



buy-in
Vor den drei Dieben offenbarte sich das Sanctum Sins in seiner gesamten Pracht: Die ehemalige Kathedrale war im Laufe der Jahre geschickt ausgebaut und mit neuen Stockwerken versehen worden, sodass die hohen Kirchenschiffe nun Spielbereiche, Bars und Restaurants enthielten, die den Besuchern des Casinos einen möglichst angenehmen Aufenthalt bereiten sollten – bei all den Lichtern und den guten Speisen fiel es nicht so leicht auf, wenn man all sein Geld verlor.
In der Mitte der Kathedrale war der Hauptspielbereich in den Boden eingelassen: Tische für Karten, Roulette und Triptyque warteten auf jene, die gegen das Haus wetten wollten, während Spielautomaten mit dem Wappen der Maison Lamize an den Seiten schnelle Gewinne versprachen – wenn man die nötige Portion Glück mitbrachte. Durch die erneuerten Kirchenfenster der alten Kathedrale, aufwendig restauriert und vom Mondlicht gebrochen, lag ein gespenstisches Schein über dem Saal, das dem Sanctum Sins einen ganz eigenen Charakter gab – irgendwo zwischen sakral und sündhaft, so wie Escorial es liebte.
Doch jedes Casino brauchte seine Spieler und Glücksritter, die es mit Leben füllten und deren Schicksale sich in einem kurzen Moment in Luft auflösten oder in der Goldenen Stadt emporgehoben wurden – und im Sanctum Sins gab es jede Menge davon, wie Inez feststellte.
In bunte, von Blumenkränzen behängte Kleider gehüllte Damen trugen den schweren Duft von Rosen durch den Raum. Junge Männer präsentierten stolz ihre von zahlreichen silbernen Kruzifixen behängten Anzüge – die neueste Mode von La Perdante – und suchten verstohlen nach Blicken der Anerkennung. Zahlreiche Sinner, mit ihren jeweiligen Insignien, ließen gelassen den Blick schweifen – und er blieb dort hängen, wo sie Feinde ausgemacht hatten. Selbst einige Saints hatten sich hierher verirrt; jene, die ihren Glauben und ihre Loyalität zu den Ordres etwas freigiebiger auslegten. Das Sanctum Sins war das Sinnbild von La Perdante und bot für jeden, der etwas suchte, eine Lösung – oder einen Anlass zur Suche.
Überall im Casino waren in dunkle Anzüge gekleidete Wachleute zu sehen, von denen jeder einen Ring mit einem goldenen Schädel am Finger trug, eine einzelne Münze im Mund – das Wappen des Sanctum Sins. Sie strahlten eine sanfte Autorität aus, die durch die zahlreichen Kameras in der gesamten Kathedrale nur noch verstärkt wurde. Téo hatte nicht übertrieben: Es würde nicht einfach sein, all diese Maßnahmen zu umgehen.
»Daran könnte ich mich gewöhnen …«, murmelte Lyz und sah sich mit leuchtenden Augen um. Ihre Freundin war all diese Pracht nicht gewohnt – sie, die aus den ärmsten Bezirken von Vita Nera stammte und die schönen Dinge des Lebens höchstens aus den Taschen anderer stibitzte, um ihre Familie über Wasser zu halten. Inez knuffte sie in den Arm, lächelte und flüsterte: »Ein alter, goldener Schädel – und wir spielen in der Oberliga mit.« Lyz grinste.
»Konzentration, Leute.« Téo sprach, ohne sich umzudrehen, und steuerte schnurstracks das Wechselbüro an, das in einen umgebauten Beichtstuhl integriert war. »Jetons wechseln und dann den Rosenkranz besorgen – denkt dran.« Lyz streckte ihm die Zunge heraus und blickte weiter verträumt auf das Kirchenglas.
Schließlich erreichten die drei Diebe das Wechselbüro, wo ein junger Mann mit goldgefärbten Haaren sie lächelnd begrüßte.
»Guten Abend, herzlich willkommen im Sanctum Sins. Zahlen Sie, spielen Sie, beichten Sie. Wie kann ich Ihnen helfen?«
Inez blickte zu Téo, der betont desinteressiert zum Mitarbeiter hinüberschaute und schwieg. Auch Inez sagte nichts und sah zu Téo, der sein auffälliges Räuspern gerade noch zu einem Hüsteln umfunktionieren konnte.
»Oh! Meine Begleitung und ich …«, Inez deutete mit dem Kopf auf Lyz, die huldvoll nickte, »… würden gern unser Glück versuchen. Wir möchten einige Edin – Escodinar – eintauschen.«
Mit diesen Worten trat Téo mit wenigen geübten Bewegungen vor und öffnete den Koffer mit den Escodinar, den ihnen die Sangrada gegeben hatte – der Einsatz, den sie für das Sanctum benötigen würden.
Der Mann nickte, nahm den Koffer entgegen, zählte die Münzen gekonnt ab und ließ sie in einem Trichter neben sich verschwinden. Dann prüfte er einige Zahlen auf einem Bildschirm, ging zu einem der zahlreichen goldenen Regale hinter ihm und holte aus einer Schublade einen Koffer. Inez merkte, wie Téo neben ihr allmählich entspannte.
»Jetons im Wert von 20 000 Escodinar – in den Werten 1 000, 500, 200 und 100.« Der Mann drehte den Koffer und ließ sie einen Blick auf die dunklen und goldenen Jetons werfen, auf denen prominent der goldene Schädel prangte. Lyz und Inez sahen sich verstohlen an. So viel Geld hatten sie noch nie auf einen Schlag gesehen. Inez wusste, dass Lyz in diesem Moment dasselbe dachte wie sie: Warum nicht einfach das Geld nehmen und abhauen? Ein guter Plan – sie könnten sich ein schönes Leben machen.
Zumindest für den kurzen Zeitraum, bis die Sangrada sie aufgespürt hätte.
Téo stupste Inez an. Der Mann mit den goldenen Haaren lächelte.
»Kann ich Ihnen noch irgendwie dienlich sein?«
Inez erwiderte das Lächeln. »Sie haben mir bereits alles gegeben, was ich heute Abend brauche … vielen Dank.« Ein Zwinkern ließ den Mann erröten; dann wandte sie sich ab und entfernte sich mit ihren Freunden. Sie sah Téo und Lyz mit ernster Miene an.
»Das hätten wir. Jetzt …«
»… der Rosenkranz.« Téo scannte bereits das Casino nach möglichen Zielen. Das Sanctum – der exklusive Bereich, in dem mit hohen Einsätzen gespielt wurde – war nur ausgewählten Gästen vorbehalten, die sich mit einem speziellen elektronischen Rosenkranz auswiesen. Sie waren nicht personalisiert; daher würde ihnen jeder beliebige genügen. Allerdings mussten sie sich bei einem Gast bedienen – idealerweise bei jemandem, dem der Rosenkranz nicht allzu sehr fehlen würde. Im Sanctum warteten der Pitboss und seine Schlüsselkarte – ohne sie würde ihr Abenteuer nicht weitergehen.
Lyz stieß ein anerkennendes Pfeifen aus und deutete zu den Spielautomaten.
»Sieh mal einer an … wir haben unsere Eintrittskarte gefunden …«
Vor den Automaten hatte es sich ein Mann mittleren Alters mit plattgedrückten Haaren auf einem Sessel gemütlich gemacht und blickte den vorbeilaufenden Frauen bemüht unauffällig hinterher – ein aussichtsloses Unterfangen; sein hochrotes Gesicht und die vielen Flaschen Hochprozentiges neben ihm sprachen eine eindeutige Sprache. Um seinen verrutschten Anzug hing ein goldener Rosenkranz, der in den blinkenden Lichtern der Maschinen rot aufleuchtete, und an dem seine Finger ständig herumspielten. Die glasigen Augen und die vereinzelten Rülpser machten das Gemälde perfekt.
Eine bessere Gelegenheit würden sie heute Nacht nicht mehr bekommen.
Inez beugte sich zu den anderen und murmelte: »Der würde nicht mal merken, wenn der Rosenkranz fehlt …«
Sie warf noch einen prüfenden Blick hinüber und sah, wie die Augen des Mannes einer jungen Frau im violetten Pelz folgten. »Ich kenne solche Typen. Gebt mir fünf Minuten, und er gibt ihn mir freiwillig.«
Lyz presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. »Kommt nicht infrage. Der ist zu nichts mehr zu gebrauchen. Du machst ihm schöne Augen, und im nächsten Moment trottet er dir wie ein Hündchen durchs ganze Casino hinterher. Keine Chance – so bekommen wir den Rosenkranz ganz sicher nicht.«
Inez lächelte. »Du unterschätzt mich, Liebes.«
Die andere verzog nur knapp die Mundwinkel und deutete auf einen Kellner, der sich in atemberaubendem Tempo durch die Menge schlängelte. »Gebt mir eine hübsche, kleine Ablenkung, und ich klaue das Ding. Der Typ ist völlig unzurechnungsfähig – Himmel, ich stehle ihm gleich die Brieftasche mit, als kleine Erinnerung an heute.« Sie reckte stolz das Kinn und wollte sich gerade in Bewegung setzen, als Téo sie festhielt.
»Nicht so schnell. Ich hätte noch eine andere Idee. Vielleicht brauchen wir den Rosenkranz gar nicht …« Téos Blick verlor sich in den Bildschirmen der Spielautomaten. In Vita Nera hatte er sich in einem alten Lagerhaus für ausrangierte Maschinen eingenistet und tagein, tagaus an den Dingern geschraubt. Er sagte, es beruhige ihn; Lyz sagte, er sei übergeschnappt. Tatsache war: Es gab keinen größeren Experten als Téo, wenn es um Spielautomaten ging.
»Wenn es dieselben sind wie bei uns … dann kann ich einen Jackpot auslösen.«
Lyz blinzelte. »Und was bringt das? Zu mehr Kohle sage ich nicht Nein, aber der Hauptgewinn ist kaum ein Rosenkranz.«
Téo schüttelte ungeduldig den Kopf. »High Roller werden gern ins Sanctum eingeladen: viel Geld auf einmal – viel Geld, das man verspielen kann. So macht das Haus sein Geld, verstehst du? Wenn wir hier mit einem Hauptgewinn auftauchen, rollt uns das Sanctum Sins den roten Teppich aus … und wir müssen nichts stehlen, das uns später noch auf die Füße fällt.«
Inez sah ihn zweifelnd an. »Schaffst du das denn? Die Automaten sind bestimmt auf dem neuesten Stand …«
Téo schnaubte. »Solange sie nicht von der Maison sind, krieg ich’s hin. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass das ›letzte unabhängige Casino in La Perdante‹« – er sprach die Worte übertrieben betont – »… mit denen Geschäfte macht.«
Er verschränkte die Arme. »Ich schaff’s.«
Inez ging im Kopf noch einmal ihre Optionen durch. Sie konnte den Mann umgarnen und ihn einfach nach dem Rosenkranz fragen. Sie wusste, wie sie bekam, was sie wollte – so würde ihnen kein Diebstahl auf die Füße fallen. Aber sie konnten kein weiteres verliebtes »Crewmitglied« gebrauchen, das Aufmerksamkeit auf sie zog …
Sollte Lyz den Rosenkranz stehlen? Sie war gut, keine Frage – aber das hier war eine andere Liga. Was, wenn sie eine Kamera oder ein Wachmann sah? Oder das Ablenkungsmanöver schiefging? Wenn sie jetzt schon aus dem Casino geworfen würden, endete ihr Heist schneller, als er begonnen hatte.
Blieb noch Téos Plan. Wenn sie hier mit einem Jackpot hinausgingen, hätten sie neben dem Schädel auch noch ein hübsches Sümmchen, um ein neues Leben anzufangen – dann spielte es keine Rolle, dass sie den Schädel der Sangrada geben mussten und keinen müden Edin verdienten. Aber Téo war nicht gut darin, seine eigenen technischen Schwächen einzugestehen – was, wenn er einen Alarm auslöste oder das Casino misstrauisch wurde?
Inez atmete tief durch – und wusste schließlich, wer am Zug war.
Vor den drei Dieben offenbarte sich das Sanctum Sins in seiner gesamten Pracht: Die ehemalige Kathedrale war im Laufe der Jahre geschickt ausgebaut und mit neuen Stockwerken versehen worden, sodass die hohen Kirchenschiffe nun Spielbereiche, Bars und Restaurants enthielten, die den Besuchern des Casinos einen möglichst angenehmen Aufenthalt bereiten sollten – bei all den Lichtern und den guten Speisen fiel es nicht so leicht auf, wenn man all sein Geld verlor.
In der Mitte der Kathedrale war der Hauptspielbereich in den Boden eingelassen: Tische für Karten, Roulette und Triptyque warteten auf jene, die gegen das Haus wetten wollten, während Spielautomaten mit dem Wappen der Maison Lamize an den Seiten schnelle Gewinne versprachen – wenn man die nötige Portion Glück mitbrachte. Durch die erneuerten Kirchenfenster der alten Kathedrale, aufwendig restauriert und vom Mondlicht gebrochen, lag ein gespenstisches Schein über dem Saal, das dem Sanctum Sins einen ganz eigenen Charakter gab – irgendwo zwischen sakral und sündhaft, so wie Escorial es liebte.
Doch jedes Casino brauchte seine Spieler und Glücksritter, die es mit Leben füllten und deren Schicksale sich in einem kurzen Moment in Luft auflösten oder in der Goldenen Stadt emporgehoben wurden – und im Sanctum Sins gab es jede Menge davon, wie Inez feststellte.
In bunte, von Blumenkränzen behängte Kleider gehüllte Damen trugen den schweren Duft von Rosen durch den Raum. Junge Männer präsentierten stolz ihre von zahlreichen silbernen Kruzifixen behängten Anzüge – die neueste Mode von La Perdante – und suchten verstohlen nach Blicken der Anerkennung. Zahlreiche Sinner, mit ihren jeweiligen Insignien, ließen gelassen den Blick schweifen – und er blieb dort hängen, wo sie Feinde ausgemacht hatten. Selbst einige Saints hatten sich hierher verirrt; jene, die ihren Glauben und ihre Loyalität zu den Ordres etwas freigiebiger auslegten. Das Sanctum Sins war das Sinnbild von La Perdante und bot für jeden, der etwas suchte, eine Lösung – oder einen Anlass zur Suche.
Überall im Casino waren in dunkle Anzüge gekleidete Wachleute zu sehen, von denen jeder einen Ring mit einem goldenen Schädel am Finger trug, eine einzelne Münze im Mund – das Wappen des Sanctum Sins. Sie strahlten eine sanfte Autorität aus, die durch die zahlreichen Kameras in der gesamten Kathedrale nur noch verstärkt wurde. Téo hatte nicht übertrieben: Es würde nicht einfach sein, all diese Maßnahmen zu umgehen.
»Daran könnte ich mich gewöhnen …«, murmelte Lyz und sah sich mit leuchtenden Augen um. Ihre Freundin war all diese Pracht nicht gewohnt – sie, die aus den ärmsten Bezirken von Vita Nera stammte und die schönen Dinge des Lebens höchstens aus den Taschen anderer stibitzte, um ihre Familie über Wasser zu halten. Inez knuffte sie in den Arm, lächelte und flüsterte: »Ein alter, goldener Schädel – und wir spielen in der Oberliga mit.« Lyz grinste.
»Konzentration, Leute.« Téo sprach, ohne sich umzudrehen, und steuerte schnurstracks das Wechselbüro an, das in einen umgebauten Beichtstuhl integriert war. »Jetons wechseln und dann den Rosenkranz besorgen – denkt dran.« Lyz streckte ihm die Zunge heraus und blickte weiter verträumt auf das Kirchenglas.
Schließlich erreichten die drei Diebe das Wechselbüro, wo ein junger Mann mit goldgefärbten Haaren sie lächelnd begrüßte.
»Guten Abend, herzlich willkommen im Sanctum Sins. Zahlen Sie, spielen Sie, beichten Sie. Wie kann ich Ihnen helfen?«
Inez blickte zu Téo, der betont desinteressiert zum Mitarbeiter hinüberschaute und schwieg. Auch Inez sagte nichts und sah zu Téo, der sein auffälliges Räuspern gerade noch zu einem Hüsteln umfunktionieren konnte.
»Oh! Meine Begleitung und ich …«, Inez deutete mit dem Kopf auf Lyz, die huldvoll nickte, »… würden gern unser Glück versuchen. Wir möchten einige Edin – Escodinar – eintauschen.«
Mit diesen Worten trat Téo mit wenigen geübten Bewegungen vor und öffnete den Koffer mit den Escodinar, den ihnen die Sangrada gegeben hatte – der Einsatz, den sie für das Sanctum benötigen würden.
Der Mann nickte, nahm den Koffer entgegen, zählte die Münzen gekonnt ab und ließ sie in einem Trichter neben sich verschwinden. Dann prüfte er einige Zahlen auf einem Bildschirm, ging zu einem der zahlreichen goldenen Regale hinter ihm und holte aus einer Schublade einen Koffer. Inez merkte, wie Téo neben ihr allmählich entspannte.
»Jetons im Wert von 20 000 Escodinar – in den Werten 1 000, 500, 200 und 100.« Der Mann drehte den Koffer und ließ sie einen Blick auf die dunklen und goldenen Jetons werfen, auf denen prominent der goldene Schädel prangte. Lyz und Inez sahen sich verstohlen an. So viel Geld hatten sie noch nie auf einen Schlag gesehen. Inez wusste, dass Lyz in diesem Moment dasselbe dachte wie sie: Warum nicht einfach das Geld nehmen und abhauen? Ein guter Plan – sie könnten sich ein schönes Leben machen.
Zumindest für den kurzen Zeitraum, bis die Sangrada sie aufgespürt hätte.
Téo stupste Inez an. Der Mann mit den goldenen Haaren lächelte.
»Kann ich Ihnen noch irgendwie dienlich sein?«
Inez erwiderte das Lächeln. »Sie haben mir bereits alles gegeben, was ich heute Abend brauche … vielen Dank.« Ein Zwinkern ließ den Mann erröten; dann wandte sie sich ab und entfernte sich mit ihren Freunden. Sie sah Téo und Lyz mit ernster Miene an.
»Das hätten wir. Jetzt …«
»… der Rosenkranz.« Téo scannte bereits das Casino nach möglichen Zielen. Das Sanctum – der exklusive Bereich, in dem mit hohen Einsätzen gespielt wurde – war nur ausgewählten Gästen vorbehalten, die sich mit einem speziellen elektronischen Rosenkranz auswiesen. Sie waren nicht personalisiert; daher würde ihnen jeder beliebige genügen. Allerdings mussten sie sich bei einem Gast bedienen – idealerweise bei jemandem, dem der Rosenkranz nicht allzu sehr fehlen würde. Im Sanctum warteten der Pitboss und seine Schlüsselkarte – ohne sie würde ihr Abenteuer nicht weitergehen.
Lyz stieß ein anerkennendes Pfeifen aus und deutete zu den Spielautomaten.
»Sieh mal einer an … wir haben unsere Eintrittskarte gefunden …«
Vor den Automaten hatte es sich ein Mann mittleren Alters mit plattgedrückten Haaren auf einem Sessel gemütlich gemacht und blickte den vorbeilaufenden Frauen bemüht unauffällig hinterher – ein aussichtsloses Unterfangen; sein hochrotes Gesicht und die vielen Flaschen Hochprozentiges neben ihm sprachen eine eindeutige Sprache. Um seinen verrutschten Anzug hing ein goldener Rosenkranz, der in den blinkenden Lichtern der Maschinen rot aufleuchtete, und an dem seine Finger ständig herumspielten. Die glasigen Augen und die vereinzelten Rülpser machten das Gemälde perfekt.
Eine bessere Gelegenheit würden sie heute Nacht nicht mehr bekommen.
Inez beugte sich zu den anderen und murmelte: »Der würde nicht mal merken, wenn der Rosenkranz fehlt …«
Sie warf noch einen prüfenden Blick hinüber und sah, wie die Augen des Mannes einer jungen Frau im violetten Pelz folgten. »Ich kenne solche Typen. Gebt mir fünf Minuten, und er gibt ihn mir freiwillig.«
Lyz presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. »Kommt nicht infrage. Der ist zu nichts mehr zu gebrauchen. Du machst ihm schöne Augen, und im nächsten Moment trottet er dir wie ein Hündchen durchs ganze Casino hinterher. Keine Chance – so bekommen wir den Rosenkranz ganz sicher nicht.«
Inez lächelte. »Du unterschätzt mich, Liebes.«
Die andere verzog nur knapp die Mundwinkel und deutete auf einen Kellner, der sich in atemberaubendem Tempo durch die Menge schlängelte. »Gebt mir eine hübsche, kleine Ablenkung, und ich klaue das Ding. Der Typ ist völlig unzurechnungsfähig – Himmel, ich stehle ihm gleich die Brieftasche mit, als kleine Erinnerung an heute.« Sie reckte stolz das Kinn und wollte sich gerade in Bewegung setzen, als Téo sie festhielt.
»Nicht so schnell. Ich hätte noch eine andere Idee. Vielleicht brauchen wir den Rosenkranz gar nicht …« Téos Blick verlor sich in den Bildschirmen der Spielautomaten. In Vita Nera hatte er sich in einem alten Lagerhaus für ausrangierte Maschinen eingenistet und tagein, tagaus an den Dingern geschraubt. Er sagte, es beruhige ihn; Lyz sagte, er sei übergeschnappt. Tatsache war: Es gab keinen größeren Experten als Téo, wenn es um Spielautomaten ging.
»Wenn es dieselben sind wie bei uns … dann kann ich einen Jackpot auslösen.«
Lyz blinzelte. »Und was bringt das? Zu mehr Kohle sage ich nicht Nein, aber der Hauptgewinn ist kaum ein Rosenkranz.«
Téo schüttelte ungeduldig den Kopf. »High Roller werden gern ins Sanctum eingeladen: viel Geld auf einmal – viel Geld, das man verspielen kann. So macht das Haus sein Geld, verstehst du? Wenn wir hier mit einem Hauptgewinn auftauchen, rollt uns das Sanctum Sins den roten Teppich aus … und wir müssen nichts stehlen, das uns später noch auf die Füße fällt.«
Inez sah ihn zweifelnd an. »Schaffst du das denn? Die Automaten sind bestimmt auf dem neuesten Stand …«
Téo schnaubte. »Solange sie nicht von der Maison sind, krieg ich’s hin. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass das ›letzte unabhängige Casino in La Perdante‹« – er sprach die Worte übertrieben betont – »… mit denen Geschäfte macht.«
Er verschränkte die Arme. »Ich schaff’s.«
Inez ging im Kopf noch einmal ihre Optionen durch. Sie konnte den Mann umgarnen und ihn einfach nach dem Rosenkranz fragen. Sie wusste, wie sie bekam, was sie wollte – so würde ihnen kein Diebstahl auf die Füße fallen. Aber sie konnten kein weiteres verliebtes »Crewmitglied« gebrauchen, das Aufmerksamkeit auf sie zog …
Sollte Lyz den Rosenkranz stehlen? Sie war gut, keine Frage – aber das hier war eine andere Liga. Was, wenn sie eine Kamera oder ein Wachmann sah? Oder das Ablenkungsmanöver schiefging? Wenn sie jetzt schon aus dem Casino geworfen würden, endete ihr Heist schneller, als er begonnen hatte.
Blieb noch Téos Plan. Wenn sie hier mit einem Jackpot hinausgingen, hätten sie neben dem Schädel auch noch ein hübsches Sümmchen, um ein neues Leben anzufangen – dann spielte es keine Rolle, dass sie den Schädel der Sangrada geben mussten und keinen müden Edin verdienten. Aber Téo war nicht gut darin, seine eigenen technischen Schwächen einzugestehen – was, wenn er einen Alarm auslöste oder das Casino misstrauisch wurde?
Inez atmete tief durch – und wusste schließlich, wer am Zug war.
buy-in
buy-in

Vor den drei Dieben offenbarte sich das Sanctum Sins in seiner gesamten Pracht: Die ehemalige Kathedrale war im Laufe der Jahre geschickt ausgebaut und mit neuen Stockwerken versehen worden, sodass die hohen Kirchenschiffe nun Spielbereiche, Bars und Restaurants enthielten, die den Besuchern des Casinos einen möglichst angenehmen Aufenthalt bereiten sollten – bei all den Lichtern und den guten Speisen fiel es nicht so leicht auf, wenn man all sein Geld verlor.
In der Mitte der Kathedrale war der Hauptspielbereich in den Boden eingelassen: Tische für Karten, Roulette und Triptyque warteten auf jene, die gegen das Haus wetten wollten, während Spielautomaten mit dem Wappen der Maison Lamize an den Seiten schnelle Gewinne versprachen – wenn man die nötige Portion Glück mitbrachte. Durch die erneuerten Kirchenfenster der alten Kathedrale, aufwendig restauriert und vom Mondlicht gebrochen, lag ein gespenstisches Schein über dem Saal, das dem Sanctum Sins einen ganz eigenen Charakter gab – irgendwo zwischen sakral und sündhaft, so wie Escorial es liebte.
Doch jedes Casino brauchte seine Spieler und Glücksritter, die es mit Leben füllten und deren Schicksale sich in einem kurzen Moment in Luft auflösten oder in der Goldenen Stadt emporgehoben wurden – und im Sanctum Sins gab es jede Menge davon, wie Inez feststellte. In bunte, von Blumenkränzen behängte Kleider gehüllte Damen trugen den schweren Duft von Rosen durch den Raum. Junge Männer präsentierten stolz ihre von zahlreichen silbernen Kruzifixen behängten Anzüge – die neueste Mode von La Perdante – und suchten verstohlen nach Blicken der Anerkennung. Zahlreiche Sinner, mit ihren jeweiligen Insignien, ließen gelassen den Blick schweifen – und er blieb dort hängen, wo sie Feinde ausgemacht hatten. Selbst einige Saints hatten sich hierher verirrt; jene, die ihren Glauben und ihre Loyalität zu den Ordres etwas freigiebiger auslegten. Das Sanctum Sins war das Sinnbild von La Perdante und bot für jeden, der etwas suchte, eine Lösung – oder einen Anlass zur Suche.
Überall im Casino waren in dunkle Anzüge gekleidete Wachleute zu sehen, von denen jeder einen Ring mit einem goldenen Schädel am Finger trug, eine einzelne Münze im Mund – das Wappen des Sanctum Sins. Sie strahlten eine sanfte Autorität aus, die durch die zahlreichen Kameras in der gesamten Kathedrale nur noch verstärkt wurde. Téo hatte nicht übertrieben: Es würde nicht einfach sein, all diese Maßnahmen zu umgehen.
»Daran könnte ich mich gewöhnen …«, murmelte Lyz und sah sich mit leuchtenden Augen um. Ihre Freundin war all diese Pracht nicht gewohnt – sie, die aus den ärmsten Bezirken von Vita Nera stammte und die schönen Dinge des Lebens aus den Taschen anderer stibitzte, um ihre Familie über Wasser zu halten. Inez knuffte sie in den Arm, lächelte und flüsterte: »Ein alter, goldener Schädel – und wir spielen in der Oberliga mit.« Lyz grinste.
»Konzentration, Leute.« Téo sprach, ohne sich umzudrehen, und steuerte schnurstracks das Wechselbüro an, das in einen umgebauten Beichtstuhl integriert war. »Jetons wechseln und dann den Rosenkranz besorgen – denkt dran.« Lyz streckte ihm die Zunge heraus und blickte weiter verträumt auf das Kirchenglas.
Schließlich erreichten die drei Diebe das Wechselbüro, wo ein junger Mann mit goldgefärbten Haaren sie lächelnd begrüßte.
»Guten Abend, herzlich willkommen im Sanctum Sins. Zahlen Sie, spielen Sie, beichten Sie. Wie kann ich Ihnen helfen?«
Inez blickte zu Téo, der betont desinteressiert zum Mitarbeiter hinüberschaute und schwieg. Auch Inez sagte nichts und sah zu Téo, der sein auffälliges Räuspern gerade noch zu einem Hüsteln umfunktionieren konnte.
»Oh! Meine Begleitung und ich …«, Inez deutete mit dem Kopf auf Lyz, die huldvoll nickte, »… würden gern unser Glück versuchen. Wir möchten einige Edin – Escodinar – eintauschen.« Mit diesen Worten trat Téo mit wenigen geübten Bewegungen vor und öffnete den Koffer mit den Escodinar, den ihnen die Sangrada gegeben hatte – der Einsatz, den sie für das Sanctum benötigen würden.
Der Mann nickte, nahm den Koffer entgegen, zählte die Münzen gekonnt ab und ließ sie in einem Trichter neben sich verschwinden. Dann prüfte er einige Zahlen auf einem Bildschirm, ging zu einem der zahlreichen goldenen Regale hinter ihm und holte aus einer Schublade einen Koffer. Inez merkte, wie Téo neben ihr allmählich entspannte.
»Jetons im Wert von 20 000 Escodinar – in den Werten 1 000, 500, 200 und 100.« Der Mann drehte den Koffer und ließ sie einen Blick auf die dunklen und goldenen Jetons werfen, auf denen prominent der goldene Schädel prangte. Lyz und Inez sahen sich verstohlen an. So viel Geld hatten sie noch nie auf einen Schlag gesehen. Inez wusste, dass Lyz in diesem Moment dasselbe dachte wie sie: Warum nicht einfach das Geld nehmen und abhauen? Ein guter Plan – sie könnten sich ein schönes Leben machen.
Zumindest für den kurzen Zeitraum, bis die Sangrada sie aufgespürt hätte.
Téo stupste Inez an. Der Mann mit den goldenen Haaren lächelte.
»Kann ich Ihnen noch irgendwie dienlich sein?«
Inez erwiderte das Lächeln. »Sie haben mir bereits alles gegeben, was ich heute Abend brauche … vielen Dank.« Ein Zwinkern ließ den Mann erröten; dann wandte sie sich ab und entfernte sich mit ihren Freunden. Sie sah Téo und Lyz mit ernster Miene an.
»Das hätten wir. Jetzt …«
»… der Rosenkranz.« Téo scannte bereits das Casino nach möglichen Zielen. Das Sanctum – der exklusive Bereich, in dem mit hohen Einsätzen gespielt wurde – war nur ausgewählten Gästen vorbehalten, die sich mit einem speziellen elektronischen Rosenkranz auswiesen. Sie waren nicht personalisiert; daher würde ihnen jeder beliebige genügen. Allerdings mussten sie sich bei einem Gast bedienen – idealerweise bei jemandem, dem der Rosenkranz nicht allzu sehr fehlen würde. Im Sanctum warteten der Pitboss und seine Schlüsselkarte – ohne sie würde ihr Abenteuer nicht weitergehen. Lyz stieß ein anerkennendes Pfeifen aus und deutete zu den Spielautomaten.
»Sieh mal einer an … wir haben unsere Eintrittskarte gefunden …«
Vor den Automaten hatte es sich ein Mann mittleren Alters mit plattgedrückten Haaren auf einem Sessel gemütlich gemacht und blickte den vorbeilaufenden Frauen bemüht unauffällig hinterher – ein aussichtsloses Unterfangen; sein hochrotes Gesicht und die vielen Flaschen Hochprozentiges neben ihm sprachen eine eindeutige Sprache. Um seinen verrutschten Anzug hing ein goldener Rosenkranz, der in den blinkenden Lichtern der Maschinen rot aufleuchtete, und an dem seine Finger ständig herumspielten. Die glasigen Augen und die vereinzelten Rülpser machten das Gemälde perfekt.
Eine bessere Gelegenheit würden sie heute Nacht nicht mehr bekommen.
Inez beugte sich zu den anderen und murmelte: »Der würde nicht mal merken, wenn der Rosenkranz fehlt …« Sie warf noch einen prüfenden Blick hinüber und sah, wie die Augen des Mannes einer jungen Frau im violetten Pelz folgten. »Ich kenne solche Typen. Gebt mir fünf Minuten, und er gibt ihn mir freiwillig.«
Lyz presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. »Kommt nicht infrage. Der ist zu nichts mehr zu gebrauchen. Du machst ihm schöne Augen, und im nächsten Moment trottet er dir wie ein Hündchen durchs ganze Casino hinterher. Keine Chance – so bekommen wir den Rosenkranz ganz sicher nicht.«
Inez lächelte. »Du unterschätzt mich, Liebes.« Die andere verzog nur knapp die Mundwinkel und deutete auf einen Kellner, der sich in atemberaubendem Tempo durch die Menge schlängelte. »Gebt mir eine hübsche, kleine Ablenkung, und ich klaue das Ding. Der Typ ist völlig unzurechnungsfähig – Himmel, ich stehle ihm gleich die Brieftasche mit, als kleine Erinnerung an heute.« Sie reckte stolz das Kinn und wollte sich gerade in Bewegung setzen, als Téo sie festhielt.
»Nicht so schnell. Ich hätte noch eine andere Idee. Vielleicht brauchen wir den Rosenkranz gar nicht …« Téos Blick verlor sich in den Bildschirmen der Spielautomaten. In Vita Nera hatte er sich in einem alten Lagerhaus für ausrangierte Maschinen eingenistet und tagein, tagaus an den Dingern geschraubt. Er sagte, es beruhige ihn; Lyz sagte, er sei übergeschnappt. Tatsache war: Es gab keinen größeren Experten als Téo, wenn es um Spielautomaten ging. »Wenn es dieselben sind wie bei uns … dann kann ich einen Jackpot auslösen.«
Lyz blinzelte. »Und was bringt das? Zu mehr Kohle sage ich nicht Nein, aber der Hauptgewinn ist kaum ein Rosenkranz.«
Téo schüttelte ungeduldig den Kopf. »High Roller werden gern ins Sanctum eingeladen: viel Geld auf einmal – viel Geld, das man verspielen kann. So macht das Haus sein Geld, verstehst du? Wenn wir hier mit einem Hauptgewinn auftauchen, rollt uns das Sanctum Sins den roten Teppich aus … und wir müssen nichts stehlen, das uns später noch auf die Füße fällt.«
Inez sah ihn zweifelnd an. »Schaffst du das denn? Die Automaten sind bestimmt auf dem neuesten Stand …«
Téo schnaubte. »Solange sie nicht von der Maison sind, krieg ich’s hin. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass das ›letzte unabhängige Casino in La Perdante‹« – er sprach die Worte übertrieben betont – »… mit denen Geschäfte macht.« Er verschränkte die Arme. »Ich schaff’s.«
Inez ging im Kopf noch einmal ihre Optionen durch. Sie konnte den Mann umgarnen und ihn einfach nach dem Rosenkranz fragen. Sie wusste, wie sie bekam, was sie wollte – so würde ihnen kein Diebstahl auf die Füße fallen. Aber sie konnten kein weiteres verliebtes »Crewmitglied« gebrauchen, das Aufmerksamkeit auf sie zog …
Sollte Lyz den Rosenkranz stehlen? Sie war gut, keine Frage – aber das hier war eine andere Liga. Was, wenn sie eine Kamera oder ein Wachmann sah? Oder das Ablenkungsmanöver schiefging? Wenn sie jetzt schon aus dem Casino geworfen würden, endete ihr Heist schneller, als er begonnen hatte.
Blieb noch Téos Plan. Wenn sie hier mit einem Jackpot hinausgingen, hätten sie neben dem Schädel auch noch ein hübsches Sümmchen, um ein neues Leben anzufangen – dann spielte es keine Rolle, dass sie den Schädel der Sangrada geben mussten und keinen müden Edin verdienten. Aber Téo war nicht gut darin, seine eigenen technischen Schwächen einzugestehen – was, wenn er einen Alarm auslöste oder das Casino misstrauisch wurde?
Inez atmete tief durch– und wusste schließlich, wer am Zug war.

Vor den drei Dieben offenbarte sich das Sanctum Sins in seiner gesamten Pracht: Die ehemalige Kathedrale war im Laufe der Jahre geschickt ausgebaut und mit neuen Stockwerken versehen worden, sodass die hohen Kirchenschiffe nun Spielbereiche, Bars und Restaurants enthielten, die den Besuchern des Casinos einen möglichst angenehmen Aufenthalt bereiten sollten – bei all den Lichtern und den guten Speisen fiel es nicht so leicht auf, wenn man all sein Geld verlor.
In der Mitte der Kathedrale war der Hauptspielbereich in den Boden eingelassen: Tische für Karten, Roulette und Triptyque warteten auf jene, die gegen das Haus wetten wollten, während Spielautomaten mit dem Wappen der Maison Lamize an den Seiten schnelle Gewinne versprachen – wenn man die nötige Portion Glück mitbrachte. Durch die erneuerten Kirchenfenster der alten Kathedrale, aufwendig restauriert und vom Mondlicht gebrochen, lag ein gespenstisches Schein über dem Saal, das dem Sanctum Sins einen ganz eigenen Charakter gab – irgendwo zwischen sakral und sündhaft, so wie Escorial es liebte.
Doch jedes Casino brauchte seine Spieler und Glücksritter, die es mit Leben füllten und deren Schicksale sich in einem kurzen Moment in Luft auflösten oder in der Goldenen Stadt emporgehoben wurden – und im Sanctum Sins gab es jede Menge davon, wie Inez feststellte. In bunte, von Blumenkränzen behängte Kleider gehüllte Damen trugen den schweren Duft von Rosen durch den Raum. Junge Männer präsentierten stolz ihre von zahlreichen silbernen Kruzifixen behängten Anzüge – die neueste Mode von La Perdante – und suchten verstohlen nach Blicken der Anerkennung. Zahlreiche Sinner, mit ihren jeweiligen Insignien, ließen gelassen den Blick schweifen – und er blieb dort hängen, wo sie Feinde ausgemacht hatten. Selbst einige Saints hatten sich hierher verirrt; jene, die ihren Glauben und ihre Loyalität zu den Ordres etwas freigiebiger auslegten. Das Sanctum Sins war das Sinnbild von La Perdante und bot für jeden, der etwas suchte, eine Lösung – oder einen Anlass zur Suche.
Überall im Casino waren in dunkle Anzüge gekleidete Wachleute zu sehen, von denen jeder einen Ring mit einem goldenen Schädel am Finger trug, eine einzelne Münze im Mund – das Wappen des Sanctum Sins. Sie strahlten eine sanfte Autorität aus, die durch die zahlreichen Kameras in der gesamten Kathedrale nur noch verstärkt wurde. Téo hatte nicht übertrieben: Es würde nicht einfach sein, all diese Maßnahmen zu umgehen.
»Daran könnte ich mich gewöhnen …«, murmelte Lyz und sah sich mit leuchtenden Augen um. Ihre Freundin war all diese Pracht nicht gewohnt – sie, die aus den ärmsten Bezirken von Vita Nera stammte und die schönen Dinge des Lebens aus den Taschen anderer stibitzte, um ihre Familie über Wasser zu halten. Inez knuffte sie in den Arm, lächelte und flüsterte: »Ein alter, goldener Schädel – und wir spielen in der Oberliga mit.« Lyz grinste.
»Konzentration, Leute.« Téo sprach, ohne sich umzudrehen, und steuerte schnurstracks das Wechselbüro an, das in einen umgebauten Beichtstuhl integriert war. »Jetons wechseln und dann den Rosenkranz besorgen – denkt dran.« Lyz streckte ihm die Zunge heraus und blickte weiter verträumt auf das Kirchenglas.
Schließlich erreichten die drei Diebe das Wechselbüro, wo ein junger Mann mit goldgefärbten Haaren sie lächelnd begrüßte.
»Guten Abend, herzlich willkommen im Sanctum Sins. Zahlen Sie, spielen Sie, beichten Sie. Wie kann ich Ihnen helfen?«
Inez blickte zu Téo, der betont desinteressiert zum Mitarbeiter hinüberschaute und schwieg. Auch Inez sagte nichts und sah zu Téo, der sein auffälliges Räuspern gerade noch zu einem Hüsteln umfunktionieren konnte.
»Oh! Meine Begleitung und ich …«, Inez deutete mit dem Kopf auf Lyz, die huldvoll nickte, »… würden gern unser Glück versuchen. Wir möchten einige Edin – Escodinar – eintauschen.« Mit diesen Worten trat Téo mit wenigen geübten Bewegungen vor und öffnete den Koffer mit den Escodinar, den ihnen die Sangrada gegeben hatte – der Einsatz, den sie für das Sanctum benötigen würden.
Der Mann nickte, nahm den Koffer entgegen, zählte die Münzen gekonnt ab und ließ sie in einem Trichter neben sich verschwinden. Dann prüfte er einige Zahlen auf einem Bildschirm, ging zu einem der zahlreichen goldenen Regale hinter ihm und holte aus einer Schublade einen Koffer. Inez merkte, wie Téo neben ihr allmählich entspannte.
»Jetons im Wert von 20 000 Escodinar – in den Werten 1 000, 500, 200 und 100.« Der Mann drehte den Koffer und ließ sie einen Blick auf die dunklen und goldenen Jetons werfen, auf denen prominent der goldene Schädel prangte. Lyz und Inez sahen sich verstohlen an. So viel Geld hatten sie noch nie auf einen Schlag gesehen. Inez wusste, dass Lyz in diesem Moment dasselbe dachte wie sie: Warum nicht einfach das Geld nehmen und abhauen? Ein guter Plan – sie könnten sich ein schönes Leben machen.
Zumindest für den kurzen Zeitraum, bis die Sangrada sie aufgespürt hätte.
Téo stupste Inez an. Der Mann mit den goldenen Haaren lächelte.
»Kann ich Ihnen noch irgendwie dienlich sein?«
Inez erwiderte das Lächeln. »Sie haben mir bereits alles gegeben, was ich heute Abend brauche … vielen Dank.« Ein Zwinkern ließ den Mann erröten; dann wandte sie sich ab und entfernte sich mit ihren Freunden. Sie sah Téo und Lyz mit ernster Miene an.
»Das hätten wir. Jetzt …«
»… der Rosenkranz.« Téo scannte bereits das Casino nach möglichen Zielen. Das Sanctum – der exklusive Bereich, in dem mit hohen Einsätzen gespielt wurde – war nur ausgewählten Gästen vorbehalten, die sich mit einem speziellen elektronischen Rosenkranz auswiesen. Sie waren nicht personalisiert; daher würde ihnen jeder beliebige genügen. Allerdings mussten sie sich bei einem Gast bedienen – idealerweise bei jemandem, dem der Rosenkranz nicht allzu sehr fehlen würde. Im Sanctum warteten der Pitboss und seine Schlüsselkarte – ohne sie würde ihr Abenteuer nicht weitergehen. Lyz stieß ein anerkennendes Pfeifen aus und deutete zu den Spielautomaten.
»Sieh mal einer an … wir haben unsere Eintrittskarte gefunden …«
Vor den Automaten hatte es sich ein Mann mittleren Alters mit plattgedrückten Haaren auf einem Sessel gemütlich gemacht und blickte den vorbeilaufenden Frauen bemüht unauffällig hinterher – ein aussichtsloses Unterfangen; sein hochrotes Gesicht und die vielen Flaschen Hochprozentiges neben ihm sprachen eine eindeutige Sprache. Um seinen verrutschten Anzug hing ein goldener Rosenkranz, der in den blinkenden Lichtern der Maschinen rot aufleuchtete, und an dem seine Finger ständig herumspielten. Die glasigen Augen und die vereinzelten Rülpser machten das Gemälde perfekt.
Eine bessere Gelegenheit würden sie heute Nacht nicht mehr bekommen.
Inez beugte sich zu den anderen und murmelte: »Der würde nicht mal merken, wenn der Rosenkranz fehlt …« Sie warf noch einen prüfenden Blick hinüber und sah, wie die Augen des Mannes einer jungen Frau im violetten Pelz folgten. »Ich kenne solche Typen. Gebt mir fünf Minuten, und er gibt ihn mir freiwillig.«
Lyz presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. »Kommt nicht infrage. Der ist zu nichts mehr zu gebrauchen. Du machst ihm schöne Augen, und im nächsten Moment trottet er dir wie ein Hündchen durchs ganze Casino hinterher. Keine Chance – so bekommen wir den Rosenkranz ganz sicher nicht.«
Inez lächelte. »Du unterschätzt mich, Liebes.« Die andere verzog nur knapp die Mundwinkel und deutete auf einen Kellner, der sich in atemberaubendem Tempo durch die Menge schlängelte. »Gebt mir eine hübsche, kleine Ablenkung, und ich klaue das Ding. Der Typ ist völlig unzurechnungsfähig – Himmel, ich stehle ihm gleich die Brieftasche mit, als kleine Erinnerung an heute.« Sie reckte stolz das Kinn und wollte sich gerade in Bewegung setzen, als Téo sie festhielt.
»Nicht so schnell. Ich hätte noch eine andere Idee. Vielleicht brauchen wir den Rosenkranz gar nicht …« Téos Blick verlor sich in den Bildschirmen der Spielautomaten. In Vita Nera hatte er sich in einem alten Lagerhaus für ausrangierte Maschinen eingenistet und tagein, tagaus an den Dingern geschraubt. Er sagte, es beruhige ihn; Lyz sagte, er sei übergeschnappt. Tatsache war: Es gab keinen größeren Experten als Téo, wenn es um Spielautomaten ging. »Wenn es dieselben sind wie bei uns … dann kann ich einen Jackpot auslösen.«
Lyz blinzelte. »Und was bringt das? Zu mehr Kohle sage ich nicht Nein, aber der Hauptgewinn ist kaum ein Rosenkranz.«
Téo schüttelte ungeduldig den Kopf. »High Roller werden gern ins Sanctum eingeladen: viel Geld auf einmal – viel Geld, das man verspielen kann. So macht das Haus sein Geld, verstehst du? Wenn wir hier mit einem Hauptgewinn auftauchen, rollt uns das Sanctum Sins den roten Teppich aus … und wir müssen nichts stehlen, das uns später noch auf die Füße fällt.«
Inez sah ihn zweifelnd an. »Schaffst du das denn? Die Automaten sind bestimmt auf dem neuesten Stand …«
Téo schnaubte. »Solange sie nicht von der Maison sind, krieg ich’s hin. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass das ›letzte unabhängige Casino in La Perdante‹« – er sprach die Worte übertrieben betont – »… mit denen Geschäfte macht.« Er verschränkte die Arme. »Ich schaff’s.«
Inez ging im Kopf noch einmal ihre Optionen durch. Sie konnte den Mann umgarnen und ihn einfach nach dem Rosenkranz fragen. Sie wusste, wie sie bekam, was sie wollte – so würde ihnen kein Diebstahl auf die Füße fallen. Aber sie konnten kein weiteres verliebtes »Crewmitglied« gebrauchen, das Aufmerksamkeit auf sie zog …
Sollte Lyz den Rosenkranz stehlen? Sie war gut, keine Frage – aber das hier war eine andere Liga. Was, wenn sie eine Kamera oder ein Wachmann sah? Oder das Ablenkungsmanöver schiefging? Wenn sie jetzt schon aus dem Casino geworfen würden, endete ihr Heist schneller, als er begonnen hatte.
Blieb noch Téos Plan. Wenn sie hier mit einem Jackpot hinausgingen, hätten sie neben dem Schädel auch noch ein hübsches Sümmchen, um ein neues Leben anzufangen – dann spielte es keine Rolle, dass sie den Schädel der Sangrada geben mussten und keinen müden Edin verdienten. Aber Téo war nicht gut darin, seine eigenen technischen Schwächen einzugestehen – was, wenn er einen Alarm auslöste oder das Casino misstrauisch wurde?
Inez atmete tief durch– und wusste schließlich, wer am Zug war.



