

DIE TÜR HACKEN
DIE TÜR HACKEN
DIE TÜR HACKEN

Die Anzeige über der Tür machte ein kleines, herzloses Klicken bei jedem Schritt nach unten: 03:26, 03:25 – ein Metronom aus LEDs, das darüber entscheiden würde, ob drei Herzen bald aufhören würden zu schlagen.
Téo hatte sich schon vor der schwarzen Tür positioniert, das Zigarrenetui in seinen zitternden Händen und auf den Knien, sodass er möglichst leicht an das kaum sichtbare Panel kommen konnte, das hoffentlich die Lösung zur Öffnung der Tür bereithielt. Das Etui lag und offenbarte seine Innereien: kleine, dünne Spiralen aus Drähten und Kontakten, deren LEDs munter leuchteten. Er hielt den Schraubenzieher fest in seiner Hand, presste seine Finger an das dünne Metall, das inzwischen rutschig geworden war. Er sah elend aus und dennoch – er war jetzt ihre einzige Chance, hier lebend herauszukommen.
»Mach’s kurz, Téo«, sagte Inez, nicht herrisch, mehr flehend, als sie bereits zu spüren begann, wie ihre Kehle rauer wurde. Lyz hatte den Stoff ihres Kleides vor Mund und Nase geschoben, allerdings ließen ihre Augen die Decke nicht aus den Augen. Sie wirkten fahrig, wie sie den dunkel glänzenden Rohren folgten und nach kleinen Vorsprüngen und Kanten suchten, die nur Lyz sehen konnte. Noch kletterte sie nicht; sie hielt sich an Inez’ Handgelenk fest, als bräuchte sie jemanden, der sie davon abhielt, ihren Gedanken zu folgen.
»Das Gehäuse ist verschraubt, aber kein Problem«, murmelte Téo, und es klang einen Tick zu leise, so, als sagte er dies zu sich selbst und nicht zu den beiden anderen. Er setzte den Schraubenzieher an, hebelte einmal, dann noch einmal, und bei jedem kleinen Knacken der Dichtung stieg der Dym höher, und Inez dachte, dass das Weiß am Boden aussah, als habe jemand Milch in den Mund einer Rose gegossen, und jetzt lief sie über und hörte gar nicht mehr auf. Fast meinte sie, ihre Mutter zu hören, die sie anherrschte, wieso sie denn die gute Milch verschüttete. Sie schüttelte den Kopf. Oder rief sie da wirklich jemand?
Die Blende gab nach. Téo schob den Deckel beiseite, ein sauberes Rechteck, unter dem ein Ausschnitt der geordneten Welt lag, die er so verehrte: Boards, Leitungen, eine Diagnoseleiste, die in grünem Puls leuchtete. Wie er so dasaß, sein Gesicht von grünem Licht erleuchtet und in dem hängenden Overall, sah er ein wenig aus wie ein Außerirdischer, der versuchte zu verstehen, wie diese eigenartigen Menschen und ihre Technik so tickten.
»Ich überbrücke die Sperre«, sagte er und steckte die Kontakte zweier Kabel in das Etui – bedacht, präzise, ohne Theater, »und wenn ich Glück habe, glaubt der Türmotor, dass-« Er brach ab, hustete, ein weicher, verdrossener Husten, der tief aus der Lunge kam.
»Verdammt, der Kopf.« Er blinzelte und sah zu Inez, ein Lächeln in seinem Gesicht. Zu breit, zu sorglos. »Es riecht wie in der Kirche an Ostern, findest du nicht? Eigentlich ganz schön …«
02:58.
Inez zwang sich, Ruhe zu bewahren, obwohl ihre Beine bereits zitterten. »Konzentrier dich«, sagte sie leise. »Du bist gleich durch.« Er wusste natürlich, dass es eine Lüge war, aber jetzt ging es mehr um gutes Zureden als um Argumente. Oder begriff er schon längst nicht mehr, was um ihn herum passierte?
Téo legte das Etui an, und es gab dieses kaum hörbare Summen, das sie bereits gehört hatten. Inez’ Herz machte einen Sprung. »Komm schon, nur ein kurzer Impuls, nur ein kleiner Tanz …« Téos Stimme klang eigenartig, so, als ob er Mühe hatte, die richtigen Worte zu finden. Seine Finger hatten aufgehört zu zittern. »Mir ist …« Er hielt inne, ein Lachen, das nicht nach ihm klang, löste sich irgendwo in seiner Brust und fand einen Weg hinaus. »Mir ist gut.«
02:37. Die Diagnoseleiste sprang auf Gelb, dann wieder auf Grün.
»Téo«, sagte Lyz, und es lag kein Tadel in ihrer Stimme. Nein, sie rief nur seinen Namen, verwundert, so, als ginge man in ein Zimmer und sähe jemanden auf dem Fensterbrett sitzen. Sie ließ Inez los, machte einen halben Schritt zur Wand, ihr Blick weiterhin nach oben gerichtet: da war die Rinne, da war der Sprinklerkopf, winzig, kaum zu sehen. »Wenn er’s nicht schafft, bin ich dran. Gib mir nur das Signal.«
02:21.
Der Nebel kühlte jetzt das Tuch an Inez’ Lippen, und sie merkte, wie ihr dennoch immer wärmer und wärmer wurde. Hatte der Raum eine automatische Heizung, von der sie nicht wusste? »Noch nicht, Lyz«, flüsterte sie, und ihr eigener Ton überraschte sie, der letzte Rest von Kontrolle, der ihr noch geblieben war. »Gib ihm fünfzehn Sekunden.«
Téo war längst nicht mehr bei ihnen. Seine Finger arbeiteten noch, immer schneller, als folgten sie einer munteren Melodie, die allerdings nur er hörte. Sie sah, wie die spitzen Kabel und Kanten der Elektronik bereits seine Finger geschnitten hatten und kleine Tropfen Blut umherflogen.
Téo ließ sich allerdings nicht beirren: Er summte eine Melodie, die sie schon einmal gehört hatte. Es war dieselbe, die auch im Sanctum gespielt hatte, eine leise Violine, die von Klavier untermalt wurde. Sie erinnerte sich, wie auch jene Fische ihr gefolgt waren, die über der High-Roller-Lounge ihre Runden zogen, ein Summen, das das Blau des Wassers nur noch schöner machte. Fast so blau wie die Augen von Lyz. »Hörst du das Wasser?«, fragte er in den Schaltkasten hinein. »Wie es da oben …« Er nickte, zu sich selbst, und irgendwo zwischen zwei Drähten glitt seine Hand weg, ein läppischer Fehler. »Oh.«
02:03. Gelb. Grün. Gelb. Es schien Ewigkeiten her zu sein, dass sie Triptyque gespielt hatte. Vor wie vielen Tagen war das noch mal?
Lyz hielt es nicht mehr aus. »Scheiß drauf«, sagte sie, ihre Stimme ein tiefes Etwas, das so gar nicht nach ihr klang, und dann war sie an der Wand, ein Schuh auf der Leiste, die Finger in der Fuge, der Dietrich zwischen den Zähnen, ein zynisches Lächeln auf den Lippen. »Wenn ich fallen sollte, fangt mich auf.« Die Worte zischten durch ihre zusammengepressten Zähne, und sie warf einen Blick über die Schulter, eine Spur dieses alten Grinsens. »Oder leg Téo einfach als Matratze aus.«
»Lyz-«, begann Inez, doch sie hatte schon den zweiten Halt, zog sich hoch – ein elegantes und doch präzises Klettern, das ihr ein wenig Hoffnung machte.
Téo kicherte. Es war ein furchtbares Geräusch. »Der Dämon hat gelächelt«, sagte er, und Inez wusste, welchen er meinte – den flackernden, der kurz die Bildschirme im Serverraum besetzt hatte, 45/MO:DEUS –, und sie wusste, was es bedeutete. Seine Hände waren jetzt langsam und ungeschickt, die Fingerspitzen rot und glänzend. »Ich kann das«, gluckste er, und begann wahllos in dem Schaltkasten herumzuwühlen.
01:37.
Inez lehnte sich gegen den Marmor, drückte den Stoff ihres Kleides fester an Mund und Nase, zählte, hielt, ließ los – und die Zahlen vor ihrem Auge brachen auseinander wie Glas. »Nur noch …«
Sie wusste es nicht.
Sie sah Lyz’ Finger an der Rinne, die linke Hand als Stütze, die rechte am Sprinklerkopf, der Dietrich noch immer in ihrem Mund, und für einen Moment strömte Erleichterung durch Inez’ Körper, wahrhaftige und fast schon erregende Erleichterung, die ihren gesamten Körper zittern ließ. Gleich hätten sie es geschafft, gleich wäre alles vorbei.
»Ich hab ihn«, rief Lyz, und dieser Satz war Jubel und Hohn zugleich, ein Satz, der ihr half, keine Angst zu haben. Sie drehte und drehte den Schraubenzieher, presste das Metall gegen einen Widerstand, der nicht aufgab. Ein frustriertes Knurren entwich ihr und sie verlagerte das Gewicht ihrer Hand, um stärker Druck ausüben zu können – und da geschah es.
Es war nur ein kleiner, wütender Schlag gegen das Metall, nichts Dramatisches – aber ihre rechte Hand verlor für den Bruchteil einer Sekunde den Halt, und dieser Bruchteil war genug. »Verf-«
Sie fiel nicht, sie rutschte, sie glitt. Die Finger fanden die Kante nicht mehr, und die Rinne war inmitten all des Nebels plötzlich zu glatt. Inez sah, wie sie unsanft auf dem Boden aufkam und ihre Hand den gesamten Weg nach unten eine Spur auf der nassen Wand hinterließ. Sie blieb einen Moment auf dem Ellbogen liegen, blinzelte, und lachte dann leise. »Okay … das war wohl nix.«
01:04.
Téo lag jetzt an der Wand und kicherte vor sich hin. Er hatte nicht gemerkt, wie er zu Boden gesunken war. Seine Hände lagen im Schoß, das Etui halboffen an seinem Knie, die blutigen Finger noch immer versteckt im Gewirr aus Kabeln und LEDs, die vor sich hin blinkten. »Esierra«, sagte er in die Luft, und Inez hörte in dem Namen die Lounge, den Mond, die Maske, die Vögel – ein ganzer Abend, der durch seine Stimme ging wie Licht durch Glas. »Perfectio«, flüsterte er und nickte dann niemand Bestimmtem zu.
»Halt die Klappe, Téo«, sagte Lyz, die sich inzwischen an die Wand gelehnt hatte. »Wir sind noch nicht fu-« Sie stockte, atmete flach, der Blick wanderte an Inez vorbei, als sähe sie etwas an der Decke. »Hey, Inez, schau mal … Fische.«
00:49.
Unendlich langsam stand Inez auf und fasste einen letzten nüchternen Gedanken. Die Tür. Der Eingang, durch den sie hereingekommen waren. Vielleicht ließe sich die Tür öffnen? Ja, es musste bestimmt noch einen Notausgang geben … Sie würde einfach Hilfe holen gehen, Lyz und Téo könnten sich kurz ausruhen, und danach wären die beiden wieder wie vorher. Sie stemmte sich hoch, das Kleid nass vom Nebel, ihre Haut heiß, obwohl sie wie verrückt zitterte.
Dann machte sie zwei Schritte, dann drei – jeder Schritt ein Akt des Widerstands gegen die Bitte des Gases, hierzubleiben, sich hinzulegen, doch nur einen Moment die Augen zu schließen. Der Raum war größer geworden, als hätten die Wände sich verschoben und würden ihr einen Streich spielen. »Verdammtes Labyrinth«, murmelte sie und schwankte – ihre Beine gehörten plötzlich jemand anderem, jemand Leichtfertigem.
»Bleib«, sagte Lyz, und Inez drehte sich um, weil in diesem Wort etwas war, das sie nicht ignorieren konnte; Lyz lächelte, sehr sanft, als sei sie müde vom Tanzen, und hob die Hand, als wolle sie winken, vergaß es aber auf halbem Weg. »Ist gar nicht so schlimm.«
Inez ging weiter, ein vierter Schritt, ein fünfter. Die Tür war nun nur noch ein Rechteck, das man mit einem Finger zeichnen konnte, und drinnen in ihrem Kopf sang jemand – nicht schön, aber ausdauernd –, und über all dem war dieses Bild der Rose, die lächelte, weil sie bekam, was sie wollte.
00:28.
Sie kam nicht bis zur Klinke. Es war kein Sturz, es war ein Nachgeben, ein Einverständnis, das mit einem wehmütigen Seufzer akzeptierte, weil sie nicht mehr konnte. Ihre Knie gaben zuerst auf, dann der Rücken, und der Teppich aus Dym nahm sie, legte sie neben einen der Stacheln der Rose, und dort roch es am süßesten. Jemand – sie selbst? – lachte kurz, weil in ihrem Gesicht etwas kalt war, und das mochte sie.
Téo summte wieder. »Duvalczak«, murmelte er, »lassen Sie den Stab, wir … wir sind frei.« Er legte den Kopf zur Seite, als lausche er einer Antwort, die niemand sonst hören konnte. »Danke.«
Lyz lag auf dem Rücken, die Hände auf dem Bauch – so, wie man es tut, wenn man versucht, sich zu beruhigen, weil man Angst hatte –, und eine Weile ging es gut, dann kam so ein weiches, zu großes Luftholen, welches Kinder machten, wenn sie geweint hatten und nun schlafen mussten; sie flüsterte etwas, das wie »Kino« klang, und Inez wusste, wor

Die Anzeige über der Tür machte ein kleines, herzloses Klicken bei jedem Schritt nach unten: 03:26, 03:25 – ein Metronom aus LEDs, das darüber entscheiden würde, ob drei Herzen bald aufhören würden zu schlagen.
Téo hatte sich schon vor der schwarzen Tür positioniert, das Zigarrenetui in seinen zitternden Händen und auf den Knien, sodass er möglichst leicht an das kaum sichtbare Panel kommen konnte, das hoffentlich die Lösung zur Öffnung der Tür bereithielt. Das Etui lag und offenbarte seine Innereien: kleine, dünne Spiralen aus Drähten und Kontakten, deren LEDs munter leuchteten. Er hielt den Schraubenzieher fest in seiner Hand, presste seine Finger an das dünne Metall, das inzwischen rutschig geworden war. Er sah elend aus und dennoch – er war jetzt ihre einzige Chance, hier lebend herauszukommen.
»Mach’s kurz, Téo«, sagte Inez, nicht herrisch, mehr flehend, als sie bereits zu spüren begann, wie ihre Kehle rauer wurde. Lyz hatte den Stoff ihres Kleides vor Mund und Nase geschoben, allerdings ließen ihre Augen die Decke nicht aus den Augen. Sie wirkten fahrig, wie sie den dunkel glänzenden Rohren folgten und nach kleinen Vorsprüngen und Kanten suchten, die nur Lyz sehen konnte. Noch kletterte sie nicht; sie hielt sich an Inez’ Handgelenk fest, als bräuchte sie jemanden, der sie davon abhielt, ihren Gedanken zu folgen.
»Das Gehäuse ist verschraubt, aber kein Problem«, murmelte Téo, und es klang einen Tick zu leise, so, als sagte er dies zu sich selbst und nicht zu den beiden anderen. Er setzte den Schraubenzieher an, hebelte einmal, dann noch einmal, und bei jedem kleinen Knacken der Dichtung stieg der Dym höher, und Inez dachte, dass das Weiß am Boden aussah, als habe jemand Milch in den Mund einer Rose gegossen, und jetzt lief sie über und hörte gar nicht mehr auf. Fast meinte sie, ihre Mutter zu hören, die sie anherrschte, wieso sie denn die gute Milch verschüttete. Sie schüttelte den Kopf. Oder rief sie da wirklich jemand?
Die Blende gab nach. Téo schob den Deckel beiseite, ein sauberes Rechteck, unter dem ein Ausschnitt der geordneten Welt lag, die er so verehrte: Boards, Leitungen, eine Diagnoseleiste, die in grünem Puls leuchtete. Wie er so dasaß, sein Gesicht von grünem Licht erleuchtet und in dem hängenden Overall, sah er ein wenig aus wie ein Außerirdischer, der versuchte zu verstehen, wie diese eigenartigen Menschen und ihre Technik so tickten.
»Ich überbrücke die Sperre«, sagte er und steckte die Kontakte zweier Kabel in das Etui – bedacht, präzise, ohne Theater, »und wenn ich Glück habe, glaubt der Türmotor, dass-« Er brach ab, hustete, ein weicher, verdrossener Husten, der tief aus der Lunge kam.
»Verdammt, der Kopf.« Er blinzelte und sah zu Inez, ein Lächeln in seinem Gesicht. Zu breit, zu sorglos. »Es riecht wie in der Kirche an Ostern, findest du nicht? Eigentlich ganz schön …«
02:58.
Inez zwang sich, Ruhe zu bewahren, obwohl ihre Beine bereits zitterten. »Konzentrier dich«, sagte sie leise. »Du bist gleich durch.« Er wusste natürlich, dass es eine Lüge war, aber jetzt ging es mehr um gutes Zureden als um Argumente. Oder begriff er schon längst nicht mehr, was um ihn herum passierte?
Téo legte das Etui an, und es gab dieses kaum hörbare Summen, das sie bereits gehört hatten. Inez’ Herz machte einen Sprung. »Komm schon, nur ein kurzer Impuls, nur ein kleiner Tanz …« Téos Stimme klang eigenartig, so, als ob er Mühe hatte, die richtigen Worte zu finden. Seine Finger hatten aufgehört zu zittern. »Mir ist …« Er hielt inne, ein Lachen, das nicht nach ihm klang, löste sich irgendwo in seiner Brust und fand einen Weg hinaus. »Mir ist gut.«
02:37. Die Diagnoseleiste sprang auf Gelb, dann wieder auf Grün.
»Téo«, sagte Lyz, und es lag kein Tadel in ihrer Stimme. Nein, sie rief nur seinen Namen, verwundert, so, als ginge man in ein Zimmer und sähe jemanden auf dem Fensterbrett sitzen. Sie ließ Inez los, machte einen halben Schritt zur Wand, ihr Blick weiterhin nach oben gerichtet: da war die Rinne, da war der Sprinklerkopf, winzig, kaum zu sehen. »Wenn er’s nicht schafft, bin ich dran. Gib mir nur das Signal.«
02:21.
Der Nebel kühlte jetzt das Tuch an Inez’ Lippen, und sie merkte, wie ihr dennoch immer wärmer und wärmer wurde. Hatte der Raum eine automatische Heizung, von der sie nicht wusste? »Noch nicht, Lyz«, flüsterte sie, und ihr eigener Ton überraschte sie, der letzte Rest von Kontrolle, der ihr noch geblieben war. »Gib ihm fünfzehn Sekunden.«
Téo war längst nicht mehr bei ihnen. Seine Finger arbeiteten noch, immer schneller, als folgten sie einer munteren Melodie, die allerdings nur er hörte. Sie sah, wie die spitzen Kabel und Kanten der Elektronik bereits seine Finger geschnitten hatten und kleine Tropfen Blut umherflogen.
Téo ließ sich allerdings nicht beirren: Er summte eine Melodie, die sie schon einmal gehört hatte. Es war dieselbe, die auch im Sanctum gespielt hatte, eine leise Violine, die von Klavier untermalt wurde. Sie erinnerte sich, wie auch jene Fische ihr gefolgt waren, die über der High-Roller-Lounge ihre Runden zogen, ein Summen, das das Blau des Wassers nur noch schöner machte. Fast so blau wie die Augen von Lyz. »Hörst du das Wasser?«, fragte er in den Schaltkasten hinein. »Wie es da oben …« Er nickte, zu sich selbst, und irgendwo zwischen zwei Drähten glitt seine Hand weg, ein läppischer Fehler. »Oh.«
02:03. Gelb. Grün. Gelb. Es schien Ewigkeiten her zu sein, dass sie Triptyque gespielt hatte. Vor wie vielen Tagen war das noch mal?
Lyz hielt es nicht mehr aus. »Scheiß drauf«, sagte sie, ihre Stimme ein tiefes Etwas, das so gar nicht nach ihr klang, und dann war sie an der Wand, ein Schuh auf der Leiste, die Finger in der Fuge, der Dietrich zwischen den Zähnen, ein zynisches Lächeln auf den Lippen. »Wenn ich fallen sollte, fangt mich auf.« Die Worte zischten durch ihre zusammengepressten Zähne, und sie warf einen Blick über die Schulter, eine Spur dieses alten Grinsens. »Oder leg Téo einfach als Matratze aus.«
»Lyz-«, begann Inez, doch sie hatte schon den zweiten Halt, zog sich hoch – ein elegantes und doch präzises Klettern, das ihr ein wenig Hoffnung machte.
Téo kicherte. Es war ein furchtbares Geräusch. »Der Dämon hat gelächelt«, sagte er, und Inez wusste, welchen er meinte – den flackernden, der kurz die Bildschirme im Serverraum besetzt hatte, 45/MO:DEUS –, und sie wusste, was es bedeutete. Seine Hände waren jetzt langsam und ungeschickt, die Fingerspitzen rot und glänzend. »Ich kann das«, gluckste er, und begann wahllos in dem Schaltkasten herumzuwühlen.
01:37.
Inez lehnte sich gegen den Marmor, drückte den Stoff ihres Kleides fester an Mund und Nase, zählte, hielt, ließ los – und die Zahlen vor ihrem Auge brachen auseinander wie Glas. »Nur noch …«
Sie wusste es nicht.
Sie sah Lyz’ Finger an der Rinne, die linke Hand als Stütze, die rechte am Sprinklerkopf, der Dietrich noch immer in ihrem Mund, und für einen Moment strömte Erleichterung durch Inez’ Körper, wahrhaftige und fast schon erregende Erleichterung, die ihren gesamten Körper zittern ließ. Gleich hätten sie es geschafft, gleich wäre alles vorbei.
»Ich hab ihn«, rief Lyz, und dieser Satz war Jubel und Hohn zugleich, ein Satz, der ihr half, keine Angst zu haben. Sie drehte und drehte den Schraubenzieher, presste das Metall gegen einen Widerstand, der nicht aufgab. Ein frustriertes Knurren entwich ihr und sie verlagerte das Gewicht ihrer Hand, um stärker Druck ausüben zu können – und da geschah es.
Es war nur ein kleiner, wütender Schlag gegen das Metall, nichts Dramatisches – aber ihre rechte Hand verlor für den Bruchteil einer Sekunde den Halt, und dieser Bruchteil war genug. »Verf-«
Sie fiel nicht, sie rutschte, sie glitt. Die Finger fanden die Kante nicht mehr, und die Rinne war inmitten all des Nebels plötzlich zu glatt. Inez sah, wie sie unsanft auf dem Boden aufkam und ihre Hand den gesamten Weg nach unten eine Spur auf der nassen Wand hinterließ. Sie blieb einen Moment auf dem Ellbogen liegen, blinzelte, und lachte dann leise. »Okay … das war wohl nix.«
01:04.
Téo lag jetzt an der Wand und kicherte vor sich hin. Er hatte nicht gemerkt, wie er zu Boden gesunken war. Seine Hände lagen im Schoß, das Etui halboffen an seinem Knie, die blutigen Finger noch immer versteckt im Gewirr aus Kabeln und LEDs, die vor sich hin blinkten. »Esierra«, sagte er in die Luft, und Inez hörte in dem Namen die Lounge, den Mond, die Maske, die Vögel – ein ganzer Abend, der durch seine Stimme ging wie Licht durch Glas. »Perfectio«, flüsterte er und nickte dann niemand Bestimmtem zu.
»Halt die Klappe, Téo«, sagte Lyz, die sich inzwischen an die Wand gelehnt hatte. »Wir sind noch nicht fu-« Sie stockte, atmete flach, der Blick wanderte an Inez vorbei, als sähe sie etwas an der Decke. »Hey, Inez, schau mal … Fische.«
00:49.
Unendlich langsam stand Inez auf und fasste einen letzten nüchternen Gedanken. Die Tür. Der Eingang, durch den sie hereingekommen waren. Vielleicht ließe sich die Tür öffnen? Ja, es musste bestimmt noch einen Notausgang geben … Sie würde einfach Hilfe holen gehen, Lyz und Téo könnten sich kurz ausruhen, und danach wären die beiden wieder wie vorher. Sie stemmte sich hoch, das Kleid nass vom Nebel, ihre Haut heiß, obwohl sie wie verrückt zitterte.
Dann machte sie zwei Schritte, dann drei – jeder Schritt ein Akt des Widerstands gegen die Bitte des Gases, hierzubleiben, sich hinzulegen, doch nur einen Moment die Augen zu schließen. Der Raum war größer geworden, als hätten die Wände sich verschoben und würden ihr einen Streich spielen. »Verdammtes Labyrinth«, murmelte sie und schwankte – ihre Beine gehörten plötzlich jemand anderem, jemand Leichtfertigem.
»Bleib«, sagte Lyz, und Inez drehte sich um, weil in diesem Wort etwas war, das sie nicht ignorieren konnte; Lyz lächelte, sehr sanft, als sei sie müde vom Tanzen, und hob die Hand, als wolle sie winken, vergaß es aber auf halbem Weg. »Ist gar nicht so schlimm.«
Inez ging weiter, ein vierter Schritt, ein fünfter. Die Tür war nun nur noch ein Rechteck, das man mit einem Finger zeichnen konnte, und drinnen in ihrem Kopf sang jemand – nicht schön, aber ausdauernd –, und über all dem war dieses Bild der Rose, die lächelte, weil sie bekam, was sie wollte.
00:28.
Sie kam nicht bis zur Klinke. Es war kein Sturz, es war ein Nachgeben, ein Einverständnis, das mit einem wehmütigen Seufzer akzeptierte, weil sie nicht mehr konnte. Ihre Knie gaben zuerst auf, dann der Rücken, und der Teppich aus Dym nahm sie, legte sie neben einen der Stacheln der Rose, und dort roch es am süßesten. Jemand – sie selbst? – lachte kurz, weil in ihrem Gesicht etwas kalt war, und das mochte sie.
Téo summte wieder. »Duvalczak«, murmelte er, »lassen Sie den Stab, wir … wir sind frei.« Er legte den Kopf zur Seite, als lausche er einer Antwort, die niemand sonst hören konnte. »Danke.«
Lyz lag auf dem Rücken, die Hände auf dem Bauch – so, wie man es tut, wenn man versucht, sich zu beruhigen, weil man Angst hatte –, und eine Weile ging es gut, dann kam so ein weiches, zu großes Luftholen, welches Kinder machten, wenn sie geweint hatten und nun schlafen mussten; sie flüsterte etwas, das wie »Kino« klang, und Inez wusste, wor

Die Anzeige über der Tür machte ein kleines, herzloses Klicken bei jedem Schritt nach unten: 03:26, 03:25 – ein Metronom aus LEDs, das darüber entscheiden würde, ob drei Herzen bald aufhören würden zu schlagen.
Téo hatte sich schon vor der schwarzen Tür positioniert, das Zigarrenetui in seinen zitternden Händen und auf den Knien, sodass er möglichst leicht an das kaum sichtbare Panel kommen konnte, das hoffentlich die Lösung zur Öffnung der Tür bereithielt. Das Etui lag und offenbarte seine Innereien: kleine, dünne Spiralen aus Drähten und Kontakten, deren LEDs munter leuchteten. Er hielt den Schraubenzieher fest in seiner Hand, presste seine Finger an das dünne Metall, das inzwischen rutschig geworden war. Er sah elend aus und dennoch – er war jetzt ihre einzige Chance, hier lebend herauszukommen.
»Mach’s kurz, Téo«, sagte Inez, nicht herrisch, mehr flehend, als sie bereits zu spüren begann, wie ihre Kehle rauer wurde. Lyz hatte den Stoff ihres Kleides vor Mund und Nase geschoben, allerdings ließen ihre Augen die Decke nicht aus den Augen. Sie wirkten fahrig, wie sie den dunkel glänzenden Rohren folgten und nach kleinen Vorsprüngen und Kanten suchten, die nur Lyz sehen konnte. Noch kletterte sie nicht; sie hielt sich an Inez’ Handgelenk fest, als bräuchte sie jemanden, der sie davon abhielt, ihren Gedanken zu folgen.
»Das Gehäuse ist verschraubt, aber kein Problem«, murmelte Téo, und es klang einen Tick zu leise, so, als sagte er dies zu sich selbst und nicht zu den beiden anderen. Er setzte den Schraubenzieher an, hebelte einmal, dann noch einmal, und bei jedem kleinen Knacken der Dichtung stieg der Dym höher, und Inez dachte, dass das Weiß am Boden aussah, als habe jemand Milch in den Mund einer Rose gegossen, und jetzt lief sie über und hörte gar nicht mehr auf. Fast meinte sie, ihre Mutter zu hören, die sie anherrschte, wieso sie denn die gute Milch verschüttete. Sie schüttelte den Kopf. Oder rief sie da wirklich jemand?
Die Blende gab nach. Téo schob den Deckel beiseite, ein sauberes Rechteck, unter dem ein Ausschnitt der geordneten Welt lag, die er so verehrte: Boards, Leitungen, eine Diagnoseleiste, die in grünem Puls leuchtete. Wie er so dasaß, sein Gesicht von grünem Licht erleuchtet und in dem hängenden Overall, sah er ein wenig aus wie ein Außerirdischer, der versuchte zu verstehen, wie diese eigenartigen Menschen und ihre Technik so tickten.
»Ich überbrücke die Sperre«, sagte er und steckte die Kontakte zweier Kabel in das Etui – bedacht, präzise, ohne Theater, »und wenn ich Glück habe, glaubt der Türmotor, dass-« Er brach ab, hustete, ein weicher, verdrossener Husten, der tief aus der Lunge kam.
»Verdammt, der Kopf.« Er blinzelte und sah zu Inez, ein Lächeln in seinem Gesicht. Zu breit, zu sorglos. »Es riecht wie in der Kirche an Ostern, findest du nicht? Eigentlich ganz schön …«
02:58.
Inez zwang sich, Ruhe zu bewahren, obwohl ihre Beine bereits zitterten. »Konzentrier dich«, sagte sie leise. »Du bist gleich durch.« Er wusste natürlich, dass es eine Lüge war, aber jetzt ging es mehr um gutes Zureden als um Argumente. Oder begriff er schon längst nicht mehr, was um ihn herum passierte?
Téo legte das Etui an, und es gab dieses kaum hörbare Summen, das sie bereits gehört hatten. Inez’ Herz machte einen Sprung. »Komm schon, nur ein kurzer Impuls, nur ein kleiner Tanz …« Téos Stimme klang eigenartig, so, als ob er Mühe hatte, die richtigen Worte zu finden. Seine Finger hatten aufgehört zu zittern. »Mir ist …« Er hielt inne, ein Lachen, das nicht nach ihm klang, löste sich irgendwo in seiner Brust und fand einen Weg hinaus. »Mir ist gut.«
02:37. Die Diagnoseleiste sprang auf Gelb, dann wieder auf Grün.
»Téo«, sagte Lyz, und es lag kein Tadel in ihrer Stimme. Nein, sie rief nur seinen Namen, verwundert, so, als ginge man in ein Zimmer und sähe jemanden auf dem Fensterbrett sitzen. Sie ließ Inez los, machte einen halben Schritt zur Wand, ihr Blick weiterhin nach oben gerichtet: da war die Rinne, da war der Sprinklerkopf, winzig, kaum zu sehen. »Wenn er’s nicht schafft, bin ich dran. Gib mir nur das Signal.«
02:21.
Der Nebel kühlte jetzt das Tuch an Inez’ Lippen, und sie merkte, wie ihr dennoch immer wärmer und wärmer wurde. Hatte der Raum eine automatische Heizung, von der sie nicht wusste? »Noch nicht, Lyz«, flüsterte sie, und ihr eigener Ton überraschte sie, der letzte Rest von Kontrolle, der ihr noch geblieben war. »Gib ihm fünfzehn Sekunden.«
Téo war längst nicht mehr bei ihnen. Seine Finger arbeiteten noch, immer schneller, als folgten sie einer munteren Melodie, die allerdings nur er hörte. Sie sah, wie die spitzen Kabel und Kanten der Elektronik bereits seine Finger geschnitten hatten und kleine Tropfen Blut umherflogen.
Téo ließ sich allerdings nicht beirren: Er summte eine Melodie, die sie schon einmal gehört hatte. Es war dieselbe, die auch im Sanctum gespielt hatte, eine leise Violine, die von Klavier untermalt wurde. Sie erinnerte sich, wie auch jene Fische ihr gefolgt waren, die über der High-Roller-Lounge ihre Runden zogen, ein Summen, das das Blau des Wassers nur noch schöner machte. Fast so blau wie die Augen von Lyz. »Hörst du das Wasser?«, fragte er in den Schaltkasten hinein. »Wie es da oben …« Er nickte, zu sich selbst, und irgendwo zwischen zwei Drähten glitt seine Hand weg, ein läppischer Fehler. »Oh.«
02:03. Gelb. Grün. Gelb. Es schien Ewigkeiten her zu sein, dass sie Triptyque gespielt hatte. Vor wie vielen Tagen war das noch mal?
Lyz hielt es nicht mehr aus. »Scheiß drauf«, sagte sie, ihre Stimme ein tiefes Etwas, das so gar nicht nach ihr klang, und dann war sie an der Wand, ein Schuh auf der Leiste, die Finger in der Fuge, der Dietrich zwischen den Zähnen, ein zynisches Lächeln auf den Lippen. »Wenn ich fallen sollte, fangt mich auf.« Die Worte zischten durch ihre zusammengepressten Zähne, und sie warf einen Blick über die Schulter, eine Spur dieses alten Grinsens. »Oder leg Téo einfach als Matratze aus.«
»Lyz-«, begann Inez, doch sie hatte schon den zweiten Halt, zog sich hoch – ein elegantes und doch präzises Klettern, das ihr ein wenig Hoffnung machte.
Téo kicherte. Es war ein furchtbares Geräusch. »Der Dämon hat gelächelt«, sagte er, und Inez wusste, welchen er meinte – den flackernden, der kurz die Bildschirme im Serverraum besetzt hatte, 45/MO:DEUS –, und sie wusste, was es bedeutete. Seine Hände waren jetzt langsam und ungeschickt, die Fingerspitzen rot und glänzend. »Ich kann das«, gluckste er, und begann wahllos in dem Schaltkasten herumzuwühlen.
01:37.
Inez lehnte sich gegen den Marmor, drückte den Stoff ihres Kleides fester an Mund und Nase, zählte, hielt, ließ los – und die Zahlen vor ihrem Auge brachen auseinander wie Glas. »Nur noch …«
Sie wusste es nicht.
Sie sah Lyz’ Finger an der Rinne, die linke Hand als Stütze, die rechte am Sprinklerkopf, der Dietrich noch immer in ihrem Mund, und für einen Moment strömte Erleichterung durch Inez’ Körper, wahrhaftige und fast schon erregende Erleichterung, die ihren gesamten Körper zittern ließ. Gleich hätten sie es geschafft, gleich wäre alles vorbei.
»Ich hab ihn«, rief Lyz, und dieser Satz war Jubel und Hohn zugleich, ein Satz, der ihr half, keine Angst zu haben. Sie drehte und drehte den Schraubenzieher, presste das Metall gegen einen Widerstand, der nicht aufgab. Ein frustriertes Knurren entwich ihr und sie verlagerte das Gewicht ihrer Hand, um stärker Druck ausüben zu können – und da geschah es.
Es war nur ein kleiner, wütender Schlag gegen das Metall, nichts Dramatisches – aber ihre rechte Hand verlor für den Bruchteil einer Sekunde den Halt, und dieser Bruchteil war genug. »Verf-«
Sie fiel nicht, sie rutschte, sie glitt. Die Finger fanden die Kante nicht mehr, und die Rinne war inmitten all des Nebels plötzlich zu glatt. Inez sah, wie sie unsanft auf dem Boden aufkam und ihre Hand den gesamten Weg nach unten eine Spur auf der nassen Wand hinterließ. Sie blieb einen Moment auf dem Ellbogen liegen, blinzelte, und lachte dann leise. »Okay … das war wohl nix.«
01:04.
Téo lag jetzt an der Wand und kicherte vor sich hin. Er hatte nicht gemerkt, wie er zu Boden gesunken war. Seine Hände lagen im Schoß, das Etui halboffen an seinem Knie, die blutigen Finger noch immer versteckt im Gewirr aus Kabeln und LEDs, die vor sich hin blinkten. »Esierra«, sagte er in die Luft, und Inez hörte in dem Namen die Lounge, den Mond, die Maske, die Vögel – ein ganzer Abend, der durch seine Stimme ging wie Licht durch Glas. »Perfectio«, flüsterte er und nickte dann niemand Bestimmtem zu.
»Halt die Klappe, Téo«, sagte Lyz, die sich inzwischen an die Wand gelehnt hatte. »Wir sind noch nicht fu-« Sie stockte, atmete flach, der Blick wanderte an Inez vorbei, als sähe sie etwas an der Decke. »Hey, Inez, schau mal … Fische.«
00:49.
Unendlich langsam stand Inez auf und fasste einen letzten nüchternen Gedanken. Die Tür. Der Eingang, durch den sie hereingekommen waren. Vielleicht ließe sich die Tür öffnen? Ja, es musste bestimmt noch einen Notausgang geben … Sie würde einfach Hilfe holen gehen, Lyz und Téo könnten sich kurz ausruhen, und danach wären die beiden wieder wie vorher. Sie stemmte sich hoch, das Kleid nass vom Nebel, ihre Haut heiß, obwohl sie wie verrückt zitterte.
Dann machte sie zwei Schritte, dann drei – jeder Schritt ein Akt des Widerstands gegen die Bitte des Gases, hierzubleiben, sich hinzulegen, doch nur einen Moment die Augen zu schließen. Der Raum war größer geworden, als hätten die Wände sich verschoben und würden ihr einen Streich spielen. »Verdammtes Labyrinth«, murmelte sie und schwankte – ihre Beine gehörten plötzlich jemand anderem, jemand Leichtfertigem.
»Bleib«, sagte Lyz, und Inez drehte sich um, weil in diesem Wort etwas war, das sie nicht ignorieren konnte; Lyz lächelte, sehr sanft, als sei sie müde vom Tanzen, und hob die Hand, als wolle sie winken, vergaß es aber auf halbem Weg. »Ist gar nicht so schlimm.«
Inez ging weiter, ein vierter Schritt, ein fünfter. Die Tür war nun nur noch ein Rechteck, das man mit einem Finger zeichnen konnte, und drinnen in ihrem Kopf sang jemand – nicht schön, aber ausdauernd –, und über all dem war dieses Bild der Rose, die lächelte, weil sie bekam, was sie wollte.
00:28.
Sie kam nicht bis zur Klinke. Es war kein Sturz, es war ein Nachgeben, ein Einverständnis, das mit einem wehmütigen Seufzer akzeptierte, weil sie nicht mehr konnte. Ihre Knie gaben zuerst auf, dann der Rücken, und der Teppich aus Dym nahm sie, legte sie neben einen der Stacheln der Rose, und dort roch es am süßesten. Jemand – sie selbst? – lachte kurz, weil in ihrem Gesicht etwas kalt war, und das mochte sie.
Téo summte wieder. »Duvalczak«, murmelte er, »lassen Sie den Stab, wir … wir sind frei.« Er legte den Kopf zur Seite, als lausche er einer Antwort, die niemand sonst hören konnte. »Danke.«
Lyz lag auf dem Rücken, die Hände auf dem Bauch – so, wie man es tut, wenn man versucht, sich zu beruhigen, weil man Angst hatte –, und eine Weile ging es gut, dann kam so ein weiches, zu großes Luftholen, welches Kinder machten, wenn sie geweint hatten und nun schlafen mussten; sie flüsterte etwas, das wie »Kino« klang, und Inez wusste, wor
