versteckt zu haben.
»Meine Damen, meine Herren … die Karten haben entschieden. Ich beglückwünsche Sie zu Ihrem Sieg …« Der Pitbull nickte Anaïs zu und breitete die Arme aus. »… und die anderen zu ihrem mutigen Einsatz. Wir führen unser Spiel, wenn Sie es wünschen, in einigen Minuten weiter.« Mit diesen Worten senkte er noch einmal den Kopf und verschwand schließlich ebenso schnell, wie er gekommen war.
Ein Assistent legte Anaïs’ Gewinn in einen goldenen Koffer, schloss sich selbst mit Handschellen daran an und stellte sich neben die alte Dame, die kaum Notiz von ihrem Gewinn nahm.
Inez atmete aus und erlaubte sich dann ein kurzes Lächeln. La Cara hatte obsiegt.
Sofort ging ihr Blick zu Lyz; sie suchte in ihren Augen nach einem Zeichen der Bestätigung – doch diese schüttelte nur traurig den Kopf.
Inez’ Herz rutschte ihr in die Hose – und machte einen Sprung nach oben, als sie Lyz’ Kichern sah.
»Du fiese …« Sie kam nicht mehr dazu, ihren Satz zu beenden, als Téo ein wenig zu aufgeregt für seine Rolle zu ihnen eilte. »Ja? Oder … nein?« Er starrte zunächst Lyz an, besann sich dann eines Besseren und blickte Inez an. »Sag schon!« Mit einem Schulterklopfen erlöste sie ihn und hörte sein erleichtertes Schnauben.
Sie hatten es geschafft.
Gerade, als sie sich zum Gehen wenden wollte, lief sie Zhenferro über den Weg, der – flankiert von seinen Leibwachen – zu ihr schaute und ihr lächelnd die Hand ausstreckte, dieses Mal ohne trinitriadische Hintergedanken.
»Señora Dante, ich danke Ihnen für Ihren Einsatz. Mir hat unser kleines … Spiel … sehr gefallen.« Sie wusste, dass er damit nicht Triptyque meinte.
Inez schüttelte seine Hand unter den verwirrten Blicken von Lyz und Téo und lächelte zurück. »Zhenferro, es war mir eine Freude. Was werden Sie jetzt tun?« Er behielt weiter sein mysteriöses Lächeln und zwinkerte ihr zu.
»Wir haben unsere eigenen Geschäfte im Sanctum Sins.«
Sie wusste, dass dies alles war, was sie aus ihm herausbekommen würde, und lächelte nur.
»Wenn Sie mir diesen einen Ratschlag erlauben … bleiben Sie weiterhin so aufmerksam. Eine wertvolle Eigenschaft … und viel Glück bei Ihrem nächsten Spiel. Gewiss laufen wir uns noch einmal über den Weg.« Der Trinitriad nickte ein letztes Mal und verschwand schließlich hinter den gläsernen Türen.
Inez spürte die Blicke ihrer Freunde und schüttelte kaum sichtbar den Kopf. Später, sagte sie damit. Später würden sie über alles reden können. Auch wenn sie den beiden niemals würde erklären können, dass auch Zhenferro verstanden hatte, wie er mit Menschen spielen konnte – so wie sie es tat.
Sie waren kurz vor der Glastür, als sie die Stimme von Anaïs hörte.
»Esierra!«
Sie drehte sich um. Die alte Frau schaute sie jetzt mit ernster Miene an – das erste Mal, seit sie das Sanctum betreten hatte. Dann stahl sich doch noch ein leises Lächeln in ihr Gesicht.
»Viel Glück. Die Nacht ist noch jung … gewiss laufen wir uns noch einmal über den Weg, vielleicht bei unserem nächsten Spiel?«
Viel Glück? Inez nickte nur höflich mit dem Kopf und verließ dann mit ihren Freunden das Sanctum.
Hoffentlich nicht, dachte sie.
Sie sah ihn vor sich, wie auf einer Karte: Séverin Montclaro, der Waffenhändler von Feuvigil. Ein feister Mann, der in seinem zu teuren Anzug und mit seiner Überheblichkeit gut zu den restlichen Gästen des Sanctum passte. Seine größte Stärke war gleichzeitig auch seine größte Schwäche: Nicht er war groß, sondern die Corporación, in deren Schatten er sich suhlte. Nicht ihn galt es anzugreifen, sondern Feuvigil: Die Trümmer und Splitter, die der Waffenriese nach ihrem Angriff verlieren würde, würden dann auch Montclaro treffen. Drei Stiche ins Herz, die den Riesen zum Wanken bringen mussten – und die Messer, die auf seine Karte zielten, wogen schwer in ihrer Hand.
Der erste Wurf – sein scheinbarer Reichtum, den sie schnellstmöglich wertlos machen musste. Montclaro stand auf einem Berg von Münzen, doch waren seine Schritte unbeholfen, und er musste aufpassen, nicht auszurutschen. Ihr erstes Messer musste seinen goldenen Füßen gelten.
Der zweite Wurf – sein tiefer Hass gegen die Trinitriad, die den Marmor von seiner geliebten Corporación abschliffen und teurer weiterverkauften. Montclaros Liebe galt den Zertifizierungen und Exklusivverträgen, die Feuvigil erst groß gemacht hatten. Ein gutes Geschäft war für ihn dann zufriedenstellend, wenn es Regeln und Traditionen unterworfen war, von denen nur diejenigen profitierten, die am hohen Tisch saßen. Sie würde die Hilfe von Zhenferro brauchen, um ihn von diesem Tisch zu stoßen. Ihr zweites Messer musste seinen Händen gelten, die Millionen Escodinar besiegelt hatten.
Der dritte Wurf – seine Rolle als Zahnrad, dessen Abwesenheit Feuvigil nicht einmal auffallen würde; Einzelteile gab es schließlich genug. Montclaros Identität baute auf seiner Vorstellung, er wäre für den Giganten aus Feuer und Stahl unentbehrlich. Würde man ihn gewaltsam aus der Maschinerie lösen, die Feuvigil hieß, so wäre Séverin Montclaro nur noch ein Mann in einem teuren Anzug, der offenkundig nur noch verlieren konnte, es aber nie richtig gelernt hatte. Ihr letztes Messer musste seinem Herzen gelten, das im Puls der Fertigungsanlagen schlug.
Inez lächelte. In diesem Moment war »La Cara« die gefährlichste Spielerin an diesem Tisch.
»Meine Damen, meine Herren …« Zerard Duvalczak schaute mit gewichtigem Blick in die Runde. »Decken Sie Ihre Karten auf und offenbaren Sie Ihr Schicksal.«
Inez machte den Anfang: Sie ließ den Mond (10) liegen, den sie erhöht hatte, daneben die Maske (5). Die dritte Karte, die bei der Rota von Zhenferro zu ihr gewandert war, zeigte die Vögel (11). Sechsundzwanzig – mit ihrer Anpassung des Mondes sogar siebenundzwanzig. Ein zufriedenstellendes Ergebnis – allerdings ging es ihr ohnehin nicht um den Pot. Ihr ging es um ihr Ziel.
»Sagen Sie, Monsieur Montclaro …« Sie spürte das kühle Heft des Stahls an ihrer Hand, das direkt auf seine Füße gerichtet war. »… verzeihen Sie meine Neugier, doch ich habe eine Frage an Sie – wenn Sie erlauben?«
Ihre Stimme war genau die richtige Mischung aus Höflichkeit und Arroganz, die seine Neugier weckte und seinem Ego schmeichelte. Er nickte.
»Gewiss bin ich in solchen Dingen nicht ganz so bewandert wie Sie …« Sie sah, wie er sein stolzes Lächeln nur mit Mühe verbarg. »… doch überrascht es mich etwas, über welch unermesslichen Reichtum Feuvigil verfügen muss.«
Jetzt legte sich eine Spur von Verwirrung über seine Miene. »Señorita Dante, aber dies ist doch kein Geheimnis … wir« – er betonte dieses Wort ganz besonders – »… sind ein wichtiger Partner für die Clerarchie, die Ordres, die Häuser, wir-«
Er wurde durch das gespielt mädchenhafte Kichern von Inez unterbrochen. »Bitte entschuldigen Sie, ich bin nur beeindruckt, dass selbst die kleineren Angestellten von Feuvigil ein solch enormes Gehalt bekommen müssen, dass sie Triptyque mit Maximaleinsätzen spielen können. Wie großzügig!«
Mit einem Sirren flog das erste Messer direkt auf ihn zu und nagelte ihn am Boden fest.
Die Gesichtsfarbe Montclaros durchlief in wenigen Sekunden mehrere Rottöne, bis er sich schließlich für ein dunkles Rot entschied, das an seiner Stirn geradezu leuchtete. Wie von selbst landete seine Faust auf dem Tisch und ließ die Karten erzittern.
»Was erlauben Sie sich, Sie …«
Es war der Pitbull, der ihn mit einem strafenden und Inez mit einem tadelnden Blick bedachte und beide zum Schweigen brachte. Er deutete auf den grinsenden Zhenferro, in dessen Blick eine gewisse Achtung lag.
Zhenferro schob seine Schlange (14), den Schlüssel (11) und das Rad (7) zusammen: zweiunddreißig – ein knappes, sauberes Blatt. Er zuckte die Schultern, als wäre das alles nur Buchhaltung, erlaubte sich jedoch, Montclaro kurz zuzuzwinkern, der bewusst zu Boden schaute und versuchte, sein Gesicht wieder eine normale Farbe annehmen zu lassen.
Inez wetzte allerdings bereits ihre nächste Klinge.
»Bitte verzeihen Sie, ich wollte nicht unhöflich klingen … wissen Sie, ich freue mich nur, dass ich gleich an meinem ersten Abend zwei so namhafte Waffenhändler kennenlernen konnte!« Ihre ausgebreiteten Hände deuteten auf Montclaro und Zhenferro, die beide nicht gerne miteinander verglichen werden wollten – allerdings war klar, wer damit besser leben konnte.
»Ah, Señora Dante, ich fühle mich geschmeichelt, wirklich …« Sie merkte, wie Zhenferro sofort in ihr Spiel einstieg. »Doch würde ich so bescheiden bleiben und meine Brüder und Schwestern einfache Handwerker nennen, die großen Stolz in ihrer Kunst sehen … wissen Sie …« Er schaute Inez zwar an, doch galten seine Worte Montclaro.
»Ich bewundere Feuvigil für ihre Kapazitäten und ihre Professionalität, Quantität vor Qualität zu setzen. Nun, ich könnte so etwas sicherlich nicht.« Er senkte huldvoll den Kopf vor dem anderen Waffenhändler, der jedoch mit seinen weit aufgerissenen Augen und der Art und Weise, wie er die Luft aus seiner Nase stieß, an einen wütenden Drachen erinnerte.
Längst lag das Tuch verwaist neben ihm, der Schweiß in Sturzbächen an seinem Gesicht.
Das zweite Messer hatte Zhenferro elegant
aufgefangen und ihm direkt in die Hand gerammt.
Inez spürte den Blick von Anaïs auf sich und wandte sich ihr direkt zu. Fast erwartete sie das missbilligende Starren einer alten Dame zu sehen, die spielende Kinder in Vita Nera anherrschte. Doch stattdessen lächelte sie sie unverhohlen an – mit einem Leuchten in den Augen, das Inez als Anerkennung deutete. Die Stimme des Pitbulls brach die Verbindung ab.
»Widmen wir uns wieder dem Spiel, Señora Dante, Señor Zhenferro …« Eiskalt war diese Stimme und mit einem Anflug von Verärgerung. Seine offene Hand deutete auf Montclaro. »Monsieur?«
Der Waffenhändler atmete einmal tief aus und offenbarte schließlich seine Hand. Er starrte auf sein offenes Schwert, nun sechzehn, den Peccator (9) und das Haus (12). Siebenunddreißig. Zu viel. Das Tuch in seiner Hand, inzwischen dunkel vom Schweiß, zitterte leicht.
Es war an der Zeit, die letzte Klinge zu versenken.
Beinahe beiläufig wandte sie sich Lyz zu und flüsterte – nicht überhörbar: »Lucille, meine Liebe, hast du auch den Eindruck, dass Monsieur Montclaro etwas dünnhäutig reagiert? Ich wollte Vater ja einen Kontakt zu einem der Waffenbauer in der Stadt vermitteln, allerdings bin ich etwas abgeschreckt … nicht, dass Ihre Mitarbeiter alle so unprofessionell sind?«
Sie merkte aus dem Augenwinkel, wie Montclaro sich unendlich langsam von seinem Stuhl erhob und sie anstierte. Die Luft im Raum war spürbar kälter geworden.
Lyz lächelte und flüsterte – wenn man es in dieser Lautstärke so nennen konnte – unverhohlen zurück: »Aber, Esierra, meine Liebste … das wird doch sicherlich niemand Wichtiges sein, oder?«
Beide Mädchen zwinkerten dem Mann zu – und trieben gemeinsam das Messer in sein Herz.
Mit einem gutturalen Brüllen stieß Montclaro seine Karten von sich und stürmte wie ein verletzter Bulle auf Inez und Lyz zu. »Du boshafte Göre, was glaubst du eigentlich, mit wem du sprichst, denkst du, dein dummer Vater …«
Er kramte in seinen Taschen und holte schließlich eine silbrig glänzende Klinge hervor, auf der das Wappen von Feuvigil erkennbar war – nur Gott wusste, wie er diese in das Casino bekommen hatte. Zhenferro sprang alarmiert auf, im Begriff, das Schlimmste abzuwenden, während Anaïs mit belustigtem Blick das Schauspiel beobachtete. Auch Téo sprang erschrocken einen Schritt nach vorn.
Der in seinem Stolz gekränkte Mann kam jedoch nicht sonderlich weit.
Wie eine Steinwand baute sich der Pitbull vor Inez auf und richtete seinen Stab, den er eben noch zum Verschieben der Karten benutzt hatte, auf Montclaro. Sein blinder Zorn hinderte ihn daran, die drohende Gefahr zu erkennen. Aus dem Augenwinkel sah sie schlagartig das Glitzern eines Zigarrenetuis aufblitzen.
Eine einzelne Leuchtpatrone schoss aus dem Stab und traf ihn direkt in die Brust, dort, wo das Herz war. Für den Bruchteil einer Sekunde sah sie sein überrascht wirkendes Gesicht, das ein fast schon witzig anmutendes »Oh« formte, bevor es ihn von den Beinen riss und nach hinten warf – genau vor Téo, der fluchend wieder zurücksprang.
Der Waffenriese war zu Boden gegangen.
Für einen Moment herrschte Stille in dem Raum, nur unterbrochen vom sanften Plätschern des Wassers und dem Zischen der verbrannten Stelle auf Montclaros Brust.
»Nun, das ist keine besonders schöne Angelegenheit, was?« Zhenferro stand vor seinem Tisch und blickte auf den anderen Waffenhändler hinunter. »Aber herrje, es ist, wie es ist, schätze ich.« Er setzte sich wieder, als hätte sich Montclaro nur kurz für eine Zigarette entschuldigt.
Auch Anaïs nickte. »Ich habe ihn sowieso nicht gemocht. Er wacht schon wieder auf – nichts, was ein La Golgotha nicht richten könnte. Und Feuvigil wird ihn sowieso freikaufen, machen wir uns nichts vor.« Sie schaute zu den beiden Mädchen. »Ich hoffe, euch geht es gut, meine Lieben?« Auch der Pitbull drehte sich langsam um. Inez sah, wie Lyz das Etui schnell wieder in ihrem Kleid verschwinden ließ.
Hoffentlich hatte es geklappt.
»Señora Dante, Señora … Lucille.« In seinem Blick lag eine Mischung aus professioneller Besorgnis und Missbilligung. »Geht es Ihnen gut?« Inez nickte – mit einer sehr überzeugenden Empörung im Gesicht.
»Sicherlich, aber laden Sie stets solche Grobiane in Ihr Allerheiligstes? Muss ich meine Freundinnen vor diesem Etablissement warnen?« Auch Zhenferro nickte. »Auch ich bin etwas überrascht, dass diese beiden Damen um ihr Leben fürchten mussten …«
Inez beschloss, dass sie Zhenferro ab sofort mochte.
Sie hörte das Zähneknirschen des Pitbulls bis hierhin. Er wusste, dass sie den Waffenhändler bis aufs Blut gereizt hatten, hatte jedoch keine andere Wahl, als ihr Spiel mitzuspielen. »Bitte entschuldigen Sie … ich werde persönlich dafür sorgen, dass so etwas nicht wieder vorkommt. Nun … wollen wir unser Spiel zu einem Ende bringen?«
Inez sah, wie zwei Wachen den leise vor sich hin zischenden Montclaro aus dem Raum hievten, und setzte sich wieder. Der Pitbull, noch immer etwas durch den Wind, nickte Anaïs zu, die ihrerseits ihre Karten aufdeckte. Sie hatte den Löwen (15) vor sich, daneben den Sanctus (4) – und die Hundekarte (13), die ihr bei der Rota von Inez zugewandert war. Zweiunddreißig. Zhenferro und Anaïs nickten sich respektvoll zu, bevor der Pitbull wieder seine Stimme erhob – es lag eine Endgültigkeit in ihr.
»Nun zu den letzten Schulden dieses Spiels, die beglichen werden müssen.« Er deutete mit seinem Stab auf den Sanctus von Anaïs und klopfte einmal auf den Tisch. Sofort leuchtete die Karte auf und begann an den Rändern rot zu glühen. »Señora Anaïs?« Diese lächelte und hob einen Zeigefinger, mit dem sie nach oben zeigte. Der Pitbull nickte. »Wir erhöhen um den Wert eins. Dreiunddreißig – Perfectio.« In seiner Stimme lag keine Aufregung und keine Enttäuschung, nur eine Feststellung.
Zhenferro klatschte ihr leise und huldvoll zu, und auch Inez nickte einmal aus Höflichkeit.
Die Karten von Montclaro lagen verwaist auf seinem Platz. Nur sein Tuch erinnerte an seine Anwesenheit.
Dann wendete sich Zerard Duvalczak Inez zu. Er deutete mit seinem Stab auf den Mond, und sie sah, wie die Münze hellrot aufleuchtete und ein kleines »I« in die Karte brannte. »Wir erhöhen den Wert um eins. Siebenundzwanzig.«
In diesem Moment war sie froh, die Münze nicht in ihrer Hand versteckt zu haben.
»Meine Damen, meine Herren … die Karten haben entschieden. Ich beglückwünsche Sie zu Ihrem Sieg …« Der Pitbull nickte Anaïs zu und breitete die Arme aus. »… und die anderen zu ihrem mutigen Einsatz. Wir führen unser Spiel, wenn Sie es wünschen, in einigen Minuten weiter.« Mit diesen Worten senkte er noch einmal den Kopf und verschwand schließlich ebenso schnell, wie er gekommen war.
Ein Assistent legte Anaïs’ Gewinn in einen goldenen Koffer, schloss sich selbst mit Handschellen daran an und stellte sich neben die alte Dame, die kaum Notiz von ihrem Gewinn nahm.
Inez atmete aus und erlaubte sich dann ein kurzes Lächeln. La Cara hatte obsiegt.
Sofort ging ihr Blick zu Lyz; sie suchte in ihren Augen nach einem Zeichen der Bestätigung – doch diese schüttelte nur traurig den Kopf.
Inez’ Herz rutschte ihr in die Hose – und machte einen Sprung nach oben, als sie Lyz’ Kichern sah.
»Du fiese …« Sie kam nicht mehr dazu, ihren Satz zu beenden, als Téo ein wenig zu aufgeregt für seine Rolle zu ihnen eilte. »Ja? Oder … nein?« Er starrte zunächst Lyz an, besann sich dann eines Besseren und blickte Inez an. »Sag schon!« Mit einem Schulterklopfen erlöste sie ihn und hörte sein erleichtertes Schnauben.
Sie hatten es geschafft.
Gerade, als sie sich zum Gehen wenden wollte, lief sie Zhenferro über den Weg, der – flankiert von seinen Leibwachen – zu ihr schaute und ihr lächelnd die Hand ausstreckte, dieses Mal ohne trinitriadische Hintergedanken.
»Señora Dante, ich danke Ihnen für Ihren Einsatz. Mir hat unser kleines … Spiel … sehr gefallen.« Sie wusste, dass er damit nicht Triptyque meinte.
Inez schüttelte seine Hand unter den verwirrten Blicken von Lyz und Téo und lächelte zurück. »Zhenferro, es war mir eine Freude. Was werden Sie jetzt tun?« Er behielt weiter sein mysteriöses Lächeln und zwinkerte ihr zu.
»Wir haben unsere eigenen Geschäfte im Sanctum Sins.«
Sie wusste, dass dies alles war, was sie aus ihm herausbekommen würde, und lächelte nur.
»Wenn Sie mir diesen einen Ratschlag erlauben … bleiben Sie weiterhin so aufmerksam. Eine wertvolle Eigenschaft … und viel Glück bei Ihrem nächsten Spiel. Gewiss laufen wir uns noch einmal über den Weg.« Der Trinitriad nickte ein letztes Mal und verschwand schließlich hinter den gläsernen Türen.
Inez spürte die Blicke ihrer Freunde und schüttelte kaum sichtbar den Kopf. Später, sagte sie damit. Später würden sie über alles reden können. Auch wenn sie den beiden niemals würde erklären können, dass auch Zhenferro verstanden hatte, wie er mit Menschen spielen konnte – so wie sie es tat.
Sie waren kurz vor der Glastür, als sie die Stimme von Anaïs hörte.
»Esierra!«
Sie drehte sich um. Die alte Frau schaute sie jetzt mit ernster Miene an – das erste Mal, seit sie das Sanctum betreten hatte. Dann stahl sich doch noch ein leises Lächeln in ihr Gesicht.
»Viel Glück. Die Nacht ist noch jung … gewiss laufen wir uns noch einmal über den Weg, vielleicht bei unserem nächsten Spiel?«
Viel Glück? Inez nickte nur höflich mit dem Kopf und verließ dann mit ihren Freunden das Sanctum.
Hoffentlich nicht, dachte sie.
den waffenhändler provozieren
den waffenhändler provozieren

Sie sah ihn vor sich, wie auf einer Karte: Séverin Montclaro, der Waffenhändler von Feuvigil. Ein feister Mann, der in seinem zu teuren Anzug und mit seiner Überheblichkeit gut zu den restlichen Gästen des Sanctum passte. Seine größte Stärke war gleichzeitig auch seine größte Schwäche: Nicht er war groß, sondern die Corporación, in deren Schatten er sich suhlte. Nicht ihn galt es anzugreifen, sondern Feuvigil: Die Trümmer und Splitter, die der Waffenriese nach ihrem Angriff verlieren würde, würden dann auch Montclaro treffen. Drei Stiche ins Herz, die den Riesen zum Wanken bringen mussten – und die Messer, die auf seine Karte zielten, wogen schwer in ihrer Hand.
Der erste Wurf – sein scheinbarer Reichtum, den sie schnellstmöglich wertlos machen musste. Montclaro stand auf einem Berg von Münzen, doch waren seine Schritte unbeholfen, und er musste aufpassen, nicht auszurutschen. Ihr erstes Messer musste seinen goldenen Füßen gelten.
Der zweite Wurf – sein tiefer Hass gegen die Trinitriad, die den Marmor von seiner geliebten Corporación abschliffen und teurer weiterverkauften. Montclaros Liebe galt den Zertifizierungen und Exklusivverträgen, die Feuvigil erst groß gemacht hatten. Ein gutes Geschäft war für ihn dann zufriedenstellend, wenn es Regeln und Traditionen unterworfen war, von denen nur diejenigen profitierten, die am hohen Tisch saßen. Sie würde die Hilfe von Zhenferro brauchen, um ihn von diesem Tisch zu stoßen. Ihr zweites Messer musste seinen Händen gelten, die Millionen Escodinar besiegelt hatten.
Der dritte Wurf – seine Rolle als Zahnrad, dessen Abwesenheit Feuvigil nicht einmal auffallen würde; Einzelteile gab es schließlich genug. Montclaros Identität baute auf seiner Vorstellung, er wäre für den Giganten aus Feuer und Stahl unentbehrlich. Würde man ihn gewaltsam aus der Maschinerie lösen, die Feuvigil hieß, so wäre Séverin Montclaro nur noch ein Mann in einem teuren Anzug, der offenkundig nur noch verlieren konnte, es aber nie richtig gelernt hatte. Ihr letztes Messer musste seinem Herzen gelten, das im Puls der Fertigungsanlagen schlug.
Inez lächelte. In diesem Moment war »La Cara« die gefährlichste Spielerin an diesem Tisch.
»Meine Damen, meine Herren …« Zerard Duvalczak schaute mit gewichtigem Blick in die Runde. »Decken Sie Ihre Karten auf und offenbaren Sie Ihr Schicksal.«
Inez machte den Anfang: Sie ließ den Mond (10) liegen, den sie erhöht hatte, daneben die Maske (5). Die dritte Karte, die bei der Rota von Zhenferro zu ihr gewandert war, zeigte die Vögel (11). Sechsundzwanzig – mit ihrer Anpassung des Mondes sogar siebenundzwanzig. Ein zufriedenstellendes Ergebnis – allerdings ging es ihr ohnehin nicht um den Pot. Ihr ging es um ihr Ziel.
»Sagen Sie, Monsieur Montclaro …« Sie spürte das kühle Heft des Stahls an ihrer Hand, das direkt auf seine Füße gerichtet war. »… verzeihen Sie meine Neugier, doch ich habe eine Frage an Sie – wenn Sie erlauben?« Ihre Stimme war genau die richtige Mischung aus Höflichkeit und Arroganz, die seine Neugier weckte und seinem Ego schmeichelte. Er nickte.
»Gewiss bin ich in solchen Dingen nicht ganz so bewandert wie Sie …« Sie sah, wie er sein stolzes Lächeln nur mit Mühe verbarg. »… doch überrascht es mich etwas, über welch unermesslichen Reichtum Feuvigil verfügen muss.« Jetzt legte sich eine Spur von Verwirrung über seine Miene.
»Señorita Dante, aber dies ist doch kein Geheimnis … wir« – er betonte dieses Wort ganz besonders – »… sind ein wichtiger Partner für die Clerarchie, die Ordres, die Häuser, wir-«
Er wurde durch das gespielt mädchenhafte Kichern von Inez unterbrochen. »Bitte entschuldigen Sie, ich bin nur beeindruckt, dass selbst die kleineren Angestellten von Feuvigil ein solch enormes Gehalt bekommen müssen, dass sie Triptyque mit Maximaleinsätzen spielen können. Wie großzügig!«
Mit einem Sirren flog das erste Messer direkt auf ihn zu und nagelte ihn am Boden fest.
Die Gesichtsfarbe Montclaros durchlief in wenigen Sekunden mehrere Rottöne, bis er sich schließlich für ein dunkles Rot entschied, das an seiner Stirn geradezu leuchtete. Wie von selbst landete seine Faust auf dem Tisch und ließ die Karten erzittern. »Was erlauben Sie sich, Sie …« Es war der Pitbull, der ihn mit einem strafenden und Inez mit einem tadelnden Blick bedachte und beide zum Schweigen brachte. Er deutete auf den grinsenden Zhenferro, in dessen Blick eine gewisse Achtung lag.
Zhenferro schob seine Schlange (14), den Schlüssel (11) und das Rad (7) zusammen: zweiunddreißig – ein knappes, sauberes Blatt. Er zuckte die Schultern, als wäre das alles nur Buchhaltung, erlaubte sich jedoch, Montclaro kurz zuzuzwinkern, der bewusst zu Boden schaute und versuchte, sein Gesicht wieder eine normale Farbe annehmen zu lassen.
Inez wetzte allerdings bereits ihre nächste Klinge.
»Bitte verzeihen Sie, ich wollte nicht unhöflich klingen … wissen Sie, ich freue mich nur, dass ich gleich an meinem ersten Abend zwei so namhafte Waffenhändler kennenlernen konnte!« Ihre ausgebreiteten Hände deuteten auf Montclaro und Zhenferro, die beide nicht gerne miteinander verglichen werden wollten – allerdings war klar, wer damit besser leben konnte.
»Ah, Señora Dante, ich fühle mich geschmeichelt, wirklich …« Sie merkte, wie Zhenferro sofort in ihr Spiel einstieg. »Doch würde ich so bescheiden bleiben und meine Brüder und Schwestern einfache Handwerker nennen, die großen Stolz in ihrer Kunst sehen … wissen Sie …« Er schaute Inez zwar an, doch galten seine Worte Montclaro. »Ich bewundere Feuvigil für ihre Kapazitäten und ihre Professionalität, Quantität vor Qualität zu setzen. Nun, ich könnte so etwas sicherlich nicht.« Er senkte huldvoll den Kopf vor dem anderen Waffenhändler, der jedoch mit seinen weit aufgerissenen Augen und der Art und Weise, wie er die Luft aus seiner Nase stieß, an einen wütenden Drachen erinnerte. Längst lag das Tuch verwaist neben ihm, der Schweiß in Sturzbächen an seinem Gesicht.
Das zweite Messer hatte Zhenferro elegant aufgefangen und ihm direkt in die Hand gerammt.
Inez spürte den Blick von Anaïs auf sich und wandte sich ihr direkt zu. Fast erwartete sie das missbilligende Starren einer alten Dame zu sehen, die spielende Kinder in Vita Nera anherrschte.
Doch stattdessen lächelte sie sie unverhohlen an – mit einem Leuchten in den Augen, das Inez als Anerkennung deutete. Die Stimme des Pitbulls brach die Verbindung ab.
»Widmen wir uns wieder dem Spiel, Señora Dante, Señor Zhenferro …« Eiskalt war diese Stimme und mit einem Anflug von Verärgerung. Seine offene Hand deutete auf Montclaro. »Monsieur?«
Der Waffenhändler atmete einmal tief aus und offenbarte schließlich seine Hand. Er starrte auf sein offenes Schwert, nun sechzehn, den Peccator (9) und das Haus (12). Siebenunddreißig. Zu viel. Das Tuch in seiner Hand, inzwischen dunkel vom Schweiß, zitterte leicht.
Es war an der Zeit, die letzte Klinge zu versenken.
Beinahe beiläufig wandte sie sich Lyz zu und flüsterte – nicht überhörbar: »Lucille, meine Liebe, hast du auch den Eindruck, dass Monsieur Montclaro etwas dünnhäutig reagiert? Ich wollte Vater ja einen Kontakt zu einem der Waffenbauer in der Stadt vermitteln, allerdings bin ich etwas abgeschreckt … nicht, dass Ihre Mitarbeiter alle so unprofessionell sind?« Sie merkte aus dem Augenwinkel, wie Montclaro sich unendlich langsam von seinem Stuhl erhob und sie anstierte. Die Luft im Raum war spürbar kälter geworden. Lyz lächelte und flüsterte – wenn man es in dieser Lautstärke so nennen konnte – unverhohlen zurück: »Aber, Esierra, meine Liebste … das wird doch sicherlich niemand Wichtiges sein, oder?«
Beide Mädchen zwinkerten dem Mann zu – und trieben gemeinsam das Messer in sein Herz.
Mit einem gutturalen Brüllen stieß Montclaro seine Karten von sich und stürmte wie ein verletzter Bulle auf Inez und Lyz zu. »Du boshafte Göre, was glaubst du eigentlich, mit wem du sprichst, denkst du, dein dummer Vater …«
Er kramte in seinen Taschen und holte schließlich eine silbrig glänzende Klinge hervor, auf der das Wappen von Feuvigil erkennbar war – nur Gott wusste, wie er diese in das Casino bekommen hatte. Zhenferro sprang alarmiert auf, im Begriff, das Schlimmste abzuwenden, während Anaïs mit belustigtem Blick das Schauspiel beobachtete.
Auch Téo sprang erschrocken einen Schritt nach vorn.
Der in seinem Stolz gekränkte Mann kam jedoch nicht sonderlich weit.
Wie eine Steinwand baute sich der Pitbull vor Inez auf und richtete seinen Stab, den er eben noch zum Verschieben der Karten benutzt hatte, auf Montclaro. Sein blinder Zorn hinderte ihn daran, die drohende Gefahr zu erkennen. Aus dem Augenwinkel sah sie schlagartig das Glitzern eines Zigarrenetuis aufblitzen.
Eine einzelne Leuchtpatrone schoss aus dem Stab und traf ihn direkt in die Brust, dort, wo das Herz war. Für den Bruchteil einer Sekunde sah sie sein überrascht wirkendes Gesicht, das ein fast schon witzig anmutendes »Oh« formte, bevor es ihn von den Beinen riss und nach hinten warf – genau vor Téo, der fluchend wieder zurücksprang.
Der Waffenriese war zu Boden gegangen.
Für einen Moment herrschte Stille in dem Raum, nur unterbrochen vom sanften Plätschern des Wassers und dem Zischen der verbrannten Stelle auf Montclaros Brust.
»Nun, das ist keine besonders schöne Angelegenheit, was?« Zhenferro stand vor seinem Tisch und blickte auf den anderen Waffenhändler hinunter. »Aber herrje, es ist, wie es ist, schätze ich.« Er setzte sich wieder, als hätte sich Montclaro nur kurz für eine Zigarette entschuldigt. Auch Anaïs nickte. »Ich habe ihn sowieso nicht gemocht. Er wacht schon wieder auf – nichts, was ein La Golgotha nicht richten könnte. Und Feuvigil wird ihn sowieso freikaufen, machen wir uns nichts vor.«
Sie schaute zu den beiden Mädchen. »Ich hoffe, euch geht es gut, meine Lieben?« Auch der Pitbull drehte sich langsam um. Inez sah, wie Lyz das Etui schnell wieder in ihrem Kleid verschwinden ließ.
Hoffentlich hatte es geklappt.
»Señora Dante, Señora … Lucille.« In seinem Blick lag eine Mischung aus professioneller Besorgnis und Missbilligung. »Geht es Ihnen gut?« Inez nickte – mit einer sehr überzeugenden Empörung im Gesicht. »Sicherlich, aber laden Sie stets solche Grobiane in Ihr Allerheiligstes? Muss ich meine Freundinnen vor diesem Etablissement warnen?«
Auch Zhenferro nickte. »Auch ich bin etwas überrascht, dass diese beiden Damen um ihr Leben fürchten mussten …«
Inez beschloss, dass sie Zhenferro ab sofort mochte.
Sie hörte das Zähneknirschen des Pitbulls bis hierhin. Er wusste, dass sie den Waffenhändler bis aufs Blut gereizt hatten, hatte jedoch keine andere Wahl, als ihr Spiel mitzuspielen. »Bitte entschuldigen Sie … ich werde persönlich dafür sorgen, dass so etwas nicht wieder vorkommt. Nun … wollen wir unser Spiel zu einem Ende bringen?«
Inez sah, wie zwei Wachen den leise vor sich hin zischenden Montclaro aus dem Raum hievten, und setzte sich wieder. Der Pitbull, noch immer etwas durch den Wind, nickte Anaïs zu, die ihrerseits ihre Karten aufdeckte. Sie hatte den Löwen (15) vor sich, daneben den Sanctus (4) – und die Hundekarte (13), die ihr bei der Rota von Inez zugewandert war. Zweiunddreißig. Zhenferro und Anaïs nickten sich respektvoll zu, bevor der Pitbull wieder seine Stimme erhob – es lag eine Endgültigkeit in ihr.
»Nun zu den letzten Schulden dieses Spiels, die beglichen werden müssen.« Er deutete mit seinem Stab auf den Sanctus von Anaïs und klopfte einmal auf den Tisch. Sofort leuchtete die Karte auf und begann an den Rändern rot zu glühen. »Señora Anaïs?« Diese lächelte und hob einen Zeigefinger, mit dem sie nach oben zeigte. Der Pitbull nickte. »Wir erhöhen um den Wert eins. Dreiunddreißig – Perfectio.« In seiner Stimme lag keine Aufregung und keine Enttäuschung, nur eine Feststellung.
Zhenferro klatschte ihr leise und huldvoll zu, und auch Inez nickte einmal aus Höflichkeit.
Die Karten von Montclaro lagen verwaist auf seinem Platz. Nur sein Tuch erinnerte an seine Anwesenheit.
Dann wendete sich Zerard Duvalczak Inez zu. Er deutete mit seinem Stab auf den Mond, und sie sah, wie die Münze hellrot aufleuchtete und ein kleines »I« in die Karte brannte. »Wir erhöhen den Wert um eins. Siebenundzwanzig.«
In diesem Moment war sie froh, die Münze nicht in ihrer Hand versteckt zu haben.
»Meine Damen, meine Herren … die Karten haben entschieden. Ich beglückwünsche Sie zu Ihrem Sieg …« Der Pitbull nickte Anaïs zu und breitete die Arme aus. »… und die anderen zu ihrem mutigen Einsatz. Wir führen unser Spiel, wenn Sie es wünschen, in einigen Minuten weiter.« Mit diesen Worten senkte er noch einmal den Kopf und verschwand schließlich ebenso schnell, wie er gekommen war.
Ein Assistent legte Anaïs’ Gewinn in einen goldenen Koffer, schloss sich selbst mit Handschellen daran an und stellte sich neben die alte Dame, die kaum Notiz von ihrem Gewinn nahm.
Inez atmete aus und erlaubte sich dann ein kurzes Lächeln. La Cara hatte obsiegt.
Sofort ging ihr Blick zu Lyz; sie suchte in ihren Augen nach einem Zeichen der Bestätigung – doch diese schüttelte nur traurig den Kopf.
Inez’ Herz rutschte ihr in die Hose – und machte einen Sprung nach oben, als sie Lyz’ Kichern sah.
»Du fiese …« Sie kam nicht mehr dazu, ihren Satz zu beenden, als Téo ein wenig zu aufgeregt für seine Rolle zu ihnen eilte. »Ja? Oder … nein?« Er starrte zunächst Lyz an, besann sich dann eines Besseren und blickte Inez an. »Sag schon!« Mit einem Schulterklopfen erlöste sie ihn und hörte sein erleichtertes Schnauben.
Sie hatten es geschafft.
Gerade, als sie sich zum Gehen wenden wollte, lief sie Zhenferro über den Weg, der – flankiert von seinen Leibwachen – zu ihr schaute und ihr lächelnd die Hand ausstreckte, dieses Mal ohne trinitriadische Hintergedanken.
»Señora Dante, ich danke Ihnen für Ihren Einsatz. Mir hat unser kleines … Spiel … sehr gefallen.« Sie wusste, dass er damit nicht Triptyque meinte.
Inez schüttelte seine Hand unter den verwirrten Blicken von Lyz und Téo und lächelte zurück.
»Zhenferro, es war mir eine Freude. Was werden Sie jetzt tun?« Er behielt weiter sein mysteriöses Lächeln und zwinkerte ihr zu.
»Wir haben unsere eigenen Geschäfte im Sanctum Sins.« Sie wusste, dass dies alles war, was sie aus ihm herausbekommen würde, und lächelte nur.
»Wenn Sie mir diesen einen Ratschlag erlauben … bleiben Sie weiterhin so aufmerksam. Eine wertvolle Eigenschaft … und viel Glück bei Ihrem nächsten Spiel. Gewiss laufen wir uns noch einmal über den Weg.« Der Trinitriad nickte ein letztes Mal und verschwand schließlich hinter den gläsernen Türen.
Inez spürte die Blicke ihrer Freunde und schüttelte kaum sichtbar den Kopf. Später, sagte sie damit. Später würden sie über alles reden können. Auch wenn sie den beiden niemals würde erklären können, dass auch Zhenferro verstanden hatte, wie er mit Menschen spielen konnte – so wie sie es tat.
Sie waren kurz vor der Glastür, als sie die Stimme von Anaïs hörte.
»Esierra!«
Sie drehte sich um. Die alte Frau schaute sie jetzt mit ernster Miene an – das erste Mal, seit sie das Sanctum betreten hatte. Dann stahl sich doch noch ein leises Lächeln in ihr Gesicht.
»Viel Glück. Die Nacht ist noch jung … gewiss laufen wir uns noch einmal über den Weg, vielleicht bei unserem nächsten Spiel?«
Viel Glück? Inez nickte nur höflich mit dem Kopf und verließ dann mit ihren Freunden das Sanctum.
Hoffentlich nicht, dachte sie.

Sie sah ihn vor sich, wie auf einer Karte: Séverin Montclaro, der Waffenhändler von Feuvigil. Ein feister Mann, der in seinem zu teuren Anzug und mit seiner Überheblichkeit gut zu den restlichen Gästen des Sanctum passte. Seine größte Stärke war gleichzeitig auch seine größte Schwäche: Nicht er war groß, sondern die Corporación, in deren Schatten er sich suhlte. Nicht ihn galt es anzugreifen, sondern Feuvigil: Die Trümmer und Splitter, die der Waffenriese nach ihrem Angriff verlieren würde, würden dann auch Montclaro treffen. Drei Stiche ins Herz, die den Riesen zum Wanken bringen mussten – und die Messer, die auf seine Karte zielten, wogen schwer in ihrer Hand.
Der erste Wurf – sein scheinbarer Reichtum, den sie schnellstmöglich wertlos machen musste. Montclaro stand auf einem Berg von Münzen, doch waren seine Schritte unbeholfen, und er musste aufpassen, nicht auszurutschen. Ihr erstes Messer musste seinen goldenen Füßen gelten.
Der zweite Wurf – sein tiefer Hass gegen die Trinitriad, die den Marmor von seiner geliebten Corporación abschliffen und teurer weiterverkauften. Montclaros Liebe galt den Zertifizierungen und Exklusivverträgen, die Feuvigil erst groß gemacht hatten. Ein gutes Geschäft war für ihn dann zufriedenstellend, wenn es Regeln und Traditionen unterworfen war, von denen nur diejenigen profitierten, die am hohen Tisch saßen. Sie würde die Hilfe von Zhenferro brauchen, um ihn von diesem Tisch zu stoßen. Ihr zweites Messer musste seinen Händen gelten, die Millionen Escodinar besiegelt hatten.
Der dritte Wurf – seine Rolle als Zahnrad, dessen Abwesenheit Feuvigil nicht einmal auffallen würde; Einzelteile gab es schließlich genug. Montclaros Identität baute auf seiner Vorstellung, er wäre für den Giganten aus Feuer und Stahl unentbehrlich. Würde man ihn gewaltsam aus der Maschinerie lösen, die Feuvigil hieß, so wäre Séverin Montclaro nur noch ein Mann in einem teuren Anzug, der offenkundig nur noch verlieren konnte, es aber nie richtig gelernt hatte. Ihr letztes Messer musste seinem Herzen gelten, das im Puls der Fertigungsanlagen schlug.
Inez lächelte. In diesem Moment war »La Cara« die gefährlichste Spielerin an diesem Tisch.
»Meine Damen, meine Herren …« Zerard Duvalczak schaute mit gewichtigem Blick in die Runde. »Decken Sie Ihre Karten auf und offenbaren Sie Ihr Schicksal.«
Inez machte den Anfang: Sie ließ den Mond (10) liegen, den sie erhöht hatte, daneben die Maske (5). Die dritte Karte, die bei der Rota von Zhenferro zu ihr gewandert war, zeigte die Vögel (11). Sechsundzwanzig – mit ihrer Anpassung des Mondes sogar siebenundzwanzig. Ein zufriedenstellendes Ergebnis – allerdings ging es ihr ohnehin nicht um den Pot. Ihr ging es um ihr Ziel.
»Sagen Sie, Monsieur Montclaro …« Sie spürte das kühle Heft des Stahls an ihrer Hand, das direkt auf seine Füße gerichtet war. »… verzeihen Sie meine Neugier, doch ich habe eine Frage an Sie – wenn Sie erlauben?« Ihre Stimme war genau die richtige Mischung aus Höflichkeit und Arroganz, die seine Neugier weckte und seinem Ego schmeichelte. Er nickte.
»Gewiss bin ich in solchen Dingen nicht ganz so bewandert wie Sie …« Sie sah, wie er sein stolzes Lächeln nur mit Mühe verbarg. »… doch überrascht es mich etwas, über welch unermesslichen Reichtum Feuvigil verfügen muss.« Jetzt legte sich eine Spur von Verwirrung über seine Miene.
»Señorita Dante, aber dies ist doch kein Geheimnis … wir« – er betonte dieses Wort ganz besonders – »… sind ein wichtiger Partner für die Clerarchie, die Ordres, die Häuser, wir-«
Er wurde durch das gespielt mädchenhafte Kichern von Inez unterbrochen. »Bitte entschuldigen Sie, ich bin nur beeindruckt, dass selbst die kleineren Angestellten von Feuvigil ein solch enormes Gehalt bekommen müssen, dass sie Triptyque mit Maximaleinsätzen spielen können. Wie großzügig!«
Mit einem Sirren flog das erste Messer direkt auf ihn zu und nagelte ihn am Boden fest.
Die Gesichtsfarbe Montclaros durchlief in wenigen Sekunden mehrere Rottöne, bis er sich schließlich für ein dunkles Rot entschied, das an seiner Stirn geradezu leuchtete. Wie von selbst landete seine Faust auf dem Tisch und ließ die Karten erzittern. »Was erlauben Sie sich, Sie …« Es war der Pitbull, der ihn mit einem strafenden und Inez mit einem tadelnden Blick bedachte und beide zum Schweigen brachte. Er deutete auf den grinsenden Zhenferro, in dessen Blick eine gewisse Achtung lag.
Zhenferro schob seine Schlange (14), den Schlüssel (11) und das Rad (7) zusammen: zweiunddreißig – ein knappes, sauberes Blatt. Er zuckte die Schultern, als wäre das alles nur Buchhaltung, erlaubte sich jedoch, Montclaro kurz zuzuzwinkern, der bewusst zu Boden schaute und versuchte, sein Gesicht wieder eine normale Farbe annehmen zu lassen.
Inez wetzte allerdings bereits ihre nächste Klinge.
»Bitte verzeihen Sie, ich wollte nicht unhöflich klingen … wissen Sie, ich freue mich nur, dass ich gleich an meinem ersten Abend zwei so namhafte Waffenhändler kennenlernen konnte!« Ihre ausgebreiteten Hände deuteten auf Montclaro und Zhenferro, die beide nicht gerne miteinander verglichen werden wollten – allerdings war klar, wer damit besser leben konnte.
»Ah, Señora Dante, ich fühle mich geschmeichelt, wirklich …« Sie merkte, wie Zhenferro sofort in ihr Spiel einstieg. »Doch würde ich so bescheiden bleiben und meine Brüder und Schwestern einfache Handwerker nennen, die großen Stolz in ihrer Kunst sehen … wissen Sie …« Er schaute Inez zwar an, doch galten seine Worte Montclaro. »Ich bewundere Feuvigil für ihre Kapazitäten und ihre Professionalität, Quantität vor Qualität zu setzen. Nun, ich könnte so etwas sicherlich nicht.« Er senkte huldvoll den Kopf vor dem anderen Waffenhändler, der jedoch mit seinen weit aufgerissenen Augen und der Art und Weise, wie er die Luft aus seiner Nase stieß, an einen wütenden Drachen erinnerte. Längst lag das Tuch verwaist neben ihm, der Schweiß in Sturzbächen an seinem Gesicht.
Das zweite Messer hatte Zhenferro elegant aufgefangen und ihm direkt in die Hand gerammt.
Inez spürte den Blick von Anaïs auf sich und wandte sich ihr direkt zu. Fast erwartete sie das missbilligende Starren einer alten Dame zu sehen, die spielende Kinder in Vita Nera anherrschte.
Doch stattdessen lächelte sie sie unverhohlen an – mit einem Leuchten in den Augen, das Inez als Anerkennung deutete. Die Stimme des Pitbulls brach die Verbindung ab.
»Widmen wir uns wieder dem Spiel, Señora Dante, Señor Zhenferro …« Eiskalt war diese Stimme und mit einem Anflug von Verärgerung. Seine offene Hand deutete auf Montclaro. »Monsieur?«
Der Waffenhändler atmete einmal tief aus und offenbarte schließlich seine Hand. Er starrte auf sein offenes Schwert, nun sechzehn, den Peccator (9) und das Haus (12). Siebenunddreißig. Zu viel. Das Tuch in seiner Hand, inzwischen dunkel vom Schweiß, zitterte leicht.
Es war an der Zeit, die letzte Klinge zu versenken.
Beinahe beiläufig wandte sie sich Lyz zu und flüsterte – nicht überhörbar: »Lucille, meine Liebe, hast du auch den Eindruck, dass Monsieur Montclaro etwas dünnhäutig reagiert? Ich wollte Vater ja einen Kontakt zu einem der Waffenbauer in der Stadt vermitteln, allerdings bin ich etwas abgeschreckt … nicht, dass Ihre Mitarbeiter alle so unprofessionell sind?« Sie merkte aus dem Augenwinkel, wie Montclaro sich unendlich langsam von seinem Stuhl erhob und sie anstierte. Die Luft im Raum war spürbar kälter geworden. Lyz lächelte und flüsterte – wenn man es in dieser Lautstärke so nennen konnte – unverhohlen zurück: »Aber, Esierra, meine Liebste … das wird doch sicherlich niemand Wichtiges sein, oder?«
Beide Mädchen zwinkerten dem Mann zu – und trieben gemeinsam das Messer in sein Herz.
Mit einem gutturalen Brüllen stieß Montclaro seine Karten von sich und stürmte wie ein verletzter Bulle auf Inez und Lyz zu. »Du boshafte Göre, was glaubst du eigentlich, mit wem du sprichst, denkst du, dein dummer Vater …«
Er kramte in seinen Taschen und holte schließlich eine silbrig glänzende Klinge hervor, auf der das Wappen von Feuvigil erkennbar war – nur Gott wusste, wie er diese in das Casino bekommen hatte. Zhenferro sprang alarmiert auf, im Begriff, das Schlimmste abzuwenden, während Anaïs mit belustigtem Blick das Schauspiel beobachtete.
Auch Téo sprang erschrocken einen Schritt nach vorn.
Der in seinem Stolz gekränkte Mann kam jedoch nicht sonderlich weit.
Wie eine Steinwand baute sich der Pitbull vor Inez auf und richtete seinen Stab, den er eben noch zum Verschieben der Karten benutzt hatte, auf Montclaro. Sein blinder Zorn hinderte ihn daran, die drohende Gefahr zu erkennen. Aus dem Augenwinkel sah sie schlagartig das Glitzern eines Zigarrenetuis aufblitzen.
Eine einzelne Leuchtpatrone schoss aus dem Stab und traf ihn direkt in die Brust, dort, wo das Herz war. Für den Bruchteil einer Sekunde sah sie sein überrascht wirkendes Gesicht, das ein fast schon witzig anmutendes »Oh« formte, bevor es ihn von den Beinen riss und nach hinten warf – genau vor Téo, der fluchend wieder zurücksprang.
Der Waffenriese war zu Boden gegangen.
Für einen Moment herrschte Stille in dem Raum, nur unterbrochen vom sanften Plätschern des Wassers und dem Zischen der verbrannten Stelle auf Montclaros Brust.
»Nun, das ist keine besonders schöne Angelegenheit, was?« Zhenferro stand vor seinem Tisch und blickte auf den anderen Waffenhändler hinunter. »Aber herrje, es ist, wie es ist, schätze ich.« Er setzte sich wieder, als hätte sich Montclaro nur kurz für eine Zigarette entschuldigt. Auch Anaïs nickte. »Ich habe ihn sowieso nicht gemocht. Er wacht schon wieder auf – nichts, was ein La Golgotha nicht richten könnte. Und Feuvigil wird ihn sowieso freikaufen, machen wir uns nichts vor.«
Sie schaute zu den beiden Mädchen. »Ich hoffe, euch geht es gut, meine Lieben?« Auch der Pitbull drehte sich langsam um. Inez sah, wie Lyz das Etui schnell wieder in ihrem Kleid verschwinden ließ.
Hoffentlich hatte es geklappt.
»Señora Dante, Señora … Lucille.« In seinem Blick lag eine Mischung aus professioneller Besorgnis und Missbilligung. »Geht es Ihnen gut?« Inez nickte – mit einer sehr überzeugenden Empörung im Gesicht. »Sicherlich, aber laden Sie stets solche Grobiane in Ihr Allerheiligstes? Muss ich meine Freundinnen vor diesem Etablissement warnen?«
Auch Zhenferro nickte. »Auch ich bin etwas überrascht, dass diese beiden Damen um ihr Leben fürchten mussten …«
Inez beschloss, dass sie Zhenferro ab sofort mochte.
Sie hörte das Zähneknirschen des Pitbulls bis hierhin. Er wusste, dass sie den Waffenhändler bis aufs Blut gereizt hatten, hatte jedoch keine andere Wahl, als ihr Spiel mitzuspielen. »Bitte entschuldigen Sie … ich werde persönlich dafür sorgen, dass so etwas nicht wieder vorkommt. Nun … wollen wir unser Spiel zu einem Ende bringen?«
Inez sah, wie zwei Wachen den leise vor sich hin zischenden Montclaro aus dem Raum hievten, und setzte sich wieder. Der Pitbull, noch immer etwas durch den Wind, nickte Anaïs zu, die ihrerseits ihre Karten aufdeckte. Sie hatte den Löwen (15) vor sich, daneben den Sanctus (4) – und die Hundekarte (13), die ihr bei der Rota von Inez zugewandert war. Zweiunddreißig. Zhenferro und Anaïs nickten sich respektvoll zu, bevor der Pitbull wieder seine Stimme erhob – es lag eine Endgültigkeit in ihr.
»Nun zu den letzten Schulden dieses Spiels, die beglichen werden müssen.« Er deutete mit seinem Stab auf den Sanctus von Anaïs und klopfte einmal auf den Tisch. Sofort leuchtete die Karte auf und begann an den Rändern rot zu glühen. »Señora Anaïs?« Diese lächelte und hob einen Zeigefinger, mit dem sie nach oben zeigte. Der Pitbull nickte. »Wir erhöhen um den Wert eins. Dreiunddreißig – Perfectio.« In seiner Stimme lag keine Aufregung und keine Enttäuschung, nur eine Feststellung.
Zhenferro klatschte ihr leise und huldvoll zu, und auch Inez nickte einmal aus Höflichkeit.
Die Karten von Montclaro lagen verwaist auf seinem Platz. Nur sein Tuch erinnerte an seine Anwesenheit.
Dann wendete sich Zerard Duvalczak Inez zu. Er deutete mit seinem Stab auf den Mond, und sie sah, wie die Münze hellrot aufleuchtete und ein kleines »I« in die Karte brannte. »Wir erhöhen den Wert um eins. Siebenundzwanzig.«
In diesem Moment war sie froh, die Münze nicht in ihrer Hand versteckt zu haben.
»Meine Damen, meine Herren … die Karten haben entschieden. Ich beglückwünsche Sie zu Ihrem Sieg …« Der Pitbull nickte Anaïs zu und breitete die Arme aus. »… und die anderen zu ihrem mutigen Einsatz. Wir führen unser Spiel, wenn Sie es wünschen, in einigen Minuten weiter.« Mit diesen Worten senkte er noch einmal den Kopf und verschwand schließlich ebenso schnell, wie er gekommen war.
Ein Assistent legte Anaïs’ Gewinn in einen goldenen Koffer, schloss sich selbst mit Handschellen daran an und stellte sich neben die alte Dame, die kaum Notiz von ihrem Gewinn nahm.
Inez atmete aus und erlaubte sich dann ein kurzes Lächeln. La Cara hatte obsiegt.
Sofort ging ihr Blick zu Lyz; sie suchte in ihren Augen nach einem Zeichen der Bestätigung – doch diese schüttelte nur traurig den Kopf.
Inez’ Herz rutschte ihr in die Hose – und machte einen Sprung nach oben, als sie Lyz’ Kichern sah.
»Du fiese …« Sie kam nicht mehr dazu, ihren Satz zu beenden, als Téo ein wenig zu aufgeregt für seine Rolle zu ihnen eilte. »Ja? Oder … nein?« Er starrte zunächst Lyz an, besann sich dann eines Besseren und blickte Inez an. »Sag schon!« Mit einem Schulterklopfen erlöste sie ihn und hörte sein erleichtertes Schnauben.
Sie hatten es geschafft.
Gerade, als sie sich zum Gehen wenden wollte, lief sie Zhenferro über den Weg, der – flankiert von seinen Leibwachen – zu ihr schaute und ihr lächelnd die Hand ausstreckte, dieses Mal ohne trinitriadische Hintergedanken.
»Señora Dante, ich danke Ihnen für Ihren Einsatz. Mir hat unser kleines … Spiel … sehr gefallen.« Sie wusste, dass er damit nicht Triptyque meinte.
Inez schüttelte seine Hand unter den verwirrten Blicken von Lyz und Téo und lächelte zurück.
»Zhenferro, es war mir eine Freude. Was werden Sie jetzt tun?« Er behielt weiter sein mysteriöses Lächeln und zwinkerte ihr zu.
»Wir haben unsere eigenen Geschäfte im Sanctum Sins.« Sie wusste, dass dies alles war, was sie aus ihm herausbekommen würde, und lächelte nur.
»Wenn Sie mir diesen einen Ratschlag erlauben … bleiben Sie weiterhin so aufmerksam. Eine wertvolle Eigenschaft … und viel Glück bei Ihrem nächsten Spiel. Gewiss laufen wir uns noch einmal über den Weg.« Der Trinitriad nickte ein letztes Mal und verschwand schließlich hinter den gläsernen Türen.
Inez spürte die Blicke ihrer Freunde und schüttelte kaum sichtbar den Kopf. Später, sagte sie damit. Später würden sie über alles reden können. Auch wenn sie den beiden niemals würde erklären können, dass auch Zhenferro verstanden hatte, wie er mit Menschen spielen konnte – so wie sie es tat.
Sie waren kurz vor der Glastür, als sie die Stimme von Anaïs hörte.
»Esierra!«
Sie drehte sich um. Die alte Frau schaute sie jetzt mit ernster Miene an – das erste Mal, seit sie das Sanctum betreten hatte. Dann stahl sich doch noch ein leises Lächeln in ihr Gesicht.
»Viel Glück. Die Nacht ist noch jung … gewiss laufen wir uns noch einmal über den Weg, vielleicht bei unserem nächsten Spiel?«
Viel Glück? Inez nickte nur höflich mit dem Kopf und verließ dann mit ihren Freunden das Sanctum.
Hoffentlich nicht, dachte sie.
