NICHT BEWEGEN


Blind stieß ihre Hand nach vorn und griff nach Lyz’ Handgelenk. »Nicht bewegen«, zischte sie und hielt sie fest. »Wenn wir jetzt rausspringen, sind wir tot. Téo … schafft das schon.« Sie unternahm nicht einmal den Versuch, die Zweifel in ihrer Stimme zu verbergen. Konnte Téo das allein schaffen? Hoffte er jetzt auf ihre Hilfe, die nicht mehr kommen würde? Lyz riss ihre Hand weg und setzte sich wieder hin. In ihrer Stimme lag keine Wut, nur Resignation. »Ich hoffe, du weißt, was du tust, Nez.«

Hoffnung war noch untertrieben. Dann knackte das Funkgerät wieder – und sie war sich sicher, die wutentbrannte Stimme des Mannes zu hören, der einen jaulenden Téo mit sich zog.

»Bitte?« Diese Stimme klang nicht sanft und verschreckt, sie klang auch nicht wütend und übergriffig.

Nein, es war eine Stimme des kalten Zorns.

»Glaubst du, jeder dahergelaufene …« – der Mann kam nicht mehr dazu, seinen Satz zu beenden, als die kalte, zornige Stimme von Téo ihn unterbrach: »Ob ich schon einmal Kabel in der Hand gehalten habe? Wer mich zum Techniker gemacht hat? Wissen Sie eigentlich, was Sie hier gerade tun?«

»Ja, ich sorge dafür, dass …«

»… hier gleich kein einziger Spielautomat funktioniert. Glauben Sie, ein PerDa 44 kommt so lange ohne Strom aus, ohne dass es ihm die Schaltkreise durchbrennt? Oder dass die Triparques dann nicht wieder einige neue RemGa-Module kaufen müssen? Wissen Sie eigentlich, wie viel die kosten? Mehr als wir beide zusammen verdienen – im Jahr.«

Inez hörte, wie Lyz’ Mund leise aufpoppte, und auch sie war baff. War das wirklich Téo – oder hatte jemand schnell seine Rolle übernommen?

 

Der Mann versuchte, etwas zu entgegnen, allerdings war Téo nicht mehr aufzuhalten. »Glauben Sie, in den Spielautomaten sitzt eine magische Fee, die munter ihren Zauberstab wedelt und Gewinne regnen lässt? Das sind höchstgradig komplizierte Maschinerien mit Schaltkreisen und Kabeln, mit Triggermodulen und Schaltern, die jeweils mit den Platinen der einzelnen Sensoren zusammenarbeiten und die ganze Zeit Daten austauschen … und wenn nur für einen Moment irgendwas ausfällt, dann verliert das Sanctum Sins Geld. Jede. Verdammte. Sekunde.«

Jetzt klang die Stimme des Mannes plötzlich gar nicht mehr so laut. »Hör mal, ich wusste doch nicht …« – eine Faust krachte auf den metallenen Deckel der Kiste und ließ Lyz und Inez aufschrecken.

»Ich habe es satt, mir ständig anzuhören, wie ich meinen Job machen soll. Ich muss hier ständig zwischen Casino und Serverraum herumlaufen und alle möglichen Kleinigkeiten reparieren, nur damit der Betrieb weitergeht, und dann stellt sich jemand wie Sie mir in den Weg und faselt mir irgendwas vor die Birne. Wollen Sie meinen Job machen? Wollen Sie schnell zum Serverraum und Abschnitt BS-38 neu starten? Bitte. Ich wollte sowieso bald in den Feierabend – dann dürfen Sie aber Duvalczak erklären, warum kein einziger Spielautomat mehr im Sanctum funktioniert …«

Eine Welle des Stolzes durchfuhr Inez – sie hätte es selbst nicht besser machen können. Den Gegner in die Ecke treiben, ihn mit dem eigenen Wissen überfordern und kleine Krümel fallen lassen, die zeigten, dass man Ahnung hatte und dazugehörte. Vielleicht sollte sie ihn als ihren Schüler annehmen. La Cara … und Téo. Ihr würde schon ein guter Name für ihn einfallen, ihren neuen Sidekick. Auch Lyz kicherte ein ungläubiges Lachen. »Hat der mit Montclaro heimlich Dym geraucht?«

Téo verlor sich in einem Wortschwall aus komplizierten Fachbegriffen und minutiös vorgetragenen Beschwerden gegen Duvalczak, das Sanctum Sins und die Triparques, bis der Mann schließlich beinahe verzweifelt einknickte.

»Schon gut, schon gut, mach … mach einfach weiter. Ich bin schon weg … und sag Duvalczak nicht, dass ich dir im Weg stand, das ist bestimmt nicht so wichtig, oder?«

Dann die genervte Stimme von Téo: »Dann machen Sie endlich Platz, bevor Ihr Gehalt die Kosten für den Ausfall tragen darf.«

 

Der Wagen setzte sich wieder in Bewegung.

»Ich töte dich, wenn du das Téo jemals sagst … aber das … war ziemlich cool.« Lyz hatte sich noch immer nicht erholt und schüttelte ungläubig den Kopf. »Das nächste Mal, wenn jemand nicht zahlen will, schicken wir Téo vor.«

»Worauf du Gift nehmen kannst.«

Schließlich blieb der Wagen stehen, und Inez hörte wieder das Knacken des Funkgeräts. »Kommt raus. Die Luft ist rein.«

Wie zwei Schlangen in einem vergessenen Schuh in der Viadombra sprangen Inez und Lyz aus der Kiste und rangen nach Luft – bevor sie ruckartig den Kopf zu Téo drehten.

Der saß bereits vornübergebeugt vor einem Server, der hinter einer Glasplatte versteckt war. Er versuchte, ernst zu wirken; sie konnte allerdings das leichte, selbstzufriedene Lächeln in seinem Mundwinkel sehen.

»Téo Marchal …« Lyz lief zu ihm und klopfte ihm auf den Rücken, bis dieser protestierend die Hände hinter sich schlug. »Ich wusste gar nicht, dass so ein Feuer in dir steckt.«

Auch Inez warf ihm einen anerkennenden Blick zu, den dieser mit einem überforderten Kopfschütteln quittierte. Doch auch er lächelte. »Der ist mir einfach so tierisch auf die Nerven gegangen … ob ich schon einmal Kabel in der Hand gehabt hätte … ich bitte euch.«

So war es nun mal mit Téo. Wenn ihm jemand die technische Expertise abstritt, zerriss er denjenigen in der Luft.

Der Raum, in dem sie sich befanden, war warm und stickig – was vermutlich an den zahlreichen Servern lag, die munter blinkend hinter Glaskästen schlummerten. Zahlreiche Bildschirme waren zu sehen, die mal hinunterlaufenden Code, mal Szenen aus dem Casino zeigten. In der Mitte des Raums stand die goldene Kiste, auf der die Funkgeräte ruhten. Es war ein eigenartiges Schauspiel, wie sich die flackernden LEDs im goldenen Metall spiegelten.

Es war fast surreal: Sie hatten es geschafft, sie waren einen Schritt weiter.

Zeit, dem Sanctum Sins das Augenlicht zu rauben.

Téo hatte bereits einen der Glaskästen geöffnet und hantierte vor einem kompliziert wirkenden Panel, das nur er deuten konnte. Er griff zu seinem Hals und holte einen kleinen Rosenkranz hervor, den er vorsichtig abschraubte. In seinem Inneren kam ein rechteckiger Kristall zum Vorschein, der von blauen Leitungen durchzogen war und vorn einen Anschluss hatte. Ein sogenannter 45/MODE:DEUS, ein Datenkristall, den man leicht auf den Dunklen Märkten von La Rocca bekam und mit dem sich technische Geräte … nun ja, Téo würde es durcheinanderbringen nennen.

Dreißig Minuten würde ihnen der Kristall geben können – dreißig Minuten, in denen die Kameras alte Aufnahmen zeigen und damit keine Gefahr darstellen würden.

Vorausgesetzt, die Händlerin in La Rocca hatte ihnen keinen Mist verkauft, der durch Téos sorgfältige Prüfung gerutscht war.

Die drei Freunde versammelten sich vor dem Glaskasten und schauten gebannt zu Téo. Inez sah in der Spiegelung die Gesichter ihrer beiden Freunde: Lyz Llavez, die in ihrer Aufregung sogar vergessen hatte, Téo zu verspotten. Téo Marchal, der in seinem zu großen Overall und dem konzentrierten Gesicht wie ein Priester wirkte, der im Gebet versunken war. Und sie selbst, Inez Valcárel, die nicht anders konnte, als für ihre Freunde und die gemeinsame Zeit dankbar zu sein. Egal, wie es heute enden würde – sie würden gemeinsam siegen. Oder fallen.

»Ladies and …« – er schaute kurz zu seinem Spiegelbild – »… Gentlemen: Wir haben gezahlt, wir haben gespielt, jetzt … können wir nur noch beten.« Er steckte den 45/MODE:DEUS in eine kleine Öffnung im Schaltpanel – und hielt die Luft an.

Der Datenkristall begann blau aufzuleuchten und erwachte mit einem Sirren zum Leben, das immer lauter wurde – bevor schließlich alle Bildschirme des Raums für einen Moment das Bild eines grinsenden, gehörnten Dämons zeigten, der jedoch ebenso schnell wieder verschwand. Lyz und Inez schauten sich verwirrt an. Sollte das so sein?

Es war Téo, der jubilierend aufsprang und sie damit aus ihrer Verwirrung holte. Jetzt lachten auch die beiden Mädchen, und die drei Freunde fielen sich in die Arme, vergaßen für einen Moment La Golgotha und die Gefahren, die noch auf sie warteten.

Das Sanctum Sins war offiziell blind.

Dann wurde Téos Miene wieder ernst. »Ab jetzt läuft unsere Zeit.« Er schaute auf seine Armbanduhr und stellte eine Zeit ein. »Dreißig Minuten, Leute. Machen wir uns an die Arbeit.«

Dreißig Minuten, um das Sanctum Sins zu schlagen – und zu Legenden zu werden.

Nur keine Eile.


Blind stieß ihre Hand nach vorn und griff nach Lyz’ Handgelenk. »Nicht bewegen«, zischte sie und hielt sie fest. »Wenn wir jetzt rausspringen, sind wir tot. Téo … schafft das schon.« Sie unternahm nicht einmal den Versuch, die Zweifel in ihrer Stimme zu verbergen. Konnte Téo das allein schaffen? Hoffte er jetzt auf ihre Hilfe, die nicht mehr kommen würde? Lyz riss ihre Hand weg und setzte sich wieder hin. In ihrer Stimme lag keine Wut, nur Resignation. »Ich hoffe, du weißt, was du tust, Nez.«

Hoffnung war noch untertrieben. Dann knackte das Funkgerät wieder – und sie war sich sicher, die wutentbrannte Stimme des Mannes zu hören, der einen jaulenden Téo mit sich zog.

»Bitte?« Diese Stimme klang nicht sanft und verschreckt, sie klang auch nicht wütend und übergriffig.

Nein, es war eine Stimme des kalten Zorns.

»Glaubst du, jeder dahergelaufene …« – der Mann kam nicht mehr dazu, seinen Satz zu beenden, als die kalte, zornige Stimme von Téo ihn unterbrach: »Ob ich schon einmal Kabel in der Hand gehalten habe? Wer mich zum Techniker gemacht hat? Wissen Sie eigentlich, was Sie hier gerade tun?«

»Ja, ich sorge dafür, dass …«

»… hier gleich kein einziger Spielautomat funktioniert. Glauben Sie, ein PerDa 44 kommt so lange ohne Strom aus, ohne dass es ihm die Schaltkreise durchbrennt? Oder dass die Triparques dann nicht wieder einige neue RemGa-Module kaufen müssen? Wissen Sie eigentlich, wie viel die kosten? Mehr als wir beide zusammen verdienen – im Jahr.«

Inez hörte, wie Lyz’ Mund leise aufpoppte, und auch sie war baff. War das wirklich Téo – oder hatte jemand schnell seine Rolle übernommen?

 

Der Mann versuchte, etwas zu entgegnen, allerdings war Téo nicht mehr aufzuhalten. »Glauben Sie, in den Spielautomaten sitzt eine magische Fee, die munter ihren Zauberstab wedelt und Gewinne regnen lässt? Das sind höchstgradig komplizierte Maschinerien mit Schaltkreisen und Kabeln, mit Triggermodulen und Schaltern, die jeweils mit den Platinen der einzelnen Sensoren zusammenarbeiten und die ganze Zeit Daten austauschen … und wenn nur für einen Moment irgendwas ausfällt, dann verliert das Sanctum Sins Geld. Jede. Verdammte. Sekunde.«

Jetzt klang die Stimme des Mannes plötzlich gar nicht mehr so laut. »Hör mal, ich wusste doch nicht …« – eine Faust krachte auf den metallenen Deckel der Kiste und ließ Lyz und Inez aufschrecken.

»Ich habe es satt, mir ständig anzuhören, wie ich meinen Job machen soll. Ich muss hier ständig zwischen Casino und Serverraum herumlaufen und alle möglichen Kleinigkeiten reparieren, nur damit der Betrieb weitergeht, und dann stellt sich jemand wie Sie mir in den Weg und faselt mir irgendwas vor die Birne. Wollen Sie meinen Job machen? Wollen Sie schnell zum Serverraum und Abschnitt BS-38 neu starten? Bitte. Ich wollte sowieso bald in den Feierabend – dann dürfen Sie aber Duvalczak erklären, warum kein einziger Spielautomat mehr im Sanctum funktioniert …«

Eine Welle des Stolzes durchfuhr Inez – sie hätte es selbst nicht besser machen können. Den Gegner in die Ecke treiben, ihn mit dem eigenen Wissen überfordern und kleine Krümel fallen lassen, die zeigten, dass man Ahnung hatte und dazugehörte. Vielleicht sollte sie ihn als ihren Schüler annehmen. La Cara … und Téo. Ihr würde schon ein guter Name für ihn einfallen, ihren neuen Sidekick. Auch Lyz kicherte ein ungläubiges Lachen. »Hat der mit Montclaro heimlich Dym geraucht?«

Téo verlor sich in einem Wortschwall aus komplizierten Fachbegriffen und minutiös vorgetragenen Beschwerden gegen Duvalczak, das Sanctum Sins und die Triparques, bis der Mann schließlich beinahe verzweifelt einknickte.

»Schon gut, schon gut, mach … mach einfach weiter. Ich bin schon weg … und sag Duvalczak nicht, dass ich dir im Weg stand, das ist bestimmt nicht so wichtig, oder?«

Dann die genervte Stimme von Téo: »Dann machen Sie endlich Platz, bevor Ihr Gehalt die Kosten für den Ausfall tragen darf.«

 

Der Wagen setzte sich wieder in Bewegung.

»Ich töte dich, wenn du das Téo jemals sagst … aber das … war ziemlich cool.« Lyz hatte sich noch immer nicht erholt und schüttelte ungläubig den Kopf. »Das nächste Mal, wenn jemand nicht zahlen will, schicken wir Téo vor.«

»Worauf du Gift nehmen kannst.«

Schließlich blieb der Wagen stehen, und Inez hörte wieder das Knacken des Funkgeräts. »Kommt raus. Die Luft ist rein.«

Wie zwei Schlangen in einem vergessenen Schuh in der Viadombra sprangen Inez und Lyz aus der Kiste und rangen nach Luft – bevor sie ruckartig den Kopf zu Téo drehten.

Der saß bereits vornübergebeugt vor einem Server, der hinter einer Glasplatte versteckt war. Er versuchte, ernst zu wirken; sie konnte allerdings das leichte, selbstzufriedene Lächeln in seinem Mundwinkel sehen.

»Téo Marchal …« Lyz lief zu ihm und klopfte ihm auf den Rücken, bis dieser protestierend die Hände hinter sich schlug. »Ich wusste gar nicht, dass so ein Feuer in dir steckt.«

Auch Inez warf ihm einen anerkennenden Blick zu, den dieser mit einem überforderten Kopfschütteln quittierte. Doch auch er lächelte. »Der ist mir einfach so tierisch auf die Nerven gegangen … ob ich schon einmal Kabel in der Hand gehabt hätte … ich bitte euch.«

So war es nun mal mit Téo. Wenn ihm jemand die technische Expertise abstritt, zerriss er denjenigen in der Luft.

Der Raum, in dem sie sich befanden, war warm und stickig – was vermutlich an den zahlreichen Servern lag, die munter blinkend hinter Glaskästen schlummerten. Zahlreiche Bildschirme waren zu sehen, die mal hinunterlaufenden Code, mal Szenen aus dem Casino zeigten. In der Mitte des Raums stand die goldene Kiste, auf der die Funkgeräte ruhten. Es war ein eigenartiges Schauspiel, wie sich die flackernden LEDs im goldenen Metall spiegelten.

Es war fast surreal: Sie hatten es geschafft, sie waren einen Schritt weiter.

Zeit, dem Sanctum Sins das Augenlicht zu rauben.

Téo hatte bereits einen der Glaskästen geöffnet und hantierte vor einem kompliziert wirkenden Panel, das nur er deuten konnte. Er griff zu seinem Hals und holte einen kleinen Rosenkranz hervor, den er vorsichtig abschraubte. In seinem Inneren kam ein rechteckiger Kristall zum Vorschein, der von blauen Leitungen durchzogen war und vorn einen Anschluss hatte. Ein sogenannter 45/MODE:DEUS, ein Datenkristall, den man leicht auf den Dunklen Märkten von La Rocca bekam und mit dem sich technische Geräte … nun ja, Téo würde es durcheinanderbringen nennen.

Dreißig Minuten würde ihnen der Kristall geben können – dreißig Minuten, in denen die Kameras alte Aufnahmen zeigen und damit keine Gefahr darstellen würden.

Vorausgesetzt, die Händlerin in La Rocca hatte ihnen keinen Mist verkauft, der durch Téos sorgfältige Prüfung gerutscht war.

Die drei Freunde versammelten sich vor dem Glaskasten und schauten gebannt zu Téo. Inez sah in der Spiegelung die Gesichter ihrer beiden Freunde: Lyz Llavez, die in ihrer Aufregung sogar vergessen hatte, Téo zu verspotten. Téo Marchal, der in seinem zu großen Overall und dem konzentrierten Gesicht wie ein Priester wirkte, der im Gebet versunken war. Und sie selbst, Inez Valcárel, die nicht anders konnte, als für ihre Freunde und die gemeinsame Zeit dankbar zu sein. Egal, wie es heute enden würde – sie würden gemeinsam siegen. Oder fallen.

»Ladies and …« – er schaute kurz zu seinem Spiegelbild – »… Gentlemen: Wir haben gezahlt, wir haben gespielt, jetzt … können wir nur noch beten.« Er steckte den 45/MODE:DEUS in eine kleine Öffnung im Schaltpanel – und hielt die Luft an.

Der Datenkristall begann blau aufzuleuchten und erwachte mit einem Sirren zum Leben, das immer lauter wurde – bevor schließlich alle Bildschirme des Raums für einen Moment das Bild eines grinsenden, gehörnten Dämons zeigten, der jedoch ebenso schnell wieder verschwand. Lyz und Inez schauten sich verwirrt an. Sollte das so sein?

Es war Téo, der jubilierend aufsprang und sie damit aus ihrer Verwirrung holte. Jetzt lachten auch die beiden Mädchen, und die drei Freunde fielen sich in die Arme, vergaßen für einen Moment La Golgotha und die Gefahren, die noch auf sie warteten.

Das Sanctum Sins war offiziell blind.

Dann wurde Téos Miene wieder ernst. »Ab jetzt läuft unsere Zeit.« Er schaute auf seine Armbanduhr und stellte eine Zeit ein. »Dreißig Minuten, Leute. Machen wir uns an die Arbeit.«

Dreißig Minuten, um das Sanctum Sins zu schlagen – und zu Legenden zu werden.

Nur keine Eile.

nicht bewegen


Blind stieß ihre Hand nach vorn und griff nach Lyz’ Handgelenk. »Nicht bewegen«, zischte sie und hielt sie fest. »Wenn wir jetzt rausspringen, sind wir tot. Téo … schafft das schon.« Sie unternahm nicht einmal den Versuch, die Zweifel in ihrer Stimme zu verbergen. Konnte Téo das allein schaffen? Hoffte er jetzt auf ihre Hilfe, die nicht mehr kommen würde? Lyz riss ihre Hand weg und setzte sich wieder hin. In ihrer Stimme lag keine Wut, nur Resignation. »Ich hoffe, du weißt, was du tust, Nez.«

Hoffnung war noch untertrieben. Dann knackte das Funkgerät wieder – und sie war sich sicher, die wutentbrannte Stimme des Mannes zu hören, der einen jaulenden Téo mit sich zog.

»Bitte?« Diese Stimme klang nicht sanft und verschreckt, sie klang auch nicht wütend und übergriffig.

Nein, es war eine Stimme des kalten Zorns.

»Glaubst du, jeder dahergelaufene …« – der Mann kam nicht mehr dazu, seinen Satz zu beenden, als die kalte, zornige Stimme von Téo ihn unterbrach: »Ob ich schon einmal Kabel in der Hand gehalten habe? Wer mich zum Techniker gemacht hat? Wissen Sie eigentlich, was Sie hier gerade tun?«

»Ja, ich sorge dafür, dass …«

»… hier gleich kein einziger Spielautomat funktioniert. Glauben Sie, ein PerDa 44 kommt so lange ohne Strom aus, ohne dass es ihm die Schaltkreise durchbrennt? Oder dass die Triparques dann nicht wieder einige neue RemGa-Module kaufen müssen? Wissen Sie eigentlich, wie viel die kosten? Mehr als wir beide zusammen verdienen – im Jahr.«

Inez hörte, wie Lyz’ Mund leise aufpoppte, und auch sie war baff. War das wirklich Téo – oder hatte jemand schnell seine Rolle übernommen?

 

Der Mann versuchte, etwas zu entgegnen, allerdings war Téo nicht mehr aufzuhalten. »Glauben Sie, in den Spielautomaten sitzt eine magische Fee, die munter ihren Zauberstab wedelt und Gewinne regnen lässt? Das sind höchstgradig komplizierte Maschinerien mit Schaltkreisen und Kabeln, mit Triggermodulen und Schaltern, die jeweils mit den Platinen der einzelnen Sensoren zusammenarbeiten und die ganze Zeit Daten austauschen … und wenn nur für einen Moment irgendwas ausfällt, dann verliert das Sanctum Sins Geld. Jede. Verdammte. Sekunde.«

Jetzt klang die Stimme des Mannes plötzlich gar nicht mehr so laut. »Hör mal, ich wusste doch nicht …« – eine Faust krachte auf den metallenen Deckel der Kiste und ließ Lyz und Inez aufschrecken.

»Ich habe es satt, mir ständig anzuhören, wie ich meinen Job machen soll. Ich muss hier ständig zwischen Casino und Serverraum herumlaufen und alle möglichen Kleinigkeiten reparieren, nur damit der Betrieb weitergeht, und dann stellt sich jemand wie Sie mir in den Weg und faselt mir irgendwas vor die Birne. Wollen Sie meinen Job machen? Wollen Sie schnell zum Serverraum und Abschnitt BS-38 neu starten? Bitte. Ich wollte sowieso bald in den Feierabend – dann dürfen Sie aber Duvalczak erklären, warum kein einziger Spielautomat mehr im Sanctum funktioniert …«

Eine Welle des Stolzes durchfuhr Inez – sie hätte es selbst nicht besser machen können. Den Gegner in die Ecke treiben, ihn mit dem eigenen Wissen überfordern und kleine Krümel fallen lassen, die zeigten, dass man Ahnung hatte und dazugehörte. Vielleicht sollte sie ihn als ihren Schüler annehmen. La Cara … und Téo. Ihr würde schon ein guter Name für ihn einfallen, ihren neuen Sidekick. Auch Lyz kicherte ein ungläubiges Lachen. »Hat der mit Montclaro heimlich Dym geraucht?«

Téo verlor sich in einem Wortschwall aus komplizierten Fachbegriffen und minutiös vorgetragenen Beschwerden gegen Duvalczak, das Sanctum Sins und die Triparques, bis der Mann schließlich beinahe verzweifelt einknickte. »Schon gut, schon gut, mach … mach einfach weiter. Ich bin schon weg … und sag Duvalczak nicht, dass ich dir im Weg stand, das ist bestimmt nicht so wichtig, oder?«

Dann die genervte Stimme von Téo: »Dann machen Sie endlich Platz, bevor Ihr Gehalt die Kosten für den Ausfall tragen darf.«

 

Der Wagen setzte sich wieder in Bewegung.

»Ich töte dich, wenn du das Téo jemals sagst … aber das … war ziemlich cool.« Lyz hatte sich noch immer nicht erholt und schüttelte ungläubig den Kopf. »Das nächste Mal, wenn jemand nicht zahlen will, schicken wir Téo vor.«

»Worauf du Gift nehmen kannst.«

Schließlich blieb der Wagen stehen, und Inez hörte wieder das Knacken des Funkgeräts. »Kommt raus. Die Luft ist rein.«

Wie zwei Schlangen in einem vergessenen Schuh in der Viadombra sprangen Inez und Lyz aus der Kiste und rangen nach Luft – bevor sie ruckartig den Kopf zu Téo drehten.

Der saß bereits vornübergebeugt vor einem Server, der hinter einer Glasplatte versteckt war. Er versuchte, ernst zu wirken; sie konnte allerdings das leichte, selbstzufriedene Lächeln in seinem Mundwinkel sehen.

»Téo Marchal …« Lyz lief zu ihm und klopfte ihm auf den Rücken, bis dieser protestierend die Hände hinter sich schlug. »Ich wusste gar nicht, dass so ein Feuer in dir steckt.«

Auch Inez warf ihm einen anerkennenden Blick zu, den dieser mit einem überforderten Kopfschütteln quittierte. Doch auch er lächelte. »Der ist mir einfach so tierisch auf die Nerven gegangen … ob ich schon einmal Kabel in der Hand gehabt hätte … ich bitte euch.«

So war es nun mal mit Téo. Wenn ihm jemand die technische Expertise abstritt, zerriss er denjenigen in der Luft.

Der Raum, in dem sie sich befanden, war warm und stickig – was vermutlich an den zahlreichen Servern lag, die munter blinkend hinter Glaskästen schlummerten. Zahlreiche Bildschirme waren zu sehen, die mal hinunterlaufenden Code, mal Szenen aus dem Casino zeigten. In der Mitte des Raums stand die goldene Kiste, auf der die Funkgeräte ruhten. Es war ein eigenartiges Schauspiel, wie sich die flackernden LEDs im goldenen Metall spiegelten. Es war fast surreal: Sie hatten es geschafft, sie waren einen Schritt weiter.

Zeit, dem Sanctum Sins das Augenlicht zu rauben.

Téo hatte bereits einen der Glaskästen geöffnet und hantierte vor einem kompliziert wirkenden Panel, das nur er deuten konnte. Er griff zu seinem Hals und holte einen kleinen Rosenkranz hervor, den er vorsichtig abschraubte. In seinem Inneren kam ein rechteckiger Kristall zum Vorschein, der von blauen Leitungen durchzogen war und vorn einen Anschluss hatte. Ein sogenannter 45/MO:DEUS, ein Datenkristall, den man leicht auf den Dunklen Märkten von La Rocca bekam und mit dem sich technische Geräte … nun ja, Téo würde es durcheinanderbringen nennen. Dreißig Minuten würde ihnen der Kristall geben können – dreißig Minuten, in denen die Kameras alte Aufnahmen zeigen und damit keine Gefahr darstellen würden.

Vorausgesetzt, die Händlerin in La Rocca hatte ihnen keinen Mist verkauft, der durch Téos sorgfältige Prüfung gerutscht war.

Die drei Freunde versammelten sich vor dem Glaskasten und schauten gebannt zu Téo. Inez sah in der Spiegelung die Gesichter ihrer beiden Freunde: Lyz Llavez, die in ihrer Aufregung sogar vergessen hatte, Téo zu verspotten. Téo Marchal, der in seinem zu großen Overall und dem konzentrierten Gesicht wie ein Priester wirkte, der im Gebet versunken war. Und sie selbst, Inez Valcárel, die nicht anders konnte, als für ihre Freunde und die gemeinsame Zeit dankbar zu sein. Egal, wie es heute enden würde – sie würden gemeinsam siegen. Oder fallen.

»Ladies and …« – er schaute kurz zu seinem Spiegelbild – »… Gentlemen: Wir haben gezahlt, wir haben gespielt, jetzt … können wir nur noch beten.« Er steckte den 45/MODE:DEUS in eine kleine Öffnung im Schaltpanel – und hielt die Luft an.

Der Datenkristall begann blau aufzuleuchten und erwachte mit einem Sirren zum Leben, das immer lauter wurde – bevor schließlich alle Bildschirme des Raums für einen Moment das Bild eines grinsenden, gehörnten Dämons zeigten, der jedoch ebenso schnell wieder verschwand. Lyz und Inez schauten sich verwirrt an. Sollte das so sein?

Es war Téo, der jubilierend aufsprang und sie damit aus ihrer Verwirrung holte. Jetzt lachten auch die beiden Mädchen, und die drei Freunde fielen sich in die Arme, vergaßen für einen Moment La Golgotha und die Gefahren, die noch auf sie warteten.

Das Sanctum Sins war offiziell blind.

Dann wurde Téos Miene wieder ernst. »Ab jetzt läuft unsere Zeit.« Er schaute auf seine Armbanduhr und stellte eine Zeit ein. »Dreißig Minuten, Leute. Machen wir uns an die Arbeit.«

Dreißig Minuten, um das Sanctum Sins zu schlagen – und zu Legenden zu werden.

Nur keine Eile.


Blind stieß ihre Hand nach vorn und griff nach Lyz’ Handgelenk. »Nicht bewegen«, zischte sie und hielt sie fest. »Wenn wir jetzt rausspringen, sind wir tot. Téo … schafft das schon.« Sie unternahm nicht einmal den Versuch, die Zweifel in ihrer Stimme zu verbergen. Konnte Téo das allein schaffen? Hoffte er jetzt auf ihre Hilfe, die nicht mehr kommen würde? Lyz riss ihre Hand weg und setzte sich wieder hin. In ihrer Stimme lag keine Wut, nur Resignation. »Ich hoffe, du weißt, was du tust, Nez.«

Hoffnung war noch untertrieben. Dann knackte das Funkgerät wieder – und sie war sich sicher, die wutentbrannte Stimme des Mannes zu hören, der einen jaulenden Téo mit sich zog.

»Bitte?« Diese Stimme klang nicht sanft und verschreckt, sie klang auch nicht wütend und übergriffig.

Nein, es war eine Stimme des kalten Zorns.

»Glaubst du, jeder dahergelaufene …« – der Mann kam nicht mehr dazu, seinen Satz zu beenden, als die kalte, zornige Stimme von Téo ihn unterbrach: »Ob ich schon einmal Kabel in der Hand gehalten habe? Wer mich zum Techniker gemacht hat? Wissen Sie eigentlich, was Sie hier gerade tun?«

»Ja, ich sorge dafür, dass …«

»… hier gleich kein einziger Spielautomat funktioniert. Glauben Sie, ein PerDa 44 kommt so lange ohne Strom aus, ohne dass es ihm die Schaltkreise durchbrennt? Oder dass die Triparques dann nicht wieder einige neue RemGa-Module kaufen müssen? Wissen Sie eigentlich, wie viel die kosten? Mehr als wir beide zusammen verdienen – im Jahr.«

Inez hörte, wie Lyz’ Mund leise aufpoppte, und auch sie war baff. War das wirklich Téo – oder hatte jemand schnell seine Rolle übernommen?

 

Der Mann versuchte, etwas zu entgegnen, allerdings war Téo nicht mehr aufzuhalten. »Glauben Sie, in den Spielautomaten sitzt eine magische Fee, die munter ihren Zauberstab wedelt und Gewinne regnen lässt? Das sind höchstgradig komplizierte Maschinerien mit Schaltkreisen und Kabeln, mit Triggermodulen und Schaltern, die jeweils mit den Platinen der einzelnen Sensoren zusammenarbeiten und die ganze Zeit Daten austauschen … und wenn nur für einen Moment irgendwas ausfällt, dann verliert das Sanctum Sins Geld. Jede. Verdammte. Sekunde.«

Jetzt klang die Stimme des Mannes plötzlich gar nicht mehr so laut. »Hör mal, ich wusste doch nicht …« – eine Faust krachte auf den metallenen Deckel der Kiste und ließ Lyz und Inez aufschrecken.

»Ich habe es satt, mir ständig anzuhören, wie ich meinen Job machen soll. Ich muss hier ständig zwischen Casino und Serverraum herumlaufen und alle möglichen Kleinigkeiten reparieren, nur damit der Betrieb weitergeht, und dann stellt sich jemand wie Sie mir in den Weg und faselt mir irgendwas vor die Birne. Wollen Sie meinen Job machen? Wollen Sie schnell zum Serverraum und Abschnitt BS-38 neu starten? Bitte. Ich wollte sowieso bald in den Feierabend – dann dürfen Sie aber Duvalczak erklären, warum kein einziger Spielautomat mehr im Sanctum funktioniert …«

Eine Welle des Stolzes durchfuhr Inez – sie hätte es selbst nicht besser machen können. Den Gegner in die Ecke treiben, ihn mit dem eigenen Wissen überfordern und kleine Krümel fallen lassen, die zeigten, dass man Ahnung hatte und dazugehörte. Vielleicht sollte sie ihn als ihren Schüler annehmen. La Cara … und Téo. Ihr würde schon ein guter Name für ihn einfallen, ihren neuen Sidekick. Auch Lyz kicherte ein ungläubiges Lachen. »Hat der mit Montclaro heimlich Dym geraucht?«

Téo verlor sich in einem Wortschwall aus komplizierten Fachbegriffen und minutiös vorgetragenen Beschwerden gegen Duvalczak, das Sanctum Sins und die Triparques, bis der Mann schließlich beinahe verzweifelt einknickte. »Schon gut, schon gut, mach … mach einfach weiter. Ich bin schon weg … und sag Duvalczak nicht, dass ich dir im Weg stand, das ist bestimmt nicht so wichtig, oder?«

Dann die genervte Stimme von Téo: »Dann machen Sie endlich Platz, bevor Ihr Gehalt die Kosten für den Ausfall tragen darf.«

 

Der Wagen setzte sich wieder in Bewegung.

»Ich töte dich, wenn du das Téo jemals sagst … aber das … war ziemlich cool.« Lyz hatte sich noch immer nicht erholt und schüttelte ungläubig den Kopf. »Das nächste Mal, wenn jemand nicht zahlen will, schicken wir Téo vor.«

»Worauf du Gift nehmen kannst.«

Schließlich blieb der Wagen stehen, und Inez hörte wieder das Knacken des Funkgeräts. »Kommt raus. Die Luft ist rein.«

Wie zwei Schlangen in einem vergessenen Schuh in der Viadombra sprangen Inez und Lyz aus der Kiste und rangen nach Luft – bevor sie ruckartig den Kopf zu Téo drehten.

Der saß bereits vornübergebeugt vor einem Server, der hinter einer Glasplatte versteckt war. Er versuchte, ernst zu wirken; sie konnte allerdings das leichte, selbstzufriedene Lächeln in seinem Mundwinkel sehen.

»Téo Marchal …« Lyz lief zu ihm und klopfte ihm auf den Rücken, bis dieser protestierend die Hände hinter sich schlug. »Ich wusste gar nicht, dass so ein Feuer in dir steckt.«

Auch Inez warf ihm einen anerkennenden Blick zu, den dieser mit einem überforderten Kopfschütteln quittierte. Doch auch er lächelte. »Der ist mir einfach so tierisch auf die Nerven gegangen … ob ich schon einmal Kabel in der Hand gehabt hätte … ich bitte euch.«

So war es nun mal mit Téo. Wenn ihm jemand die technische Expertise abstritt, zerriss er denjenigen in der Luft.

Der Raum, in dem sie sich befanden, war warm und stickig – was vermutlich an den zahlreichen Servern lag, die munter blinkend hinter Glaskästen schlummerten. Zahlreiche Bildschirme waren zu sehen, die mal hinunterlaufenden Code, mal Szenen aus dem Casino zeigten. In der Mitte des Raums stand die goldene Kiste, auf der die Funkgeräte ruhten. Es war ein eigenartiges Schauspiel, wie sich die flackernden LEDs im goldenen Metall spiegelten. Es war fast surreal: Sie hatten es geschafft, sie waren einen Schritt weiter.

Zeit, dem Sanctum Sins das Augenlicht zu rauben.

Téo hatte bereits einen der Glaskästen geöffnet und hantierte vor einem kompliziert wirkenden Panel, das nur er deuten konnte. Er griff zu seinem Hals und holte einen kleinen Rosenkranz hervor, den er vorsichtig abschraubte. In seinem Inneren kam ein rechteckiger Kristall zum Vorschein, der von blauen Leitungen durchzogen war und vorn einen Anschluss hatte. Ein sogenannter 45/MO:DEUS, ein Datenkristall, den man leicht auf den Dunklen Märkten von La Rocca bekam und mit dem sich technische Geräte … nun ja, Téo würde es durcheinanderbringen nennen. Dreißig Minuten würde ihnen der Kristall geben können – dreißig Minuten, in denen die Kameras alte Aufnahmen zeigen und damit keine Gefahr darstellen würden.

Vorausgesetzt, die Händlerin in La Rocca hatte ihnen keinen Mist verkauft, der durch Téos sorgfältige Prüfung gerutscht war.

Die drei Freunde versammelten sich vor dem Glaskasten und schauten gebannt zu Téo. Inez sah in der Spiegelung die Gesichter ihrer beiden Freunde: Lyz Llavez, die in ihrer Aufregung sogar vergessen hatte, Téo zu verspotten. Téo Marchal, der in seinem zu großen Overall und dem konzentrierten Gesicht wie ein Priester wirkte, der im Gebet versunken war. Und sie selbst, Inez Valcárel, die nicht anders konnte, als für ihre Freunde und die gemeinsame Zeit dankbar zu sein. Egal, wie es heute enden würde – sie würden gemeinsam siegen. Oder fallen.

»Ladies and …« – er schaute kurz zu seinem Spiegelbild – »… Gentlemen: Wir haben gezahlt, wir haben gespielt, jetzt … können wir nur noch beten.« Er steckte den 45/MODE:DEUS in eine kleine Öffnung im Schaltpanel – und hielt die Luft an.

Der Datenkristall begann blau aufzuleuchten und erwachte mit einem Sirren zum Leben, das immer lauter wurde – bevor schließlich alle Bildschirme des Raums für einen Moment das Bild eines grinsenden, gehörnten Dämons zeigten, der jedoch ebenso schnell wieder verschwand. Lyz und Inez schauten sich verwirrt an. Sollte das so sein?

Es war Téo, der jubilierend aufsprang und sie damit aus ihrer Verwirrung holte. Jetzt lachten auch die beiden Mädchen, und die drei Freunde fielen sich in die Arme, vergaßen für einen Moment La Golgotha und die Gefahren, die noch auf sie warteten.

Das Sanctum Sins war offiziell blind.

Dann wurde Téos Miene wieder ernst. »Ab jetzt läuft unsere Zeit.« Er schaute auf seine Armbanduhr und stellte eine Zeit ein. »Dreißig Minuten, Leute. Machen wir uns an die Arbeit.«

Dreißig Minuten, um das Sanctum Sins zu schlagen – und zu Legenden zu werden.

Nur keine Eile.


Blind stieß ihre Hand nach vorn und griff nach Lyz’ Handgelenk. »Nicht bewegen«, zischte sie und hielt sie fest. »Wenn wir jetzt rausspringen, sind wir tot. Téo … schafft das schon.« Sie unternahm nicht einmal den Versuch, die Zweifel in ihrer Stimme zu verbergen. Konnte Téo das allein schaffen? Hoffte er jetzt auf ihre Hilfe, die nicht mehr kommen würde? Lyz riss ihre Hand weg und setzte sich wieder hin. In ihrer Stimme lag keine Wut, nur Resignation. »Ich hoffe, du weißt, was du tust, Nez.«

Hoffnung war noch untertrieben. Dann knackte das Funkgerät wieder – und sie war sich sicher, die wutentbrannte Stimme des Mannes zu hören, der einen jaulenden Téo mit sich zog.

»Bitte?« Diese Stimme klang nicht sanft und verschreckt, sie klang auch nicht wütend und übergriffig.

Nein, es war eine Stimme des kalten Zorns.

»Glaubst du, jeder dahergelaufene …« – der Mann kam nicht mehr dazu, seinen Satz zu beenden, als die kalte, zornige Stimme von Téo ihn unterbrach: »Ob ich schon einmal Kabel in der Hand gehalten habe? Wer mich zum Techniker gemacht hat? Wissen Sie eigentlich, was Sie hier gerade tun?«

»Ja, ich sorge dafür, dass …«

»… hier gleich kein einziger Spielautomat funktioniert. Glauben Sie, ein PerDa 44 kommt so lange ohne Strom aus, ohne dass es ihm die Schaltkreise durchbrennt? Oder dass die Triparques dann nicht wieder einige neue RemGa-Module kaufen müssen? Wissen Sie eigentlich, wie viel die kosten? Mehr als wir beide zusammen verdienen – im Jahr.«

Inez hörte, wie Lyz’ Mund leise aufpoppte, und auch sie war baff. War das wirklich Téo – oder hatte jemand schnell seine Rolle übernommen?

 

Der Mann versuchte, etwas zu entgegnen, allerdings war Téo nicht mehr aufzuhalten. »Glauben Sie, in den Spielautomaten sitzt eine magische Fee, die munter ihren Zauberstab wedelt und Gewinne regnen lässt? Das sind höchstgradig komplizierte Maschinerien mit Schaltkreisen und Kabeln, mit Triggermodulen und Schaltern, die jeweils mit den Platinen der einzelnen Sensoren zusammenarbeiten und die ganze Zeit Daten austauschen … und wenn nur für einen Moment irgendwas ausfällt, dann verliert das Sanctum Sins Geld. Jede. Verdammte. Sekunde.«

Jetzt klang die Stimme des Mannes plötzlich gar nicht mehr so laut. »Hör mal, ich wusste doch nicht …« – eine Faust krachte auf den metallenen Deckel der Kiste und ließ Lyz und Inez aufschrecken.

»Ich habe es satt, mir ständig anzuhören, wie ich meinen Job machen soll. Ich muss hier ständig zwischen Casino und Serverraum herumlaufen und alle möglichen Kleinigkeiten reparieren, nur damit der Betrieb weitergeht, und dann stellt sich jemand wie Sie mir in den Weg und faselt mir irgendwas vor die Birne. Wollen Sie meinen Job machen? Wollen Sie schnell zum Serverraum und Abschnitt BS-38 neu starten? Bitte. Ich wollte sowieso bald in den Feierabend – dann dürfen Sie aber Duvalczak erklären, warum kein einziger Spielautomat mehr im Sanctum funktioniert …«

Eine Welle des Stolzes durchfuhr Inez – sie hätte es selbst nicht besser machen können. Den Gegner in die Ecke treiben, ihn mit dem eigenen Wissen überfordern und kleine Krümel fallen lassen, die zeigten, dass man Ahnung hatte und dazugehörte. Vielleicht sollte sie ihn als ihren Schüler annehmen. La Cara … und Téo. Ihr würde schon ein guter Name für ihn einfallen, ihren neuen Sidekick. Auch Lyz kicherte ein ungläubiges Lachen. »Hat der mit Montclaro heimlich Dym geraucht?«

Téo verlor sich in einem Wortschwall aus komplizierten Fachbegriffen und minutiös vorgetragenen Beschwerden gegen Duvalczak, das Sanctum Sins und die Triparques, bis der Mann schließlich beinahe verzweifelt einknickte. »Schon gut, schon gut, mach … mach einfach weiter. Ich bin schon weg … und sag Duvalczak nicht, dass ich dir im Weg stand, das ist bestimmt nicht so wichtig, oder?«

Dann die genervte Stimme von Téo: »Dann machen Sie endlich Platz, bevor Ihr Gehalt die Kosten für den Ausfall tragen darf.«

 

Der Wagen setzte sich wieder in Bewegung.

»Ich töte dich, wenn du das Téo jemals sagst … aber das … war ziemlich cool.« Lyz hatte sich noch immer nicht erholt und schüttelte ungläubig den Kopf. »Das nächste Mal, wenn jemand nicht zahlen will, schicken wir Téo vor.«

»Worauf du Gift nehmen kannst.«

Schließlich blieb der Wagen stehen, und Inez hörte wieder das Knacken des Funkgeräts. »Kommt raus. Die Luft ist rein.«

Wie zwei Schlangen in einem vergessenen Schuh in der Viadombra sprangen Inez und Lyz aus der Kiste und rangen nach Luft – bevor sie ruckartig den Kopf zu Téo drehten.

Der saß bereits vornübergebeugt vor einem Server, der hinter einer Glasplatte versteckt war. Er versuchte, ernst zu wirken; sie konnte allerdings das leichte, selbstzufriedene Lächeln in seinem Mundwinkel sehen.

»Téo Marchal …« Lyz lief zu ihm und klopfte ihm auf den Rücken, bis dieser protestierend die Hände hinter sich schlug. »Ich wusste gar nicht, dass so ein Feuer in dir steckt.«

Auch Inez warf ihm einen anerkennenden Blick zu, den dieser mit einem überforderten Kopfschütteln quittierte. Doch auch er lächelte. »Der ist mir einfach so tierisch auf die Nerven gegangen … ob ich schon einmal Kabel in der Hand gehabt hätte … ich bitte euch.«

So war es nun mal mit Téo. Wenn ihm jemand die technische Expertise abstritt, zerriss er denjenigen in der Luft.

Der Raum, in dem sie sich befanden, war warm und stickig – was vermutlich an den zahlreichen Servern lag, die munter blinkend hinter Glaskästen schlummerten. Zahlreiche Bildschirme waren zu sehen, die mal hinunterlaufenden Code, mal Szenen aus dem Casino zeigten. In der Mitte des Raums stand die goldene Kiste, auf der die Funkgeräte ruhten. Es war ein eigenartiges Schauspiel, wie sich die flackernden LEDs im goldenen Metall spiegelten. Es war fast surreal: Sie hatten es geschafft, sie waren einen Schritt weiter.

Zeit, dem Sanctum Sins das Augenlicht zu rauben.

Téo hatte bereits einen der Glaskästen geöffnet und hantierte vor einem kompliziert wirkenden Panel, das nur er deuten konnte. Er griff zu seinem Hals und holte einen kleinen Rosenkranz hervor, den er vorsichtig abschraubte. In seinem Inneren kam ein rechteckiger Kristall zum Vorschein, der von blauen Leitungen durchzogen war und vorn einen Anschluss hatte. Ein sogenannter 45/MO:DEUS, ein Datenkristall, den man leicht auf den Dunklen Märkten von La Rocca bekam und mit dem sich technische Geräte … nun ja, Téo würde es durcheinanderbringen nennen. Dreißig Minuten würde ihnen der Kristall geben können – dreißig Minuten, in denen die Kameras alte Aufnahmen zeigen und damit keine Gefahr darstellen würden.

Vorausgesetzt, die Händlerin in La Rocca hatte ihnen keinen Mist verkauft, der durch Téos sorgfältige Prüfung gerutscht war.

Die drei Freunde versammelten sich vor dem Glaskasten und schauten gebannt zu Téo. Inez sah in der Spiegelung die Gesichter ihrer beiden Freunde: Lyz Llavez, die in ihrer Aufregung sogar vergessen hatte, Téo zu verspotten. Téo Marchal, der in seinem zu großen Overall und dem konzentrierten Gesicht wie ein Priester wirkte, der im Gebet versunken war. Und sie selbst, Inez Valcárel, die nicht anders konnte, als für ihre Freunde und die gemeinsame Zeit dankbar zu sein. Egal, wie es heute enden würde – sie würden gemeinsam siegen. Oder fallen.

»Ladies and …« – er schaute kurz zu seinem Spiegelbild – »… Gentlemen: Wir haben gezahlt, wir haben gespielt, jetzt … können wir nur noch beten.« Er steckte den 45/MODE:DEUS in eine kleine Öffnung im Schaltpanel – und hielt die Luft an.

Der Datenkristall begann blau aufzuleuchten und erwachte mit einem Sirren zum Leben, das immer lauter wurde – bevor schließlich alle Bildschirme des Raums für einen Moment das Bild eines grinsenden, gehörnten Dämons zeigten, der jedoch ebenso schnell wieder verschwand. Lyz und Inez schauten sich verwirrt an. Sollte das so sein?

Es war Téo, der jubilierend aufsprang und sie damit aus ihrer Verwirrung holte. Jetzt lachten auch die beiden Mädchen, und die drei Freunde fielen sich in die Arme, vergaßen für einen Moment La Golgotha und die Gefahren, die noch auf sie warteten.

Das Sanctum Sins war offiziell blind.

Dann wurde Téos Miene wieder ernst. »Ab jetzt läuft unsere Zeit.« Er schaute auf seine Armbanduhr und stellte eine Zeit ein. »Dreißig Minuten, Leute. Machen wir uns an die Arbeit.«

Dreißig Minuten, um das Sanctum Sins zu schlagen – und zu Legenden zu werden.

Nur keine Eile.

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