UNDER THE GUN



Der Gang hatte plötzlich weitaus mehr Ähnlichkeit mit einem aufgerissenen Maul, an dessen Ende tödliche Gefahr lauerte – und irgendwer hatte ihm Zähne eingesetzt: hauchdünne Linien aus rotem Licht, die von Wand zu Wand gespannt waren und alle in kleinen, funkelnden Metallplatten endeten. Der Geschützturm war ein monströses Geschöpf aus schwarzem Metall, mit drei funkelnden Mündungen, die mindestens die Breite von zwei Fingern hatten. Inez wollte sich gar nicht ausmalen, welche Munition dieses Ungetüm verwendete – der abgesplitterte Marmorboden kurz vor der Tresortür gab ihr allerdings eine ungefähre Vorstellung.

Für einen Moment gewann alles um sie herum eine gewisse Entschleunigung: Sie sah, wie der Geschützturm nach unten fuhr und ineinander verlaufende Kabel mit sich zog, bevor er mit einem unsanften Rucken zum Stehen kam. Sie sah, wie Téo, die Augen weit aufgerissen, einige Schritte zurückwich, der nasse Overall eine traurige zweite Haut, die er hinter sich herzog. Sie sah Lyz vor sich, die ihren Fuß zurückriss, als hätte sie sich an den roten Strahlen verbrannt, und sich sofort zu ihr umdrehte, Worte formend, die sie in ihrer Benommenheit nicht richtig verstand. All das sah sie – und nur ein einziger, drängender Gedanke bildete sich in ihrem Kopf, senkte sich, ähnlich behäbig wie das Geschütz, vor ihre Augen.

Wann würde das Geschütz feuern?

»Nez!« schrie Lyz, stürzte sich auf sie und zog sie hinter eine hervorstehende Wand vor dem Gang in Deckung. Auch Téo hechtete hinter die gegenüberliegende Wand und presste sich dagegen, noch immer keuchend. Er warf ihr einen Blick zu, der unmissverständlich sagte, dass er auch keine Ahnung hatte, was sie jetzt machen sollten.

Dann hielten sie unwillkürlich die Luft an – und warteten. Auf einen Schuss, einen Alarm oder schwere Stiefel, die schnellen Schrittes auf sie zuliefen und ihr kleines Abenteuer beenden würden.

Nichts. Wobei, so ganz stimmte das nicht. Sie alle hörten dieses leise elektrische Sirren, wie ein Computer, der gerade hochgefahren war und sich erst einmal an diesen Zustand gewöhnen musste. Es gab jedoch keinen Schuss, keinen ohrenbetäubenden Alarm und auch keine Wachmannschaft, die sie entdeckt hatte. Bis auf dieses leise Sirren war es vollkommen still – was die ganze Sache allerdings nicht weniger beunruhigend machte.

»Okay … okay.« Téo löste sich behutsam von der Marmorwand und streckte den Kopf hinter der Wand hervor, um einen prüfenden Blick auf den Geschützturm zu werfen. »Er schießt nicht. Noch nicht.« Sein Blick folgte den Lasern bis hin zum Geschütz, sodass sein Kopf hin und her wackelte wie bei einem Huhn. Schließlich lehnte er sich wieder in Deckung und seufzte schwer. »Ich habe wirklich gehofft, dass wir das Schlimmste hinter uns gebracht hätten.« Er wischte sich die Reste des Wassers aus dem Gesicht und blickte zu den beiden anderen. »Hat jemand zufällig die zündende Idee oder einfach Todessehnsucht? Zum jetzigen Zeitpunkt ist mir beides recht.«

Lyz lugte jetzt auch hinter der Deckung hervor und schaute sich um, ein schmales Grinsen auf den Lippen. »Wär doch langweilig«, raunte sie, »aber ich habe bereits eine Idee … ist irgendwie ein bisschen was von beidem.« Dann blickte sie wieder zu Téo. »Hast du hier irgendwo ein Panel gesehen, irgendwas, wo wir das Etui benutzen können?«

Es stimmte: Anders als beim Aufzug und dem Dym-Raum gab es hier nichts, wo das Etui ihnen hätte helfen können. Nirgendwo ein Panel, nirgends ein Kartenleser, nur die Wände und der Boden mit den verzierten Händen, die in den Schatten aussahen, als würden sie beten. Sie konnten nicht erkennen, wie es bei der Tresortür aussah; womöglich gab es dort hinten hinter den hervorstehenden Marmorwänden ein Panel oder einen Knopf, der ihnen helfen könnte. Aber dafür müssten sie zunächst an der Bestie mit den rot leuchtenden Zähnen vorbei.

»Nein, ich hab auch nichts gesehen … aber das ist seltsam«, murmelte Téo, mehr zu sich als zu ihnen. »Wie sonst sollte der Turm erkennen, wer Freund oder Feind ist?« Sein Blick glitt zu der Waffe, dann wieder zurück zu den Lasern. »Ich wette, das Geschütz ist scharf gestellt, reagiert aber auf irgendeinen stillen Alarm.« Sein Blick blieb an den feinen Metallplättchen hängen, an denen jeder Laser endete. »Erst wenn jemand einen Laser berührt und die Verbindung unterbricht, fängt er an zu schießen.«

»Und da bist du ganz allein draufgekommen? Dass das Ding schießt, wenn wir die roten Laser berühren?« Lyz schnaubte leise. »Bevor du gleich noch ’ne Abhandlung schreibst, lass mich das abkürzen und euch einen Vorschlag machen.« Sie deutete mit dem Daumen in das Gewirr aus Lichtstrahlen. »Wir haben doch alle den einen Film gesehen, oder? Der Typ, der sich einfach Kopfhörer reinmacht und dann mir nichts, dir nichts durch die Laser tanzt.« Sie breitete die Arme aus und grinste. »Ich krieg das auch ohne Musik hin.«

Sie machte eine kleine Bewegung mit den Schultern, ein angetäuschtes Sich-durchschlängeln, das in dem völlig durchnässten Kleid mehr unbeholfen als elegant aussah und aus der Katze einen Fisch machte. »Ihr gebt mir das Etui und ich geh durch, Zentimeter für Zentimeter – rauf, runter, Bauch, Beine … Knie. Und wenn ich drüben bin, setz ich das Etui an, wo auch immer das dann geht, und schalte Signore Klapperkiste hier ab.« Sie machte eine kleine Verbeugung und ließ den Dietrich fallen, den sie sich hinter das Kleid gestopft hatte. Hastig hob sie ihn auf und bemühte sich, wenigstens etwas professionell zu wirken. »Ihr wisst, wie cool das in diesem Film aussah … wie hieß der noch mal? Irgendwas mit Meer …«

»Da gab es auch kein Geschütz. Und ich erinnere mich nicht daran, dass der Typ ein nasses und halb zerfleddertes Kleid trug. Lyz, ich weiß, dass du gut bist … aber ein Husten, ein falscher Schritt-«

»Ich danke Ihnen für Ihre ermutigenden und kompetenten Worte, Marchal«, blaffte Lyz ihn an.

Ihre Augen blieben auf den roten Linien, und zum ersten Mal seit langer Zeit sah Inez so etwas wie Respekt darin – allerdings nicht vor den Lasern oder dem Geschütz, sondern vor der Möglichkeit zu scheitern. Auch Inez’ Blick blieb an den Lasern hängen. In ihrer Anordnung lag keine Symmetrie, sie waren fast schon zufällig angeordnet und bildeten Netze, enge Tunnel und irrwitzige, schmale Gänge, durch die sich Lyz hätte … na ja, tanzen müssen. Lyz war ein Profi, eine absolut geschmeidige Katze, aber das hier war eine einzige tödliche Falle, bei der selbst jemand mit sieben Leben an seine Grenzen kommen würde.

»Legen wir das Laserballett für einen Moment beiseite«, sagte Téo, ohne den Blick vom Turm zu nehmen und geschickt dem giftigen Blick von Lyz ausweichend. »Ich denke darüber nach, seit wir hier sind, warum hier nirgendwo ein Feld ist. Kein Sicherheitspanel, kein Scanner, nicht einmal eine Kamera … nichts. Warum sollte jemand eine so merkwürdige Sicherheitsvorrichtung bauen?« In seiner Stimme lag ehrliche Frustration, aber nicht wegen des unüberwindbaren Hindernisses, sondern aufgrund des ineffizienten Designs. »Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder man muss sich jedes Mal beim Sicherheitsbüro melden, wenn man Geld und Jetons verschieben will …«

Zu sagen, dass er ungläubig klang, wäre noch untertrieben gewesen.

»Oder …« Er hob den Overall an seinem Kragen und ließ ihn wieder fallen, sodass ein eigenartiges Klappern zu hören war. »- man will, dass nur die Richtigen durchgehen, schnell, ohne Karten-Gefummel. Dieser Anzug war mir schon ein Rätsel, als wir hier durchgegangen sind. Er ist zu schwer, zu unhandlich, einfach … weird. Vielleicht sind da irgendwelche Sensoren verbaut, RFID im Gewebe, irgendein schmutziger Trick, ich weiß auch nicht.« So schnell wie er gesprochen hatte, verstummte er wieder. Seine Stimme klang jetzt zögerlich. »Ich … ich könnte durchlaufen. Langsam, einfach auf den Tresor zu. Das Ding wird mich als Techniker erkennen und schön brav stillhalten.«

Für einen Moment sagte niemand etwas. Lyz schaute ihn mit offenem Mund an, vergaß, dass er gerade eben noch ihren tänzerischen Plan niedergemacht hatte. Inez hatte eine eigenartige Angst gepackt, so, als ob Téo vorgeschlagen hätte, sich für sie zu opfern. Nur Téo lächelte, bemüht, tapfer auszusehen.

»Du willst dich auf die Nettigkeit einer Schießanlage verlassen«, sagte Lyz, und es klang in etwa so, als ob er ihnen gerade den Vorschlag unterbreitet hätte, den Kugeln einfach in Zeitlupe auszuweichen, als ob er in einem Film wäre. »Téo, versteh mich nicht falsch, tu dir keinen Zwang an, aber nein. Einfach nein. Das ist glatter Selbstmord. Wie sollen wir diese Schnapsidee überhaupt nennen? Téo rettet den Tag?«

»Was anderes macht keinen Sinn, Lyz«, sagte Téo. »Es ist die einzige logische Lösung für das Problem. Glaub mir … es wird funktionieren. Muss es.«

Die Worte standen einen Moment lang zwischen ihnen, dann wollte auch Inez einen Vorschlag machen. »Okay, danke für euren Input. Ich habe auch eine Idee. Sogar schon einen Namen. Ich nenne sie … den Rollkofferplan.«

Sie schauten sie an, als ob sie in diesem Moment selbst ein Rollkoffer wäre.

Inez rollte mit den Augen und tippte gegen eine Feuvigil-Kiste, die in dem engen Seitengang stand, in dem sie Deckung gesucht hatten. Das Metall antwortete mit einem satten, beruhigenden Klang. »Wir ziehen zwei, drei davon vor uns her, nebeneinander, Rad an Rad. Wenn das Geschütz feuert, prallen die Schüsse einfach an dem Metall ab, alles klar?« Ihr Publikum war nicht wirklich die Quelle reiner Motivation, also sprach sie einfach weiter. »Wenn wir am anderen Ende angekommen sind, deaktivieren wir das Geschütz einfach mit dem Etui und voilà, Inez 1, Trinitriad 0.«

Niemand sagte etwas.

Inez stieß nur die Luft aus und blickte zu Téo. Dieser hatte schon ab der Mitte ihres Plans damit begonnen, das Geschütz zu betrachten. Neigungswinkel, die Breite der Kisten und die Position der Mündungen schossen ihm durch den Kopf und brachten ihn dazu, leise einige Zahlen vor sich hin zu murmeln. Lyz schaute sie immer noch mit einem halb ungläubigen, halb vorwurfsvollen Blick an. Dann räusperte Téo sich.

»Es … sollte funktionieren. Vorausgesetzt, das Metall hält den Schüssen stand«, sagte Téo, und sie wunderte sich, wie ruhig seine Stimme klang. »Wir wissen allerdings nicht, aus welchem Material die Munition ist. Normales Kaliber … sollte gehen. Wenn es allerdings Thermit ist …« Er brauchte nicht weitersprechen. Sie wussten alle, was dann passieren würde.

»Ich hab’s nicht als Wellness-Wochenende verkauft«, sagte Inez. »Aber das sind Feuvigil-Kisten. Und ihr habt Montclaro gehört … solides-«

»… Material«, murmelte Lyz und schüttelte den Kopf. »Verrückt. Dann lass ich lieber den Elefanten hier durch die Laser laufen.« Téo tat so, als habe er sie nicht gehört.

Dann schwiegen sie, alle in ihren eigenen Gedanken versunken, während ihre wertvolle Zeit ohne Mitleid heruntertickte. Nur der Turm summte weiterhin leise vor sich hin und wartete geduldig darauf, dass die drei Diebe ihn herausfordern würden – ob nun zum Tanz, zu einem kleinen Spaziergang oder zu was auch immer der Rollkofferplan letzten Endes war. Inez fühlte den Blick der beiden und zwang sich, ihre Gedanken zu sammeln.

»Wir haben Zeit«, murmelte Téo – meinte aber Sekunden, nicht Minuten. »Nichts … überstürzen.«

Inez atmete einmal durch, so tief, dass es zu hören war, und ließ den Blick noch einmal über alle drei völlig wahnsinnigen Pläne schweifen, die sie erwartungsgemäß in den Tod oder aber auf wundersame Weise zum Tresor führen würden. Lyz seufzte schließlich, die Spannung nun auch für sie zu viel.

»Also«, sagte sie. »Ballett. Overall. Rollkoffer. Wie wollen wir heute Abend draufgehen?«

Verdammt gute Frage, Lyz. Verdammt gute Frage.

UNDER THE GUN


Der Gang hatte plötzlich weitaus mehr Ähnlichkeit mit einem aufgerissenen Maul, an dessen Ende tödliche Gefahr lauerte – und irgendwer hatte ihm Zähne eingesetzt: hauchdünne Linien aus rotem Licht, die von Wand zu Wand gespannt waren und alle in kleinen, funkelnden Metallplatten endeten. Der Geschützturm war ein monströses Geschöpf aus schwarzem Metall, mit drei funkelnden Mündungen, die mindestens die Breite von zwei Fingern hatten. Inez wollte sich gar nicht ausmalen, welche Munition dieses Ungetüm verwendete – der abgesplitterte Marmorboden kurz vor der Tresortür gab ihr allerdings eine ungefähre Vorstellung.

Für einen Moment gewann alles um sie herum eine gewisse Entschleunigung: Sie sah, wie der Geschützturm nach unten fuhr und ineinander verlaufende Kabel mit sich zog, bevor er mit einem unsanften Rucken zum Stehen kam. Sie sah, wie Téo, die Augen weit aufgerissen, einige Schritte zurückwich, der nasse Overall eine traurige zweite Haut, die er hinter sich herzog. Sie sah Lyz vor sich, die ihren Fuß zurückriss, als hätte sie sich an den roten Strahlen verbrannt, und sich sofort zu ihr umdrehte, Worte formend, die sie in ihrer Benommenheit nicht richtig verstand. All das sah sie – und nur ein einziger, drängender Gedanke bildete sich in ihrem Kopf, senkte sich, ähnlich behäbig wie das Geschütz, vor ihre Augen.

Wann würde das Geschütz feuern?

»Nez!« schrie Lyz, stürzte sich auf sie und zog sie hinter eine hervorstehende Wand vor dem Gang in Deckung. Auch Téo hechtete hinter die gegenüberliegende Wand und presste sich dagegen, noch immer keuchend. Er warf ihr einen Blick zu, der unmissverständlich sagte, dass er auch keine Ahnung hatte, was sie jetzt machen sollten.

Dann hielten sie unwillkürlich die Luft an – und warteten. Auf einen Schuss, einen Alarm oder schwere Stiefel, die schnellen Schrittes auf sie zuliefen und ihr kleines Abenteuer beenden würden.

Nichts. Wobei, so ganz stimmte das nicht. Sie alle hörten dieses leise elektrische Sirren, wie ein Computer, der gerade hochgefahren war und sich erst einmal an diesen Zustand gewöhnen musste. Es gab jedoch keinen Schuss, keinen ohrenbetäubenden Alarm und auch keine Wachmannschaft, die sie entdeckt hatte. Bis auf dieses leise Sirren war es vollkommen still – was die ganze Sache allerdings nicht weniger beunruhigend machte.

»Okay … okay.« Téo löste sich behutsam von der Marmorwand und streckte den Kopf hinter der Wand hervor, um einen prüfenden Blick auf den Geschützturm zu werfen. »Er schießt nicht. Noch nicht.« Sein Blick folgte den Lasern bis hin zum Geschütz, sodass sein Kopf hin und her wackelte wie bei einem Huhn. Schließlich lehnte er sich wieder in Deckung und seufzte schwer. »Ich habe wirklich gehofft, dass wir das Schlimmste hinter uns gebracht hätten.« Er wischte sich die Reste des Wassers aus dem Gesicht und blickte zu den beiden anderen. »Hat jemand zufällig die zündende Idee oder einfach Todessehnsucht? Zum jetzigen Zeitpunkt ist mir beides recht.«

Lyz lugte jetzt auch hinter der Deckung hervor und schaute sich um, ein schmales Grinsen auf den Lippen. »Wär doch langweilig«, raunte sie, »aber ich habe bereits eine Idee … ist irgendwie ein bisschen was von beidem.« Dann blickte sie wieder zu Téo. »Hast du hier irgendwo ein Panel gesehen, irgendwas, wo wir das Etui benutzen können?«

Es stimmte: Anders als beim Aufzug und dem Dym-Raum gab es hier nichts, wo das Etui ihnen hätte helfen können. Nirgendwo ein Panel, nirgends ein Kartenleser, nur die Wände und der Boden mit den verzierten Händen, die in den Schatten aussahen, als würden sie beten. Sie konnten nicht erkennen, wie es bei der Tresortür aussah; womöglich gab es dort hinten hinter den hervorstehenden Marmorwänden ein Panel oder einen Knopf, der ihnen helfen könnte. Aber dafür müssten sie zunächst an der Bestie mit den rot leuchtenden Zähnen vorbei.

»Nein, ich hab auch nichts gesehen … aber das ist seltsam«, murmelte Téo, mehr zu sich als zu ihnen. »Wie sonst sollte der Turm erkennen, wer Freund oder Feind ist?« Sein Blick glitt zu der Waffe, dann wieder zurück zu den Lasern. »Ich wette, das Geschütz ist scharf gestellt, reagiert aber auf irgendeinen stillen Alarm.« Sein Blick blieb an den feinen Metallplättchen hängen, an denen jeder Laser endete. »Erst wenn jemand einen Laser berührt und die Verbindung unterbricht, fängt er an zu schießen.«

»Und da bist du ganz allein draufgekommen? Dass das Ding schießt, wenn wir die roten Laser berühren?« Lyz schnaubte leise. »Bevor du gleich noch ’ne Abhandlung schreibst, lass mich das abkürzen und euch einen Vorschlag machen.« Sie deutete mit dem Daumen in das Gewirr aus Lichtstrahlen. »Wir haben doch alle den einen Film gesehen, oder? Der Typ, der sich einfach Kopfhörer reinmacht und dann mir nichts, dir nichts durch die Laser tanzt.« Sie breitete die Arme aus und grinste. »Ich krieg das auch ohne Musik hin.«

Sie machte eine kleine Bewegung mit den Schultern, ein angetäuschtes Sich-durchschlängeln, das in dem völlig durchnässten Kleid mehr unbeholfen als elegant aussah und aus der Katze einen Fisch machte. »Ihr gebt mir das Etui und ich geh durch, Zentimeter für Zentimeter – rauf, runter, Bauch, Beine … Knie. Und wenn ich drüben bin, setz ich das Etui an, wo auch immer das dann geht, und schalte Signore Klapperkiste hier ab.« Sie machte eine kleine Verbeugung und ließ den Dietrich fallen, den sie sich hinter das Kleid gestopft hatte. Hastig hob sie ihn auf und bemühte sich, wenigstens etwas professionell zu wirken. »Ihr wisst, wie cool das in diesem Film aussah … wie hieß der noch mal? Irgendwas mit Meer …«

»Da gab es auch kein Geschütz. Und ich erinnere mich nicht daran, dass der Typ ein nasses und halb zerfleddertes Kleid trug. Lyz, ich weiß, dass du gut bist … aber ein Husten, ein falscher Schritt-«

»Ich danke Ihnen für Ihre ermutigenden und kompetenten Worte, Marchal«, blaffte Lyz ihn an.

Ihre Augen blieben auf den roten Linien, und zum ersten Mal seit langer Zeit sah Inez so etwas wie Respekt darin – allerdings nicht vor den Lasern oder dem Geschütz, sondern vor der Möglichkeit zu scheitern. Auch Inez’ Blick blieb an den Lasern hängen. In ihrer Anordnung lag keine Symmetrie, sie waren fast schon zufällig angeordnet und bildeten Netze, enge Tunnel und irrwitzige, schmale Gänge, durch die sich Lyz hätte … na ja, tanzen müssen. Lyz war ein Profi, eine absolut geschmeidige Katze, aber das hier war eine einzige tödliche Falle, bei der selbst jemand mit sieben Leben an seine Grenzen kommen würde.

»Legen wir das Laserballett für einen Moment beiseite«, sagte Téo, ohne den Blick vom Turm zu nehmen und geschickt dem giftigen Blick von Lyz ausweichend. »Ich denke darüber nach, seit wir hier sind, warum hier nirgendwo ein Feld ist. Kein Sicherheitspanel, kein Scanner, nicht einmal eine Kamera … nichts. Warum sollte jemand eine so merkwürdige Sicherheitsvorrichtung bauen?« In seiner Stimme lag ehrliche Frustration, aber nicht wegen des unüberwindbaren Hindernisses, sondern aufgrund des ineffizienten Designs. »Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder man muss sich jedes Mal beim Sicherheitsbüro melden, wenn man Geld und Jetons verschieben will …«

Zu sagen, dass er ungläubig klang, wäre noch untertrieben gewesen.

»Oder …« Er hob den Overall an seinem Kragen und ließ ihn wieder fallen, sodass ein eigenartiges Klappern zu hören war. »- man will, dass nur die Richtigen durchgehen, schnell, ohne Karten-Gefummel. Dieser Anzug war mir schon ein Rätsel, als wir hier durchgegangen sind. Er ist zu schwer, zu unhandlich, einfach … weird. Vielleicht sind da irgendwelche Sensoren verbaut, RFID im Gewebe, irgendein schmutziger Trick, ich weiß auch nicht.« So schnell wie er gesprochen hatte, verstummte er wieder. Seine Stimme klang jetzt zögerlich. »Ich … ich könnte durchlaufen. Langsam, einfach auf den Tresor zu. Das Ding wird mich als Techniker erkennen und schön brav stillhalten.«

Für einen Moment sagte niemand etwas. Lyz schaute ihn mit offenem Mund an, vergaß, dass er gerade eben noch ihren tänzerischen Plan niedergemacht hatte. Inez hatte eine eigenartige Angst gepackt, so, als ob Téo vorgeschlagen hätte, sich für sie zu opfern. Nur Téo lächelte, bemüht, tapfer auszusehen.

»Du willst dich auf die Nettigkeit einer Schießanlage verlassen«, sagte Lyz, und es klang in etwa so, als ob er ihnen gerade den Vorschlag unterbreitet hätte, den Kugeln einfach in Zeitlupe auszuweichen, als ob er in einem Film wäre. »Téo, versteh mich nicht falsch, tu dir keinen Zwang an, aber nein. Einfach nein. Das ist glatter Selbstmord. Wie sollen wir diese Schnapsidee überhaupt nennen? Téo rettet den Tag?«

»Was anderes macht keinen Sinn, Lyz«, sagte Téo. »Es ist die einzige logische Lösung für das Problem. Glaub mir … es wird funktionieren. Muss es.«

Die Worte standen einen Moment lang zwischen ihnen, dann wollte auch Inez einen Vorschlag machen. »Okay, danke für euren Input. Ich habe auch eine Idee. Sogar schon einen Namen. Ich nenne sie … den Rollkofferplan.«

Sie schauten sie an, als ob sie in diesem Moment selbst ein Rollkoffer wäre.

Inez rollte mit den Augen und tippte gegen eine Feuvigil-Kiste, die in dem engen Seitengang stand, in dem sie Deckung gesucht hatten. Das Metall antwortete mit einem satten, beruhigenden Klang. »Wir ziehen zwei, drei davon vor uns her, nebeneinander, Rad an Rad. Wenn das Geschütz feuert, prallen die Schüsse einfach an dem Metall ab, alles klar?« Ihr Publikum war nicht wirklich die Quelle reiner Motivation, also sprach sie einfach weiter. »Wenn wir am anderen Ende angekommen sind, deaktivieren wir das Geschütz einfach mit dem Etui und voilà, Inez 1, Trinitriad 0.«

Niemand sagte etwas.

Inez stieß nur die Luft aus und blickte zu Téo. Dieser hatte schon ab der Mitte ihres Plans damit begonnen, das Geschütz zu betrachten. Neigungswinkel, die Breite der Kisten und die Position der Mündungen schossen ihm durch den Kopf und brachten ihn dazu, leise einige Zahlen vor sich hin zu murmeln. Lyz schaute sie immer noch mit einem halb ungläubigen, halb vorwurfsvollen Blick an. Dann räusperte Téo sich.

»Es … sollte funktionieren. Vorausgesetzt, das Metall hält den Schüssen stand«, sagte Téo, und sie wunderte sich, wie ruhig seine Stimme klang. »Wir wissen allerdings nicht, aus welchem Material die Munition ist. Normales Kaliber … sollte gehen. Wenn es allerdings Thermit ist …« Er brauchte nicht weitersprechen. Sie wussten alle, was dann passieren würde.

»Ich hab’s nicht als Wellness-Wochenende verkauft«, sagte Inez. »Aber das sind Feuvigil-Kisten. Und ihr habt Montclaro gehört … solides-«

»… Material«, murmelte Lyz und schüttelte den Kopf. »Verrückt. Dann lass ich lieber den Elefanten hier durch die Laser laufen.« Téo tat so, als habe er sie nicht gehört.

Dann schwiegen sie, alle in ihren eigenen Gedanken versunken, während ihre wertvolle Zeit ohne Mitleid heruntertickte. Nur der Turm summte weiterhin leise vor sich hin und wartete geduldig darauf, dass die drei Diebe ihn herausfordern würden – ob nun zum Tanz, zu einem kleinen Spaziergang oder zu was auch immer der Rollkofferplan letzten Endes war. Inez fühlte den Blick der beiden und zwang sich, ihre Gedanken zu sammeln.

»Wir haben Zeit«, murmelte Téo – meinte aber Sekunden, nicht Minuten. »Nichts … überstürzen.«

Inez atmete einmal durch, so tief, dass es zu hören war, und ließ den Blick noch einmal über alle drei völlig wahnsinnigen Pläne schweifen, die sie erwartungsgemäß in den Tod oder aber auf wundersame Weise zum Tresor führen würden. Lyz seufzte schließlich, die Spannung nun auch für sie zu viel.

»Also«, sagte sie. »Ballett. Overall. Rollkoffer. Wie wollen wir heute Abend draufgehen?«

Verdammt gute Frage, Lyz. Verdammt gute Frage.

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TÉO RETTET DEN TAG

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