



RIEN NE VA PLUS
Erst war es nur ein Hauch an den Rändern, ein sanftes Ausatmen der Rose, als hätte ein kurzer Wind sie in Bewegung versetzt; dann kroch das Weiß aus den Stacheln, zunächst zögerlich und unsicher, ohne wirkliches Ziel. Dann schon füllte es den Raum mit dieser zu süßen Note von Weihrauch, die in Inez’ Nase brannte und den hinteren Gaumen prickeln ließ – zu nah, schon viel zu nah an ihr.
»Dym«, sagte jetzt auch Téo, und das Wort schlug über ihnen ein, leise und doch verheerend. Die Zeitschaltanzeige über der Tür sprang von 05:04 auf 05:03. Langsam, so unendlich langsam.
»Zurück«, zischte Inez, schon am Arm von Lyz, schon an Téo, der den Blick nicht vom Feld ließ. Der Nebel war erst auf Knöchelhöhe, dann an den Waden, und er hatte diese trügerische Sanftheit, die man von synthetischem Dym kannte: zu weich, zu weiß, zu sauber.
Immerhin war es kein Dym aus der Viadombra – in diesem Fall wollte sie sich gar nicht ausmalen, was mit ihnen passieren würde. Die drei Diebe standen inmitten der dunklen Halle, in der sich nun der Rauch genüsslich zu ihnen hinüberzog. In der Reflexion des schwarzen Marmors konnte Inez die leuchtenden Zahlen erkennen. 04:50.
»Ich kann versuchen, die Zeitschaltung zu überbrücken«, brachte Téo heraus, dabei schon mit dem Etui am Panel, seine Finger ein einziges zitterndes Etwas. »Wenn ich den Impuls auf die Servos lege, zieht die Tür vielleicht manuell – aber ich brauche …« Er wandte das Gesicht halb zu ihnen, die Pupillen ein wenig zu groß. Oder kam es ihr nur so vor? »… zwanzig, dreißig Sekunden, ohne dass ich den Alarm triggere.« Das Wort Alarm löste in seinem Mund ein winziges Hüsteln aus, das er hinunterwürgte.
»Dann mach«, sagte Inez, zu schnell, und gleich darauf: »Nein, warte.« Der Nebel leckte jetzt an ihren Knien. Jeder Atemzug konnte die entscheidende Dosis in ihre Lunge pumpen und zu einem Rausch, Atemnot … oder ihrem letzten Zug führen. »Téo, bist du …« – sie schluckte – »… bist du dir sicher, dass du das schaffst?«
Er hustete nur.
Sie zwang sich, ihre Stimme ruhig zu halten und mit möglichst wenig Atem zu sprechen. »Hört mir zu. Wir bleiben flach liegen, weit weg von der Rose, atmen so wenig wie möglich davon ein, verstanden? Téo, leg dich an die Wand, nimm dir ein Stück Stoff, halt es dir vor den Mund. Lyz, du auch, nicht reden, nicht atmen – nur, wenn es nicht anders geht.« Sie hatte den Eindruck, dass sie neben sich stand und sich selbst zuhörte. »Das sind unter fünf Minuten. Wir schaffen das, wenn wir sparsam sind.«
Lyz lachte, ein kurzer, scharfer Laut, der nichts Heiteres hatte. »Sparsam? Mit Luft? Klar, ich halt mal eben die Luft an … für fünf … verdammte … Minuten.« Ihre Augen huschten nach oben, zu der Decke des Raumes, an der fast unsichtbar stählerne Rohre verliefen. Sie alle führten zu einzelnen kleinen Metallöffnungen an der Decke, die wie Sprinkler aussahen. »Besserer Plan. Ich klettere hoch zu den Sprinklern«, sagte sie, und der Funke in ihrer Stimme war wieder dieser alte, gefährliche. »Ich knack das Ding und schon haben wir hier drin ein hübsches kleines Gewitter, das unsere ganzen Sorgen wegspült und …« Sie brach ab, blinzelte, fuhr sich mit dem Handrücken über die Lippen. »… und unser Leben rettet.«
»Du weißt nicht mal, ob die Dinger angeschlossen sind«, hustete Téo, der sich schon an die Wand neben dem Panel gleiten ließ, den Stoff des Overalls über Mund und Nase, ein notdürftiger Filter, der vermutlich mehr zur Zier denn zum Schutz war. Seine Finger spielten hektisch am Etui herum. »Und wenn du fällst, fällst du mitten in—« Er sah auf den Teppich aus Weiß, der langsam immer dichter wurde. »—das.«
Inez kniete sich jetzt hin und versuchte, Ruhe in ihren Atem zu bringen, dem drängenden Gedanken an Panik, der in ihrem Hinterkopf laut wummerte, keinen Raum zu geben. Der süßlich riechende Nebel kroch jetzt zu ihnen, als wüsste er ganz genau, wohin er wollte. Ihre Gedanken sprangen in Intervallen: Fünf Minuten sind dreihundert Sekunden, drei Leute, drei Lungen, die den verbleibenden Sauerstoff in diesem Raum brauchten – den, der nicht Dym war. Sie musste sich selbst und ihre Freunde unter Kontrolle bekommen, sie mussten aufhören zu diskutieren und ihren Atem sparen.
»Wir können nicht einfach hier liegen und auf das Beste hoffen«, presste Lyz hervor und machte einige zögerliche Schritte in Richtung einer Wand, an der eines der Rohre nach unten verlief. »Ich klettere hoch, ich brauch nur …« Ihr Blick suchte, fand einen Spalt in der Wandverkleidung, eine Stufe, dann die metallene Rinne knapp unter der Decke. »… einen Anfang und ’nen Schraubendreher.« Dann fiel ihr etwas ein und sie deutete hektisch auf den Absatz ihrer Schuhe. »Zählt das?«
Natürlich. Der Dietrich.
Bei ihren Vorbereitungen für ihren Raub war schnell klar, dass sie nicht komplett ohne Ausrüstung auskommen würde. Sie konnten allerdings keine Waffen und keine Elektronik offen sichtbar hineintragen, wenn ihr Raub nicht schon an der Rezeption enden sollte. Natürlich hatte sich Téo genau zu diesem Fall seine Gedanken gemacht und schließlich drei einfache und geniale Alltagsgegenstände umfunktioniert, die den Raub überhaupt erst möglich machten: Inez’ Zigarrenetui, das den Code kopierte, Téos Rosenkranz mit dem 45/MO:DEUS-Virus und ein elektronischer Dietrich, der in Lyz’ Absätzen versteckt war und – zusammengesetzt und in Lyz’ Händen – jedes Schloss öffnen konnte. Eigentlich war er für die Sicherheitsmaßnahmen im Tresor gedacht, allerdings gingen ihnen bereits hier im dymverseuchten Raum die Optionen aus.
»Lyz, wenn du da oben an einem falschen Ventil drehst, haben wir hier eine Dusche aus … keine Ahnung, Wasser, Schaum, Dym. Was, wenn es nichts bringt?«, fragte Téo, und ein kleines, hilfloses Lächeln huschte ihm dabei übers Gesicht, als müsste er seine Freunde beruhigen und gleichzeitig auf den Wahnsinn ihres Plans hinweisen.
04:02.
Der Nebel im Raum kühlte die Haut, und Inez hatte das Gefühl, als sei ihre Zunge einen Millimeter zu groß geworden – ein schlechtes Zeichen. Sie wusste nicht, ob es am Dym oder an ihrer eigenen Panik lag, allerdings erschien ihr für einen Moment alles deutlich langsamer, so, als ob die Zeit selbst ihr einige wertvolle Sekunden schenken wollte, um eine Entscheidung zu treffen.
Sie sah Téo, der sich mit immer stärker zitternden Fingern am Panel zu schaffen machte, während die Zahlen auf dem Display hämisch langsam hinunterzählten. 03:55, 03:54. Würde er es in seinem Zustand schaffen, die Tür zu hacken? Sie wusste, dass Téo wohl einer der wenigen Menschen in Escorial war, die zu so etwas imstande waren … allerdings wusste sie nicht, ob er bis dahin durchhalten würde. Ohne ihre Hilfe war er verloren.
Ihr Blick wanderte weiter zu ihren eigenen Händen, die bereits leicht zitterten. War ihr Ringfinger schon immer so groß gewesen? Sie musste die Gruppe zusammenhalten, sie musste die Lage wieder unter Kontrolle bringen. Sie hatten bereits einen guten Teil der Zeit geschafft; wenn sie nur ein klein wenig länger durchhielten, dann hätten sie es geschafft … aber sie würde mit Téos Hilflosigkeit und Lyz’ Sturheit arbeiten müssen. Keine leichte Aufgabe für … wie nannte sie sich noch gleich?
Sie zwang sich, zu Lyz zu schauen. Blieb da noch ihre Meisterdiebin und Akrobatin. Sie wusste nicht, wie viel Dym Lyz bereits eingeatmet hatte. Sie war zweifelsohne in der Lage, zu den Rohren zu klettern und mit dem Dietrich die Sprinkler zu lösen … blieb nur das Problem, dass sie genauso gut bereits völlig high sein oder der Dietrich den Sprinkler nicht öffnen konnte … oder aber das Wasser genau nichts mit dem Nebel anrichten würde.
Dym, Lyz, Dym, Lyz … ihr war vorher nie aufgefallen, dass beide Wörter so ähnlich klangen. Der Nebel war jetzt schon an ihren Hüften.
»Sag es, Nez«, flüsterte Téo, und der Nebel nahm einen Teil seiner Stimme mit, als wollte er sie behalten. »Ich fang an … oder ich leg mich hin … oder ich hebe Lyz hoch.« Ein weiteres Husten erschütterte ihn. Lyz beachtete ihn nicht weiter und starrte angestrengt die Rohre hoch, während ihre Augen zuckten, sie sich bereits eine Route zurechtlegte.
Die Anzeige sprang auf 03:30 – und der ganze Raum hielt den Atem an. Eine sanfte Stimme, die sie nicht zuordnen konnte, war das einzige Geräusch, das sie noch hörte.
»Auf wen wirst du setzen, meine Liebe?«, säuselte der Dym ihr ins Ohr.
»Nichts … geht … mehr …«
Erst war es nur ein Hauch an den Rändern, ein sanftes Ausatmen der Rose, als hätte ein kurzer Wind sie in Bewegung versetzt; dann kroch das Weiß aus den Stacheln, zunächst zögerlich und unsicher, ohne wirkliches Ziel. Dann schon füllte es den Raum mit dieser zu süßen Note von Weihrauch, die in Inez’ Nase brannte und den hinteren Gaumen prickeln ließ – zu nah, schon viel zu nah an ihr.
»Dym«, sagte jetzt auch Téo, und das Wort schlug über ihnen ein, leise und doch verheerend. Die Zeitschaltanzeige über der Tür sprang von 05:04 auf 05:03. Langsam, so unendlich langsam.
»Zurück«, zischte Inez, schon am Arm von Lyz, schon an Téo, der den Blick nicht vom Feld ließ. Der Nebel war erst auf Knöchelhöhe, dann an den Waden, und er hatte diese trügerische Sanftheit, die man von synthetischem Dym kannte: zu weich, zu weiß, zu sauber.
Immerhin war es kein Dym aus der Viadombra – in diesem Fall wollte sie sich gar nicht ausmalen, was mit ihnen passieren würde. Die drei Diebe standen inmitten der dunklen Halle, in der sich nun der Rauch genüsslich zu ihnen hinüberzog. In der Reflexion des schwarzen Marmors konnte Inez die leuchtenden Zahlen erkennen. 04:50.
»Ich kann versuchen, die Zeitschaltung zu überbrücken«, brachte Téo heraus, dabei schon mit dem Etui am Panel, seine Finger ein einziges zitterndes Etwas. »Wenn ich den Impuls auf die Servos lege, zieht die Tür vielleicht manuell – aber ich brauche …« Er wandte das Gesicht halb zu ihnen, die Pupillen ein wenig zu groß. Oder kam es ihr nur so vor? »… zwanzig, dreißig Sekunden, ohne dass ich den Alarm triggere.« Das Wort Alarm löste in seinem Mund ein winziges Hüsteln aus, das er hinunterwürgte.
»Dann mach«, sagte Inez, zu schnell, und gleich darauf: »Nein, warte.« Der Nebel leckte jetzt an ihren Knien. Jeder Atemzug konnte die entscheidende Dosis in ihre Lunge pumpen und zu einem Rausch, Atemnot … oder ihrem letzten Zug führen. »Téo, bist du …« – sie schluckte – »… bist du dir sicher, dass du das schaffst?«
Er hustete nur.
Sie zwang sich, ihre Stimme ruhig zu halten und mit möglichst wenig Atem zu sprechen. »Hört mir zu. Wir bleiben flach liegen, weit weg von der Rose, atmen so wenig wie möglich davon ein, verstanden? Téo, leg dich an die Wand, nimm dir ein Stück Stoff, halt es dir vor den Mund. Lyz, du auch, nicht reden, nicht atmen – nur, wenn es nicht anders geht.« Sie hatte den Eindruck, dass sie neben sich stand und sich selbst zuhörte. »Das sind unter fünf Minuten. Wir schaffen das, wenn wir sparsam sind.«
Lyz lachte, ein kurzer, scharfer Laut, der nichts Heiteres hatte. »Sparsam? Mit Luft? Klar, ich halt mal eben die Luft an … für fünf … verdammte … Minuten.« Ihre Augen huschten nach oben, zu der Decke des Raumes, an der fast unsichtbar stählerne Rohre verliefen. Sie alle führten zu einzelnen kleinen Metallöffnungen an der Decke, die wie Sprinkler aussahen. »Besserer Plan. Ich klettere hoch zu den Sprinklern«, sagte sie, und der Funke in ihrer Stimme war wieder dieser alte, gefährliche. »Ich knack das Ding und schon haben wir hier drin ein hübsches kleines Gewitter, das unsere ganzen Sorgen wegspült und …« Sie brach ab, blinzelte, fuhr sich mit dem Handrücken über die Lippen. »… und unser Leben rettet.«
»Du weißt nicht mal, ob die Dinger angeschlossen sind«, hustete Téo, der sich schon an die Wand neben dem Panel gleiten ließ, den Stoff des Overalls über Mund und Nase, ein notdürftiger Filter, der vermutlich mehr zur Zier denn zum Schutz war. Seine Finger spielten hektisch am Etui herum. »Und wenn du fällst, fällst du mitten in—« Er sah auf den Teppich aus Weiß, der langsam immer dichter wurde. »—das.«
Inez kniete sich jetzt hin und versuchte, Ruhe in ihren Atem zu bringen, dem drängenden Gedanken an Panik, der in ihrem Hinterkopf laut wummerte, keinen Raum zu geben. Der süßlich riechende Nebel kroch jetzt zu ihnen, als wüsste er ganz genau, wohin er wollte. Ihre Gedanken sprangen in Intervallen: Fünf Minuten sind dreihundert Sekunden, drei Leute, drei Lungen, die den verbleibenden Sauerstoff in diesem Raum brauchten – den, der nicht Dym war. Sie musste sich selbst und ihre Freunde unter Kontrolle bekommen, sie mussten aufhören zu diskutieren und ihren Atem sparen.
»Wir können nicht einfach hier liegen und auf das Beste hoffen«, presste Lyz hervor und machte einige zögerliche Schritte in Richtung einer Wand, an der eines der Rohre nach unten verlief. »Ich klettere hoch, ich brauch nur …« Ihr Blick suchte, fand einen Spalt in der Wandverkleidung, eine Stufe, dann die metallene Rinne knapp unter der Decke. »… einen Anfang und ’nen Schraubendreher.« Dann fiel ihr etwas ein und sie deutete hektisch auf den Absatz ihrer Schuhe. »Zählt das?«
Natürlich. Der Dietrich.
Bei ihren Vorbereitungen für ihren Raub war schnell klar, dass sie nicht komplett ohne Ausrüstung auskommen würde. Sie konnten allerdings keine Waffen und keine Elektronik offen sichtbar hineintragen, wenn ihr Raub nicht schon an der Rezeption enden sollte. Natürlich hatte sich Téo genau zu diesem Fall seine Gedanken gemacht und schließlich drei einfache und geniale Alltagsgegenstände umfunktioniert, die den Raub überhaupt erst möglich machten: Inez’ Zigarrenetui, das den Code kopierte, Téos Rosenkranz mit dem 45/MO:DEUS-Virus und ein elektronischer Dietrich, der in Lyz’ Absätzen versteckt war und – zusammengesetzt und in Lyz’ Händen – jedes Schloss öffnen konnte. Eigentlich war er für die Sicherheitsmaßnahmen im Tresor gedacht, allerdings gingen ihnen bereits hier im dymverseuchten Raum die Optionen aus.
»Lyz, wenn du da oben an einem falschen Ventil drehst, haben wir hier eine Dusche aus … keine Ahnung, Wasser, Schaum, Dym. Was, wenn es nichts bringt?«, fragte Téo, und ein kleines, hilfloses Lächeln huschte ihm dabei übers Gesicht, als müsste er seine Freunde beruhigen und gleichzeitig auf den Wahnsinn ihres Plans hinweisen.
04:02.
Der Nebel im Raum kühlte die Haut, und Inez hatte das Gefühl, als sei ihre Zunge einen Millimeter zu groß geworden – ein schlechtes Zeichen. Sie wusste nicht, ob es am Dym oder an ihrer eigenen Panik lag, allerdings erschien ihr für einen Moment alles deutlich langsamer, so, als ob die Zeit selbst ihr einige wertvolle Sekunden schenken wollte, um eine Entscheidung zu treffen.
Sie sah Téo, der sich mit immer stärker zitternden Fingern am Panel zu schaffen machte, während die Zahlen auf dem Display hämisch langsam hinunterzählten. 03:55, 03:54. Würde er es in seinem Zustand schaffen, die Tür zu hacken? Sie wusste, dass Téo wohl einer der wenigen Menschen in Escorial war, die zu so etwas imstande waren … allerdings wusste sie nicht, ob er bis dahin durchhalten würde. Ohne ihre Hilfe war er verloren.
Ihr Blick wanderte weiter zu ihren eigenen Händen, die bereits leicht zitterten. War ihr Ringfinger schon immer so groß gewesen? Sie musste die Gruppe zusammenhalten, sie musste die Lage wieder unter Kontrolle bringen. Sie hatten bereits einen guten Teil der Zeit geschafft; wenn sie nur ein klein wenig länger durchhielten, dann hätten sie es geschafft … aber sie würde mit Téos Hilflosigkeit und Lyz’ Sturheit arbeiten müssen. Keine leichte Aufgabe für … wie nannte sie sich noch gleich?
Sie zwang sich, zu Lyz zu schauen. Blieb da noch ihre Meisterdiebin und Akrobatin. Sie wusste nicht, wie viel Dym Lyz bereits eingeatmet hatte. Sie war zweifelsohne in der Lage, zu den Rohren zu klettern und mit dem Dietrich die Sprinkler zu lösen … blieb nur das Problem, dass sie genauso gut bereits völlig high sein oder der Dietrich den Sprinkler nicht öffnen konnte … oder aber das Wasser genau nichts mit dem Nebel anrichten würde.
Dym, Lyz, Dym, Lyz … ihr war vorher nie aufgefallen, dass beide Wörter so ähnlich klangen. Der Nebel war jetzt schon an ihren Hüften.
»Sag es, Nez«, flüsterte Téo, und der Nebel nahm einen Teil seiner Stimme mit, als wollte er sie behalten. »Ich fang an … oder ich leg mich hin … oder ich hebe Lyz hoch.« Ein weiteres Husten erschütterte ihn. Lyz beachtete ihn nicht weiter und starrte angestrengt die Rohre hoch, während ihre Augen zuckten, sie sich bereits eine Route zurechtlegte.
Die Anzeige sprang auf 03:30 – und der ganze Raum hielt den Atem an. Eine sanfte Stimme, die sie nicht zuordnen konnte, war das einzige Geräusch, das sie noch hörte.
»Auf wen wirst du setzen, meine Liebe?«, säuselte der Dym ihr ins Ohr.
»Nichts … geht … mehr …«
RIEN NE VA PLUS

Erst war es nur ein Hauch an den Rändern, ein sanftes Ausatmen der Rose, als hätte ein kurzer Wind sie in Bewegung versetzt; dann kroch das Weiß aus den Stacheln, zunächst zögerlich und unsicher, ohne wirkliches Ziel. Dann schon füllte es den Raum mit dieser zu süßen Note von Weihrauch, die in Inez’ Nase brannte und den hinteren Gaumen prickeln ließ – zu nah, schon viel zu nah an ihr.
»Dym«, sagte jetzt auch Téo, und das Wort schlug über ihnen ein, leise und doch verheerend. Die Zeitschaltanzeige über der Tür sprang von 05:04 auf 05:03. Langsam, so unendlich langsam.
»Zurück«, zischte Inez, schon am Arm von Lyz, schon an Téo, der den Blick nicht vom Feld ließ. Der Nebel war erst auf Knöchelhöhe, dann an den Waden, und er hatte diese trügerische Sanftheit, die man von synthetischem Dym kannte: zu weich, zu weiß, zu sauber.
Immerhin war es kein Dym aus der Viadombra – in diesem Fall wollte sie sich gar nicht ausmalen, was mit ihnen passieren würde. Die drei Diebe standen inmitten der dunklen Halle, in der sich nun der Rauch genüsslich zu ihnen hinüberzog. In der Reflexion des schwarzen Marmors konnte Inez die leuchtenden Zahlen erkennen. 04:50.
»Ich kann versuchen, die Zeitschaltung zu überbrücken«, brachte Téo heraus, dabei schon mit dem Etui am Panel, seine Finger ein einziges zitterndes Etwas. »Wenn ich den Impuls auf die Servos lege, zieht die Tür vielleicht manuell – aber ich brauche …« Er wandte das Gesicht halb zu ihnen, die Pupillen ein wenig zu groß. Oder kam es ihr nur so vor? »… zwanzig, dreißig Sekunden, ohne dass ich den Alarm triggere.« Das Wort Alarm löste in seinem Mund ein winziges Hüsteln aus, das er hinunterwürgte.
»Dann mach«, sagte Inez, zu schnell, und gleich darauf: »Nein, warte.« Der Nebel leckte jetzt an ihren Knien. Jeder Atemzug konnte die entscheidende Dosis in ihre Lunge pumpen und zu einem Rausch, Atemnot … oder ihrem letzten Zug führen. »Téo, bist du …« – sie schluckte – »… bist du dir sicher, dass du das schaffst?«
Er hustete nur.
Sie zwang sich, ihre Stimme ruhig zu halten und mit möglichst wenig Atem zu sprechen. »Hört mir zu. Wir bleiben flach liegen, weit weg von der Rose, atmen so wenig wie möglich davon ein, verstanden? Téo, leg dich an die Wand, nimm dir ein Stück Stoff, halt es dir vor den Mund. Lyz, du auch, nicht reden, nicht atmen – nur, wenn es nicht anders geht.« Sie hatte den Eindruck, dass sie neben sich stand und sich selbst zuhörte. »Das sind unter fünf Minuten. Wir schaffen das, wenn wir sparsam sind.«
Lyz lachte, ein kurzer, scharfer Laut, der nichts Heiteres hatte. »Sparsam? Mit Luft? Klar, ich halt mal eben die Luft an … für fünf … verdammte … Minuten.« Ihre Augen huschten nach oben, zu der Decke des Raumes, an der fast unsichtbar stählerne Rohre verliefen. Sie alle führten zu einzelnen kleinen Metallöffnungen an der Decke, die wie Sprinkler aussahen. »Besserer Plan. Ich klettere hoch zu den Sprinklern«, sagte sie, und der Funke in ihrer Stimme war wieder dieser alte, gefährliche. »Ich knack das Ding und schon haben wir hier drin ein hübsches kleines Gewitter, das unsere ganzen Sorgen wegspült und …« Sie brach ab, blinzelte, fuhr sich mit dem Handrücken über die Lippen. »… und unser Leben rettet.«
»Du weißt nicht mal, ob die Dinger angeschlossen sind«, hustete Téo, der sich schon an die Wand neben dem Panel gleiten ließ, den Stoff des Overalls über Mund und Nase, ein notdürftiger Filter, der vermutlich mehr zur Zier denn zum Schutz war. Seine Finger spielten hektisch am Etui herum. »Und wenn du fällst, fällst du mitten in—« Er sah auf den Teppich aus Weiß, der langsam immer dichter wurde. »—das.«
Inez kniete sich jetzt hin und versuchte, Ruhe in ihren Atem zu bringen, dem drängenden Gedanken an Panik, der in ihrem Hinterkopf laut wummerte, keinen Raum zu geben. Der süßlich riechende Nebel kroch jetzt zu ihnen, als wüsste er ganz genau, wohin er wollte. Ihre Gedanken sprangen in Intervallen: Fünf Minuten sind dreihundert Sekunden, drei Leute, drei Lungen, die den verbleibenden Sauerstoff in diesem Raum brauchten – den, der nicht Dym war. Sie musste sich selbst und ihre Freunde unter Kontrolle bekommen, sie mussten aufhören zu diskutieren und ihren Atem sparen.
»Wir können nicht einfach hier liegen und auf das Beste hoffen«, presste Lyz hervor und machte einige zögerliche Schritte in Richtung einer Wand, an der eines der Rohre nach unten verlief. »Ich klettere hoch, ich brauch nur …« Ihr Blick suchte, fand einen Spalt in der Wandverkleidung, eine Stufe, dann die metallene Rinne knapp unter der Decke. »… einen Anfang und ’nen Schraubendreher.« Dann fiel ihr etwas ein und sie deutete hektisch auf den Absatz ihrer Schuhe. »Zählt das?«
Natürlich. Der Dietrich.
Bei ihren Vorbereitungen für ihren Raub war schnell klar, dass sie nicht komplett ohne Ausrüstung auskommen würden. Sie konnten allerdings keine Waffen und keine Elektronik offen sichtbar hineintragen, wenn ihr Raub nicht schon an der Rezeption enden sollte. Natürlich hatte sich Téo genau zu diesem Fall seine Gedanken gemacht und schließlich drei einfache und geniale Alltagsgegenstände umfunktioniert, die den Raub überhaupt erst möglich machten: Inez’ Zigarrenetui, das den Code kopierte, Téos Rosenkranz mit dem 45/MO:DEUS-Virus und ein elektronischer Dietrich, der in Lyz’ Absätzen versteckt war und – zusammengesetzt und in Lyz’ Händen – jedes Schloss öffnen konnte. Eigentlich war er für die Sicherheitsmaßnahmen im Tresor gedacht, allerdings gingen ihnen bereits hier im dymverseuchten Raum die Optionen aus.
»Lyz, wenn du da oben an einem falschen Ventil drehst, haben wir hier eine Dusche aus … keine Ahnung, Wasser, Schaum, Dym. Was, wenn es nichts bringt?«, fragte Téo, und ein kleines, hilfloses Lächeln huschte ihm dabei übers Gesicht, als müsste er seine Freunde beruhigen und gleichzeitig auf den Wahnsinn ihres Plans hinweisen.
04:02.
Der Nebel im Raum kühlte die Haut, und Inez hatte das Gefühl, als sei ihre Zunge einen Millimeter zu groß geworden – ein schlechtes Zeichen. Sie wusste nicht, ob es am Dym oder an ihrer eigenen Panik lag, allerdings erschien ihr für einen Moment alles deutlich langsamer, so, als ob die Zeit selbst ihr einige wertvolle Sekunden schenken wollte, um eine Entscheidung zu treffen.
Sie sah Téo, der sich mit immer stärker zitternden Fingern am Panel zu schaffen machte, während die Zahlen auf dem Display hämisch langsam hinunterzählten. 03:55, 03:54. Würde er es in seinem Zustand schaffen, die Tür zu hacken? Sie wusste, dass Téo wohl einer der wenigen Menschen in Escorial war, die zu so etwas imstande waren … allerdings wusste sie nicht, ob er bis dahin durchhalten würde. Ohne ihre Hilfe war er verloren.
Ihr Blick wanderte weiter zu ihren eigenen Händen, die bereits leicht zitterten. War ihr Ringfinger schon immer so groß gewesen? Sie musste die Gruppe zusammenhalten, sie musste die Lage wieder unter Kontrolle bringen. Sie hatten bereits einen guten Teil der Zeit geschafft; wenn sie nur ein klein wenig länger durchhielten, dann hätten sie es geschafft … aber sie würde mit Téos Hilflosigkeit und Lyz’ Sturheit arbeiten müssen. Keine leichte Aufgabe für … wie nannte sie sich noch gleich?
Sie zwang sich, zu Lyz zu schauen. Blieb da noch ihre Meisterdiebin und Akrobatin. Sie wusste nicht, wie viel Dym Lyz bereits eingeatmet hatte. Sie war zweifelsohne in der Lage, zu den Rohren zu klettern und mit dem Dietrich die Sprinkler zu lösen … blieb nur das Problem, dass sie genauso gut bereits völlig high sein oder der Dietrich den Sprinkler nicht öffnen konnte … oder aber das Wasser genau nichts mit dem Nebel anrichten würde.
Dym, Lyz, Dym, Lyz … ihr war vorher nie aufgefallen, dass beide Wörter so ähnlich klangen. Der Nebel war jetzt schon an ihren Hüften.
»Sag es, Nez«, flüsterte Téo, und der Nebel nahm einen Teil seiner Stimme mit, als wollte er sie behalten. »Ich fang an … oder ich leg mich hin … oder ich hebe Lyz hoch.« Ein weiteres Husten erschütterte ihn. Lyz beachtete ihn nicht weiter und starrte angestrengt die Rohre hoch, während ihre Augen zuckten, sie sich bereits eine Route zurechtlegte.
Die Anzeige sprang auf 03:30 – und der ganze Raum hielt den Atem an. Eine sanfte Stimme, die sie nicht zuordnen konnte, war das einzige Geräusch, das sie noch hörte.
»Auf wen wirst du setzen, meine Liebe?«, säuselte der Dym ihr ins Ohr.
»Nichts … geht … mehr …«

Erst war es nur ein Hauch an den Rändern, ein sanftes Ausatmen der Rose, als hätte ein kurzer Wind sie in Bewegung versetzt; dann kroch das Weiß aus den Stacheln, zunächst zögerlich und unsicher, ohne wirkliches Ziel. Dann schon füllte es den Raum mit dieser zu süßen Note von Weihrauch, die in Inez’ Nase brannte und den hinteren Gaumen prickeln ließ – zu nah, schon viel zu nah an ihr.
»Dym«, sagte jetzt auch Téo, und das Wort schlug über ihnen ein, leise und doch verheerend. Die Zeitschaltanzeige über der Tür sprang von 05:04 auf 05:03. Langsam, so unendlich langsam.
»Zurück«, zischte Inez, schon am Arm von Lyz, schon an Téo, der den Blick nicht vom Feld ließ. Der Nebel war erst auf Knöchelhöhe, dann an den Waden, und er hatte diese trügerische Sanftheit, die man von synthetischem Dym kannte: zu weich, zu weiß, zu sauber.
Immerhin war es kein Dym aus der Viadombra – in diesem Fall wollte sie sich gar nicht ausmalen, was mit ihnen passieren würde. Die drei Diebe standen inmitten der dunklen Halle, in der sich nun der Rauch genüsslich zu ihnen hinüberzog. In der Reflexion des schwarzen Marmors konnte Inez die leuchtenden Zahlen erkennen. 04:50.
»Ich kann versuchen, die Zeitschaltung zu überbrücken«, brachte Téo heraus, dabei schon mit dem Etui am Panel, seine Finger ein einziges zitterndes Etwas. »Wenn ich den Impuls auf die Servos lege, zieht die Tür vielleicht manuell – aber ich brauche …« Er wandte das Gesicht halb zu ihnen, die Pupillen ein wenig zu groß. Oder kam es ihr nur so vor? »… zwanzig, dreißig Sekunden, ohne dass ich den Alarm triggere.« Das Wort Alarm löste in seinem Mund ein winziges Hüsteln aus, das er hinunterwürgte.
»Dann mach«, sagte Inez, zu schnell, und gleich darauf: »Nein, warte.« Der Nebel leckte jetzt an ihren Knien. Jeder Atemzug konnte die entscheidende Dosis in ihre Lunge pumpen und zu einem Rausch, Atemnot … oder ihrem letzten Zug führen. »Téo, bist du …« – sie schluckte – »… bist du dir sicher, dass du das schaffst?«
Er hustete nur.
Sie zwang sich, ihre Stimme ruhig zu halten und mit möglichst wenig Atem zu sprechen. »Hört mir zu. Wir bleiben flach liegen, weit weg von der Rose, atmen so wenig wie möglich davon ein, verstanden? Téo, leg dich an die Wand, nimm dir ein Stück Stoff, halt es dir vor den Mund. Lyz, du auch, nicht reden, nicht atmen – nur, wenn es nicht anders geht.« Sie hatte den Eindruck, dass sie neben sich stand und sich selbst zuhörte. »Das sind unter fünf Minuten. Wir schaffen das, wenn wir sparsam sind.«
Lyz lachte, ein kurzer, scharfer Laut, der nichts Heiteres hatte. »Sparsam? Mit Luft? Klar, ich halt mal eben die Luft an … für fünf … verdammte … Minuten.« Ihre Augen huschten nach oben, zu der Decke des Raumes, an der fast unsichtbar stählerne Rohre verliefen. Sie alle führten zu einzelnen kleinen Metallöffnungen an der Decke, die wie Sprinkler aussahen. »Besserer Plan. Ich klettere hoch zu den Sprinklern«, sagte sie, und der Funke in ihrer Stimme war wieder dieser alte, gefährliche. »Ich knack das Ding und schon haben wir hier drin ein hübsches kleines Gewitter, das unsere ganzen Sorgen wegspült und …« Sie brach ab, blinzelte, fuhr sich mit dem Handrücken über die Lippen. »… und unser Leben rettet.«
»Du weißt nicht mal, ob die Dinger angeschlossen sind«, hustete Téo, der sich schon an die Wand neben dem Panel gleiten ließ, den Stoff des Overalls über Mund und Nase, ein notdürftiger Filter, der vermutlich mehr zur Zier denn zum Schutz war. Seine Finger spielten hektisch am Etui herum. »Und wenn du fällst, fällst du mitten in—« Er sah auf den Teppich aus Weiß, der langsam immer dichter wurde. »—das.«
Inez kniete sich jetzt hin und versuchte, Ruhe in ihren Atem zu bringen, dem drängenden Gedanken an Panik, der in ihrem Hinterkopf laut wummerte, keinen Raum zu geben. Der süßlich riechende Nebel kroch jetzt zu ihnen, als wüsste er ganz genau, wohin er wollte. Ihre Gedanken sprangen in Intervallen: Fünf Minuten sind dreihundert Sekunden, drei Leute, drei Lungen, die den verbleibenden Sauerstoff in diesem Raum brauchten – den, der nicht Dym war. Sie musste sich selbst und ihre Freunde unter Kontrolle bekommen, sie mussten aufhören zu diskutieren und ihren Atem sparen.
»Wir können nicht einfach hier liegen und auf das Beste hoffen«, presste Lyz hervor und machte einige zögerliche Schritte in Richtung einer Wand, an der eines der Rohre nach unten verlief. »Ich klettere hoch, ich brauch nur …« Ihr Blick suchte, fand einen Spalt in der Wandverkleidung, eine Stufe, dann die metallene Rinne knapp unter der Decke. »… einen Anfang und ’nen Schraubendreher.« Dann fiel ihr etwas ein und sie deutete hektisch auf den Absatz ihrer Schuhe. »Zählt das?«
Natürlich. Der Dietrich.
Bei ihren Vorbereitungen für ihren Raub war schnell klar, dass sie nicht komplett ohne Ausrüstung auskommen würden. Sie konnten allerdings keine Waffen und keine Elektronik offen sichtbar hineintragen, wenn ihr Raub nicht schon an der Rezeption enden sollte. Natürlich hatte sich Téo genau zu diesem Fall seine Gedanken gemacht und schließlich drei einfache und geniale Alltagsgegenstände umfunktioniert, die den Raub überhaupt erst möglich machten: Inez’ Zigarrenetui, das den Code kopierte, Téos Rosenkranz mit dem 45/MO:DEUS-Virus und ein elektronischer Dietrich, der in Lyz’ Absätzen versteckt war und – zusammengesetzt und in Lyz’ Händen – jedes Schloss öffnen konnte. Eigentlich war er für die Sicherheitsmaßnahmen im Tresor gedacht, allerdings gingen ihnen bereits hier im dymverseuchten Raum die Optionen aus.
»Lyz, wenn du da oben an einem falschen Ventil drehst, haben wir hier eine Dusche aus … keine Ahnung, Wasser, Schaum, Dym. Was, wenn es nichts bringt?«, fragte Téo, und ein kleines, hilfloses Lächeln huschte ihm dabei übers Gesicht, als müsste er seine Freunde beruhigen und gleichzeitig auf den Wahnsinn ihres Plans hinweisen.
04:02.
Der Nebel im Raum kühlte die Haut, und Inez hatte das Gefühl, als sei ihre Zunge einen Millimeter zu groß geworden – ein schlechtes Zeichen. Sie wusste nicht, ob es am Dym oder an ihrer eigenen Panik lag, allerdings erschien ihr für einen Moment alles deutlich langsamer, so, als ob die Zeit selbst ihr einige wertvolle Sekunden schenken wollte, um eine Entscheidung zu treffen.
Sie sah Téo, der sich mit immer stärker zitternden Fingern am Panel zu schaffen machte, während die Zahlen auf dem Display hämisch langsam hinunterzählten. 03:55, 03:54. Würde er es in seinem Zustand schaffen, die Tür zu hacken? Sie wusste, dass Téo wohl einer der wenigen Menschen in Escorial war, die zu so etwas imstande waren … allerdings wusste sie nicht, ob er bis dahin durchhalten würde. Ohne ihre Hilfe war er verloren.
Ihr Blick wanderte weiter zu ihren eigenen Händen, die bereits leicht zitterten. War ihr Ringfinger schon immer so groß gewesen? Sie musste die Gruppe zusammenhalten, sie musste die Lage wieder unter Kontrolle bringen. Sie hatten bereits einen guten Teil der Zeit geschafft; wenn sie nur ein klein wenig länger durchhielten, dann hätten sie es geschafft … aber sie würde mit Téos Hilflosigkeit und Lyz’ Sturheit arbeiten müssen. Keine leichte Aufgabe für … wie nannte sie sich noch gleich?
Sie zwang sich, zu Lyz zu schauen. Blieb da noch ihre Meisterdiebin und Akrobatin. Sie wusste nicht, wie viel Dym Lyz bereits eingeatmet hatte. Sie war zweifelsohne in der Lage, zu den Rohren zu klettern und mit dem Dietrich die Sprinkler zu lösen … blieb nur das Problem, dass sie genauso gut bereits völlig high sein oder der Dietrich den Sprinkler nicht öffnen konnte … oder aber das Wasser genau nichts mit dem Nebel anrichten würde.
Dym, Lyz, Dym, Lyz … ihr war vorher nie aufgefallen, dass beide Wörter so ähnlich klangen. Der Nebel war jetzt schon an ihren Hüften.
»Sag es, Nez«, flüsterte Téo, und der Nebel nahm einen Teil seiner Stimme mit, als wollte er sie behalten. »Ich fang an … oder ich leg mich hin … oder ich hebe Lyz hoch.« Ein weiteres Husten erschütterte ihn. Lyz beachtete ihn nicht weiter und starrte angestrengt die Rohre hoch, während ihre Augen zuckten, sie sich bereits eine Route zurechtlegte.
Die Anzeige sprang auf 03:30 – und der ganze Raum hielt den Atem an. Eine sanfte Stimme, die sie nicht zuordnen konnte, war das einzige Geräusch, das sie noch hörte.
»Auf wen wirst du setzen, meine Liebe?«, säuselte der Dym ihr ins Ohr.
»Nichts … geht … mehr …«



